Ägypten will an die Spitze der Sport-Pyramide
17. Januar 2022Der Minister für Jugend und Sport plant groß - und redet groß. Für Ashraf Sobhy gehört Ägypten an die Spitze der Sportpyramide, und nur dorthin. "Wir sind in der Lage, jedes globale Sportereignis auszurichten", sagte der 53-Jährige. Man werde beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) die nötigen Unterlagen für eine Bewerbung um die Sommerspiele 2036 einreichen.
Nach Einschätzung von Said Sadek ist die Ankündigung des Sportministers mehr als heiße Luft. "Das ist nicht nur mediale Werbung, dahinter steckt ein echter Wille", sagt der ägyptische Wissenschaftler, der an der Amerikanischen Universität in Kairo politische Soziologie lehrt. Es werde erwartet, dass Ägypten bis 2030 zu einer der führenden Volkswirtschaften im Nahen Osten aufsteige, in Konkurrenz zu Staaten wie der Türkei oder Katar, so Sadek gegenüber der DW: "Wenn es Katar gelungen ist, die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 zu bekommen, sollte Ägypten - das alte Land, dessen Wirtschaft wächst - auch nicht weit davon entfernt sein, internationale Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele zu organisieren."
Bereits im Juli 2018, kurz nachdem Sportminister Sobhy in die Regierung berufen worden war, hatte er verkündet, er wolle die Fußball-Weltmeisterschaft 2030 und die Olympischen Spiele 2032 nach Ägypten holen. Die Chance auf die Fußball-WM besteht weiter, da das Turnier in acht Jahren noch nicht vergeben ist. Doch der olympische Zug 2032 fuhr Richtung Brisbane in Australien, etwas zu schnell für den ägyptischen Sportpyramiden-Baumeister. Dann eben 2036. Ägypten wäre der erste afrikanische Gastgeber der olympischen Geschichte.
Bessere Chance für afrikanischen Bewerber
"Die Spielregeln haben sich geändert, etwa durch die Agenda 2020 des IOC", sagt Sportwissenschaftlerin Kamilla Swart der DW. Die Südafrikanerin, die an der Hamad-bin-Khalifa-Universität in Doha in Katar arbeitet, ist eine international anerkannte Expertin für Sport-Großveranstaltungen. Die Chancengleichheit bei der Vergabe sei zwar noch nicht ganz hergestellt, so Swart, aber inzwischen sei es "für eine afrikanische Stadt wahrscheinlicher, mit einer Bewerbung erfolgreich zu sein". Die afrikanischen Länder wirkten auch "entschlossener, dafür zu sorgen, dass endlich der fünfte [olympische - Anm. d. Red.] Ring durch eine Stadt oder ein Land aus Afrika entfaltet wird".
An Entschlossenheit mangelt es Ägypten nicht. Fünfmal bewarben sich afrikanische Städte um Sommerspiele, viermal kamen sie aus Ägypten. Dreimal zog die Hafenstadt Alexandria den Kürzeren: bei den Wahlen für die Spiele 1916 - die wegen des Ersten Weltkriegs ausfielen - und 1936, jeweils gegen Berlin, sowie gegen Tokio, das die Spiele 1940 ausrichtete. Im Rennen um Olympia 2008 scheiterte Kairo bereits in der Vorauswahl. Einziger nicht-ägyptischer Bewerber aus Afrika war bisher die südafrikanische Metropole Kapstadt, die es bei der Wahl für die Spiele 2004 immerhin auf den dritten Platz schaffte.
Gastgeber vieler Großereignisse
Ägypten hat laut Sportminister Sobhy für die angekündigte Olympiabewerbung die Rückendeckung der ANOKA, der Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees Afrikas. Das Land hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es in der Lage ist, Großereignisse in olympischen Sportarten zu veranstalten. 2017 und 2021 richtete Kairo die Weltmeisterschaften im Modernen Fünfkampf aus. 2019 war das fußballbegeisterte Ägypten bereits zum vierten Mal Gastgeber des "Africa Cup of Nations", mit sieben Erfolgen ist das Land Rekordsieger der Kontinentalmeisterschaft. Anfang 2021 gab Ägypten - mitten in der Corona-Pandemie - die Bühne für die Handball-Weltmeisterschaft. Und im kommenden Sommer steht in Kairo die Fecht-WM auf dem Programm.
Die Olympischen Spiele in 14 Jahren sollen nach dem Willen der Regierung in der neuen Verwaltungshauptstadt Ägyptens steigen, die seit 2015 unter Federführung chinesischer Bauunternehmen knapp 50 Kilometer östlich von Kairo entsteht. Die Kosten werden auf umgerechnet rund 45 Milliarden Euro geschätzt. In der Wüstenstadt, die noch keinen Namen trägt, sollen am Ende 6,5 Millionen Menschen leben, die ersten Ministerien beziehen gerade ihre neuen Quartiere. In der Stadt vom Reißbrett entsteht auch ein großes Sportareal, die "Internationale Olympische Stadt". Eine Halle für 7500 Zuschauer wurde bereits für Spiele der Handball-WM 2021 genutzt. Glanzpunkt des Sportareals soll eine Arena für mehr als 90.000 Zuschauer werden, die im Falle des Zuschlags für 2036 zum Olympiastadion würde.
Präsident Abdel Fattah al-Sisi überzeugt sich regelmäßig persönlich vor Ort vom Fortschritt der Bauarbeiten. Für den General, der sich 2013 mit Hilfe des Militärs an die Macht putschte, ist die neue Hauptstadt ein Prestigeprojekt. Al-Sisi wird nicht müde, die entstehende Stadt als Zeichen einer "neuen Ära" in der Geschichte Ägyptens zu bezeichnen. Die ersten Olympischen Spiele auf afrikanischem Boden würden dazu perfekt passen, am besten noch garniert mit vielen Erfolgen ägyptischer Sportler.
Olympisches Förderprogramm
Bei den Spielen 2021 in Tokio wurde Karatekämpferin Feryal Abdelaziz bejubelt, die als erste ägyptische Frau Gold gewann. Insgesamt holten ägyptische Aktive sechs Medaillen: einmal Gold, einmal Silber, viermal Bronze. Trotz dieser bisher höchsten Medaillenausbeute bei Sommerspielen gibt es nach Einschätzung von Sportminister Sobhy noch Luft nach oben. Das Land war schließlich in Tokio mit 136 Sportlerinnen und Sportlern vertreten, so vielen wie noch niemals zuvor.
Die Regierung hat das Programm "Olympic Champions" ins Leben gerufen, mit dem Talente in olympischen Sportarten aufgespürt und gezielt unterstützt werden sollen. "Die Ergebnisse sind vielversprechend", sagte Sobhy der ägyptischen Zeitung "Daily News": "Die Früchte werden bei den Olympischen Spielen 2024 und 2028 geerntet."
Von Olympiabegeisterung oder gar -euphorie ist in Ägypten allerdings noch nichts zu spüren. "Es gibt noch kein großes Bewusstsein für die Olympiabewerbung, weil es noch lange hin ist bis 2036", sagt der Politikwissenschaftler Said Sadek. "Das Thema wird bis jetzt weder in den Medien angesprochen noch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Vielleicht ändert sich das, wenn wir uns dem Ereignis nähern und auch die konkreten Kosten auf dem Tisch liegen."
Problematische Menschenrechtslage
Ein weiterer Stolperstein für die ägyptische Bewerbung um die Spiele 2036 könnte die Menschenrechtslage im Land sein, die sich nach Einschätzung von Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International unter Präsident Al-Sisi kontinuierlich verschlechtert hat. "Wenn ich von Herausforderungen in Bezug auf Ägypten spreche, fallen mir vor allem die Bedenken rund um die Menschenrechte ein", sagt Sportwissenschaftlerin Kamilla Swart. "Auf der anderen Seite geht es mir darum, das Positive in den Spielen zu sehen: Wie kann man sie als Möglichkeit nutzen, um Probleme anzugehen und Dinge zu korrigieren?"