Florian Wellbrock - das Vorbild
5. August 2021Florian Wellbrock stammt aus Bremen. Vielleicht ist das einer der Gründe für die besondere Hartnäckigkeit dieses Sportlers, dem nicht nur der Widerstand des Wassers wenig anhaben mag. Bei diesen Olympischen Spielen hat Wellbrock gezeigt, wie wichtig es ist, bis zuletzt durchzuhalten. Und sich von Rückschlägen nicht einschüchtern zu lassen.
"Genieß Dein Leben ständig ..."
Der Satz, den Wellbrock auf der Brust trägt, als Tätowierung, passt dazu. "Genieß Dein Leben ständig, Du bist länger tot als lebendig", steht da neben der linken Schulter. Wenn Kinder und Jugendliche sich für Sport entscheiden, für Leistungssport gar - so ein Typ wie Wellbrock kann ihnen als Vorbild dienen. Kein Überflieger, nicht abgehoben. Aber: Weltmeister und jetzt auch Olympiasieger. Weil er Leistung bringt, sich nicht unterkriegen lässt. Neben dem Talent ist das vielleicht die wichtigste Tugend, die man jungen Schwimmerinnen und Schwimmern mitgeben kann.
Im Dezember 2006 starb seine 13 Jahre alte Schwester Franziska aus ungeklärter Ursache - kurz vor einem Schwimmwettkampf. Wellbrock war damals neun Jahre alt, sein Schwimmtalent bereits entdeckt. Nach dem Schicksalsschlag wechselte er 2007 an dieselbe Sportschule in Bremen, die auch seine Schwester besucht hatte. Zwölf Jahre später wurde er Weltmeister.
Und jetzt - Tokio 2020, Momentaufnahme Nummer eins: Bei der olympischen Premiere über 800 Meter der Männer schwimmt Wellbrock ein exzellentes Rennen, gleitet durch das Wasser, kommt bei 750 Metern als Erster aus der letzten Wende. Doch dann muss er erleben, dass andere auf der letzten Bahn schneller sind, er nur als Vierter anschlägt. Warum? Bei 650 Metern habe er das Tempo hochgenommen, weil er gesehen habe, wie eng es werden könnte. Dies sei "ein Tickchen zu doll, ein Tickchen zu früh" gewesen, glaubt er hinterher. Nur Platz vier? Andere Sportler hätten sich von diesem Frust überwältigen lassen.
Und dann, Momentaufnahme Nummer zwei: Das Freiwasser-Rennen in der Bucht von Tokio, morgens früh um 6.30 Uhr Ortszeit, später wäre es zu heiß. Schon kurz nach dem Start setzt sich Wellbrock an die Spitze und gibt sie bis zum Ende der 10.000 Meter nicht mehr ab. Als seine Konkurrenten - am Ende wird er mit über 25 Sekunden Vorsprung vor dem Ungarn Kristof Rasovszky und dem Italiener Gregorio Paltrinieri ins Ziel kommen - zwischenzeitlich die Lücke schließen, hat man als Beobachter kurz Sorge. Doch Wellbrock schwimmt an diesem Tag weiter voran. Überlegen. Hinterher sagt er den Reportern: "Ich bin in der ersten Runde um die erste Boje rum, habe mich umgeguckt und gedacht: Jungs, wollt ihr keinen Wettkampf schwimmen heute? Ich glaube, viele waren von der Wassertemperatur recht eingeschüchtert und ich habe beim Training in den letzten Tagen schon gemerkt: So viel wärmer als ein Schwimmbecken fühlt sich das nicht an."
Das geht nicht? Und dann kommt einer, der es macht ...
Und so holt Wellbrock die erste Goldmedaille für den Deutschen Schwimm-Verband seit 13 Jahren. Bronze über 1.500 Meter hat er auch im Gepäck. Dass Leistungsschwimmer sowohl im Freiwasser als auch im Becken erfolgreich sind, ist äußerst selten. Der Regelfall sind eher Spezialisten für das eine oder das andere. Zu unterschiedlich sind die Bedingungen. "Eigentlich klappt das mit dem Doppelstart bei kaum jemandem", hatte Ex-Bundestrainer Henning Lambertz noch bei der EM 2018 zu Protokoll gegeben.
Das geht nicht? Dieser Spruch gilt nur so lange, bis jemand kommt, der es macht. Jemand wie Florian Wellbrock eben. Mit seiner Verlobten Sarah Köhler bildet er so etwas wie das Power-Paar des deutschen Schwimmsports: Es sei wertvoll, "jemanden an der Seite zu haben, der das Gleiche durchmacht und zu 100 Prozent für alles Verständnis hat, der dich voll unterstützt", hat Wellbrock das einmal beschrieben. "Commitment" zu zeigen für den Sport - das Deutsche bietet kein gutes Wort für das, was Leistungssportler mitbringen. Ein Vorbild eben. Wie schön.