Fast genau vor 50 Jahren wurden bei den Olympischen Spielen in München elf israelische Sportler und ein Polizist getötet. Um Entschädigung für Hinterbliebene gab es lange Streit; jetzt wurde eine Einigung erzielt.
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Nach jahrzehntelangem Streit über die Entschädigung für die Hinterbliebenenfamilien des Olympia-Attentats von 1972 hat die Bundesregierung mit ihnen eine Einigung erzielt. Das teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit.
Er sprach in einer Mitteilung von einer "Gesamtkonzeption" und erklärte, dass dazu die Aufarbeitung der Geschehnisse durch eine Kommission deutscher und israelischer Historiker gehöre, die rechtskonforme Freigabe von Akten, die Einordnung und Übernahme von politischer Verantwortung sowie die Bereitstellung weiterer Anerkennungsleistungen durch den Bund, durch das Land Bayern und durch die Stadt München.
Das Olympia-Attentat von München
Olympische Spiele 1972 in München: Palästinensische Terroristen nehmen elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Eine Befreiungsaktion endet in einem Blutbad und ist bis heute nicht aufgearbeitet.
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Heitere Spiele
Weltoffen und bunt - so präsentiert sich München 1972 als Olympiagastgeber. Die Spiele sollen "heiter" sein und ein anderes Deutschland-Bild zeichnen als das der Nazi-Spiele von 1936 in Berlin. Die Polizei vor Ort trägt weder Uniform noch Waffen und hält sich im Hintergrund. Zehn Tage lang feiert München mit Gästen aus aller Welt ein friedliches Fest. Auch sportlich sind die Spiele ein Erfolg.
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Umjubelte Höchstleistungen
US-Schwimmer Mark Spitz holt siebenmal Gold. Aus deutscher Sicht begeistern vor allem die Leichtathleten: Heide Rosendahl gewinnt Gold im Weitsprung und mit der Staffel, Klaus Wolfermann im Speerwerfen. Die erst 16-jährige Ulrike Meyfarth (Foto) wird am Abend das 4. September Olympiasiegerin im Hochsprung - mit neuem Weltrekord. Die Fans sind euphorisch, doch am nächsten Tag folgt der Schock.
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Überfall am frühen Morgen
Acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" dringen in der Nacht zum 5. September in eine Wohnung der israelischen Mannschaft im Olympischen Dorf ein. Sie erschießen Ringer-Trainer Mosche Weinberg und verletzen Gewichtheber Josef Romano schwer. Er verblutet, während neun weitere Geiseln gefesselt im selben Raum sitzen und ihm beim Sterben zusehen müssen.
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Ergebnislose Verhandlungen
Die Terroristen fordern die Freilassung von über 200 Gefangenen aus israelischer Haft. Im Gegenzug wollen sie die Geiseln freilassen, sie bei Nichterfüllung töten. Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (3.v.l.) und weitere Offizielle verhandeln mit dem Anführer der Terroristen, der sich Issa nennt. Genscher und andere bieten sich sogar als Ersatzgeiseln an, doch die Fronten sind verhärtet.
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Veto aus Israel
"Sollten wir nachgeben, kann sich kein Israeli auf der Welt seines Lebens jemals wieder sicher sein", lehnt Israels Regierungschefin Golda Meir diese "Erpressung der schlimmsten Art" ab. Aber Israel bietet an, Spezialkräfte zu schicken, um die Geiseln zu befreien. Die Bundesregierung verzichtet, wohl auch, weil das Grundgesetz den Einsatz ausländischer Kräfte auf deutschem Boden verbietet.
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Abbruch unter Druck
Die Sportwettbewerbe laufen trotz der beiden Morde und der Geiselnahme zunächst weiter. Während Polizisten auf dem Olympiagelände das von den Terroristen besetzte Haus abriegeln, drängen sich Zuschauer und Schaulustige durch den Olympiapark. Erst als demonstrierende Israelis einen Stop der Spiele fordern, reagieren die Organisatoren und ordnen am Nachmittag des 5. September eine Unterbrechung an.
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Erstürmung live im TV
Bayerns Polizei ist auf die Geiselnahme schlecht vorbereitet und für solche Einsätze nicht geschult. Bewaffnete Polizisten versuchen, die Wohnung in der Connollystraße 31 zu stürmen, bleiben aber nicht unbeobachtet. Im Gegenteil: Live wird im Fernsehen gezeigt, wie die Beamten sich den Geiselnehmern nähern. Das sehen auch die Terroristen - die Aktion wird daher nach kurzer Zeit abgebrochen.
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Freies Geleit, aber nur zum Schein
Mehrfach wird das Ultimatum der Terroristen verlängert. Man kommt schließlich überein, dass sie mit zwei Hubschraubern zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck gebracht werden und von dort samt Geiseln nach Kairo ausfliegen sollen. Allerdings gehen die deutschen Unterhändler nur zum Schein auf die Forderungen ein. Sie wollen den Terroristen eine Falle stellen - doch das geht gründlich schief.
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Schlechte Vorbereitung
Am Flughafen Fürstenfeldbruck wartet eine Boeing, darin als Besatzung getarnte Polizisten. Sie sollen die Attentäter überwältigen. Doch die Beamten sind dafür weder ausreichend bewaffnet noch ausgebildet. Eigenmächtig brechen sie den Einsatz ab. Die übrigen, wenigen Polizisten am Flughafen wissen nicht, dass es sich um acht Geiselnehmer handelt und nicht - wie man bislang glaubte - nur um fünf.
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Blutiges Fiasko
Als zwei Terroristen die Boeing inspizieren, eröffnet die Polizei das Feuer. Es folgt ein stundenlanges Gefecht. Verstärkung kommt wegen vieler Schaulustiger vor dem Flughafen erst spät. Schließlich sprengen die Terroristen einen der Helikopter mit einer Handgranate, die Gefangenen im zweiten erschießen sie. Am Ende sind 15 Menschen tot: ein Polizist, fünf der Attentäter und alle neun Geiseln.
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"The games must go on"
Im Olympiastadion findet noch am 6. September eine Gedenkfeier für die Opfer statt. Dort verkündet IOC-Präsident Avery Brundage, dass man sich nicht dem Terror beuge. "The games must go on", dieser Satz spaltet die Gesellschaft, sorgt für Protest, erntet aber auch Zustimmung. Heiter sind die Spiele von München in den verbleibenden Tagen allerdings nicht mehr.
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Fassungslosigkeit
Wenige Tage nach dem Attentat kommt Ankie Spitzer, Witwe des ermordeten Fechttrainers André Spitzer, in die Connollystraße, um die persönlichen Sachen ihres Mannes abholen. "Es war Chaos, überall war Blut", beschreibt sie diesen Moment in der ZDF-Doku "Anschlag auf Olympia". "Es lag Essen auf dem Boden, außerdem hatte man die Geiseln nicht zur Toilette gehen lassen. Es war schrecklich."
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Nichts falsch gemacht
Etwa zur gleichen Zeit veröffentlicht Münchens Polizeispitze um Polizeipräsident Manfred Schreiber (Foto) bereits einen Bericht. Darin steht, man habe "nichts falsch gemacht" und hätte mit den vorhandenen Mitteln und unter den gegebenen Umständen auch "nichts besser machen können". Vielmehr habe Israel mit seiner Absage an die Forderungen der Terroristen "über die Geiseln das Todesurteil gefällt".
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Verschärfte Sicherheit
Dennoch zieht man Lehren aus dem gescheiterten Einsatz: Das Olympia-Attentat ist eine Zäsur, der Terror in Deutschland Realität geworden. Die Bundesregierung gründet noch im September 1972 als Reaktion die Grenzschutz-Spezialtruppe GSG 9 als Anti-Terror-Einheit. Unter anderem 1977 bei der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut kommt sie zum Einsatz. Alle Geiseln von Mogadischu überleben.
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Freigepresst
Die drei überlebenden Attentäter bleiben nicht lange in Deutschland. Als im Oktober 1972 in Zagreb ein deutsches Flugzeug entführt wird, werden sie ins damalige Jugoslawien ausgeflogen und gegen Passagiere und Besatzung ausgetauscht. Bis heute hält sich der Vorwurf, die Entführung des Lufthansa-Flugs 615 sei von der Bundesregierung inszeniert worden, um sich der Mörder zu entledigen.
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Keine Entschuldigung
Eine echte Aufarbeitung des Attentats fehlt bis heute. Keiner der Verantwortlichen musste zurücktreten. Die Ermittlungsakten liegen noch bis 2047 unter Verschluss. Berechtigte Anfragen der Hinterbliebenen werden stets abgewiesen. Vor allem aber gibt es von deutscher Seite lange Zeit kein offizielles Schuldeingeständnis - auch die Frage der finanziellen Entschädigung sorgt für Streit.
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Gedenken ohne Angehörige?
50 Jahre nach dem Attentat droht die Peinlichkeit, dass die Angehörigen der Gedenkfeier in München fernbleiben. Damit steht auch der Besuch von Israels Staatspräsident Herzog auf der Kippe. Die Hinterbliebenen sind verletzt: "Wir haben das Gefühl, dass der Missbrauch und die Art und Weise, wie wir behandelt werden, nicht aufgehört haben", sagt Ankie Spitzer, die Sprecherin der Opfer-Familien.
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Spätes Übereinkommen
Erst kurz vor der Gedenkfeier wird der Eklat abgewendet: Am 31. August bestätigt das Bundespräsidialamt eine Einigung. Die genaue Abfindungssumme wird nicht publik, nach Medienberichten sind es 28 Millionen Euro. Ankie Spitzer (Foto) ist erleichtert. "Ich kann endlich anfangen, mich um meine Enkel zu kümmern", sagt sie. Die Familien werden zur Gedenkfeier nach München kommen.
Bild: Maya Alleruzzo/AP Photo/picture alliance
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Familien der Hinterbliebenen wollen jetzt an Gedenkfeier teilnehmen
Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr, war zuletzt eine Entschädigungssumme von 28 Millionen Euro im Gespräch. Davon soll der Bund 22,5 Millionen, das Land Bayern 5 Millionen und die Stadt München 500.000 Euro beitragen.
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Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum hatte zusammen mit Juristen einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei die Hinterbliebenen in den Verhandlungen vertreten. Die Vereinbarung ermögliche auch eine würdige Gedenkfeier am 5. September in Anwesenheit der Präsidenten Izchak Herzog und Frank-Walter Steinmeier und vor allem in Anwesenheit der Hinterbliebenen, die sich unter den neuen Umständen bereit erklärt hätten, an der Feier teilzunehmen, so FDP-Politiker Baum. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte zur Einigung, für sie sei wichtig, "dass wir uns den Menschen, deren Leben durch Anschläge dramatisch verändert wurde, mit mehr Empathie und mehr Unterstützung zuwenden".
Befreiungsversuch vor 50 Jahren endete katastrophal
Am 5. September 1972 hatten palästinensische Terroristen bei den Olympischen Spielen in München die israelische Mannschaft überfallen. Elf Mitglieder des Teams und ein Polizist wurden bei der misslungenen Befreiungsaktion der Polizei am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck bei München getötet. Die Sicherheitsvorkehrungen galten als mangelhaft.
"Kreis hat sich geschlossen"
Ankie Spitzer, die Witwe des ermordeten Athleten Andrei Spitzer, zeigte sich erleichtert über die Einigung. Sie habe das Gefühl, dass sich "der Kreis endlich geschlossen" habe. Die Hinterbliebenen hätten jetzt alles erreicht, was sie erreichen wollten, sagte Spitzer dem niederländischen Nieuw Israelietisch Weekblad. Bislang waren insgesamt 4,6 Millionen Euro an die Familien der Opfer gezahlt worden.
Ein weiteres Angebot, das es vor der jetzt erzielten Einigung gab - angeblich 200.000 Euro pro Familie - hatte Spitzer zuletzt als "Beleidigung" bezeichnet. Für sie sei diese Summe keine angemessene Entschädigung und auch kein ausreichendes Schuldeingeständnis Deutschlands für das mangelhafte Sicherheitskonzept und den vollkommen verunglückten Anti-Terror-Einsatz in Fürstenfeldbruck.