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Politik

Sorgen um die Zukunft Polens

7. September 2020

Der polnische Ombudsmann für Bürgerrechte, oft "Menschenrechtsbeauftragter" genannt, beendet diese Woche seine Amtszeit. Ein Nachfolger ist noch nicht bestimmt. Im DW-Interview zieht Adam Bodnar eine kritische Bilanz.

Flaggen der EU und von Polen
Flaggen der EU und Polens bei einer Demonstration in WarschauBild: picture-alliance/dpa/L.Szymanski

Deutsche Welle: Mit welchen Gefühlen verlassen Sie das Amt?

Adam Bodnar: Einerseits mit Zufriedenheit, dass es viele Jahre lang gelungen ist, demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenrechte zu verteidigen. Andererseits in Sorge darum, wie es in Polen weitergehen wird und ob die Bürger imstande sein werden, selbstständig mit all den Gefahren klarzukommen, denen die Demokratie ausgesetzt ist.

Wir driften von einem Staat, der vielleicht nicht ideal, aber doch demokratisch war, hin zu etwas, was ich "Hybrid-Demokratie" nennen würde. Ich würde sogar soweit gehen, es als competitive authoritarianism (Staatsform mit Wahlen und Opposition, in der die Exekutive aber dominiert, d.Red.) zu bezeichnen.

Adam Bodnar, Ombudsmann für Bürgerrechte in PolenBild: DW/M.Gwozdz-Pallokat

Welche konkreten Erfolge meinen Sie?

Am wichtigsten waren Gerichtsverfahren, die konkrete Auswirkungen auf Bürger hatten oder etwa umweltschädliche Investitionen blockiert haben. Ich habe die Präsenz des Ombudsmannes in Gerichten deutlich verstärkt. Es ist auch gelungen, einige Prozesse auszubremsen. Hierbei denke ich beispielsweise an die Rechte der LGBT-Menschen. Vor allem aber konnten wir zeigen, dass es von der Verfassung verbriefte Werte gibt, die Schutz verdienen.

Wozu dienen die Attacken auf die LGBT-Community?

Es ist ein Element eines kulturellen Krieges um die Seelen der Menschen und auch, um sich auf der politischen Bühne zu positionieren. Zurzeit ist es auch ein Krieg innerhalb der Regierungsfraktion selbst. Die Gruppierungen innerhalb dieses Lagers stehen miteinander in einem Wettbewerb, welche von ihnen die radikalste ist.

Anfang August kam es in Warschau bei einer Pro-LGBT-Demo zu scheinbar wahllosen Festnahmen. Ein Beispiel für die Verletzung von Menschenrechten?

48 Menschen wurden an diesem Abend unter Verletzung einer ganzen Reihe von Rechten festgenommen - das Recht auf einen Verteidiger, auf Kontakt mit der Familie, auf angemessene Hygiene-und Gesundheitsbedingungen. Und vor allem stellt sich die Frage: War das wirklich notwendig? Ich hatte den Eindruck, und das bestätigten auch die Besuche meiner Mitarbeiter auf den Polizeiwachen: In vielen Fällen waren diese Festnahmen reiner Zufall. Vielleicht spielte eine Art Schikane seitens der Polizei eine Rolle, die Menschen schnell und präventiv festzunehmen.

Sie sprachen kürzlich von einer Neudefinition des Begriffs Menschenrechte durch die PiS-Regierung - vom Schutz der einzelnen Person zum Schutz der Gemeinschaft. Was ist schlecht daran?

Menschenrechte bezogen sich immer schon auf den Schutz der Würde des Individuums und nicht der Gruppe, den Schutz vor Unrecht seitens des Staates.

Pro-LGBT-Proteste in Warschau (7. August 2020)Bild: Reuters/Agencja Gazeta/A. Stepien

Ja, das ist das Verständnis in unserem Kulturkreis, aber im Fernen Osten etwa ist es anders, dort hat die Gruppe einen anderen Stellenwert.

Das stimmt, aber wir sind immer noch in Europa und ein Mitgliedstaat der EU. Wir haben internationale Verträge ratifiziert. Auch in der polnischen Verfassung, die vor 23 Jahren angenommen wurde, sind Rechte und Freiheiten des Individuums und die Menschenrechte verankert. Die Mehrheit verfügt über Instrumente, die sie zu ihrem eigenen Schutz einsetzen kann. Aber diese Mehrheit hat zugleich dafür zu sorgen, dass jeder Vertreter einer Minderheit geschützt ist, ob ethnisch, sexuell, ob Menschen mit Behinderung oder anderer Konfession.

Da fragt ein "Durchschnitts-Kowalski" vielleicht, heterosexuell, katholisch: Wer schützt mich? Fühlen sich die "Otto-Normalverbraucher" nicht oft alleingelassen?

Ja, aber ich sage dann immer, auch dieser "Herr Kowalski", ein weißer, heterosexueller Mann, kann irgendwann diskriminiert werden. Zum Beispiel, wenn er mit seiner weißen Hautfarbe in der Minderheit ist. Dann wird er auch Respekt erwarten. Es hat keine Bedeutung, dass wir an einem Tag die Mehrheit sind, weil wir schon am nächsten in der Minderheit sein können.

Lassen Sie uns auf die Justiz in Polen schauen. Wenn jemand nicht auf Regierungslinie ist, kann er dem "refomierten" Justizsystem noch trauen?

Alles hängt davon ab, um welches Verfahren es sich handelt. Wenn die Interessen des Bürgers im Widerspruch stehen zu den Interessen der Behörden, eines Staatsbetriebs oder einer regierungsnahen Person, dann kann sich herausstellen, dass seine Rechte missachtet werden, dass der Richter unter Druck steht. Wir kehren zu einem System zurück, das es in Polen vor 1989 gab. Damals wusste jeder, der in staatlichen Strukturen verkehrte, dass es rote Linien gibt. Du kannst arbeiten, urteilen, Staatsanwalt sein, aber Du musst vorsichtig sein, wenn es eine politische Komponente gibt. Wenn Du das Recht zu sehr beachtest, dann kann es beruflich Folgen haben. Das ist sehr gefährlich.

Unabhängigkeit der Justiz: Solidaritätskundgebung für polnische Richter in Warschau (11. Januar 2020)Bild: Reuters/K. Pempel

Wie steht es also um die Menschenrechte in Polen?

Die Verbundenheit mit den Menschenrechten ist hier immer noch tief. Problematisch aber ist, dass einigen Politikern die Vorstellungskraft dafür fehlt, wo wir stehen. Ich habe den Eindruck, dass einige immer noch meinen, an einem demokratischen Spiel teilzunehmen, bei dem die Karten normal verteilt werden. Nein, es ist kein demokratisches Spiel mehr, sondern eines, bei dem die eine Seite der anderen stark überlegen ist. Das hat auch die Präsidentenwahl bewiesen. Der Einsatz öffentlicher Medien und anderer staatlicher Mittel im Wahlkampf war ein Beispiel dafür. Die  Opposition wird es Jahr für Jahr immer schwerer haben. Damit wird es auch immer schwieriger, Bürgerrechte zu schützen.

Einige sagen, Sie sind die letzte Person im Land, die einen hohen Posten bekleidet und nicht auf PiS-Linie ist. Wie fühlt sich das an?

Man kann es so sehen, aber ich mag diese Sichtweise nicht. Freiheit steckt in jedem Bürger. Jeder hat seine Rechte, solange Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit sowie der Zugang zu öffentlichen Informationen gewährleistet bleiben. Die Frage ist eher, ob die polnischen Bürger entschlossen genug sind, für ihre Rechte einzutreten. Oft merke ich, dass wir zu leicht Dinge einfach hinnehmen, die in Polen passieren. Wir sollten die Konsequenzen etwa legislativer Handlungen erkennen und eine längere Zeit im Blick haben als nur den morgigen Tag.

Adam Bodnar ist Verfassungsrechtler, Menschenrechtsaktivist und seit 2015 Ombudsmann für Bürgerrechte in Polen

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