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COVID-19: Woher die Omikron-Variante ihren Namen hat

Stuart Braun
2. Dezember 2021

Das griechische Alphabet für die Bezeichnung der Coronavirus-Varianten soll Diskriminierung vermeiden. Dafür wird auch schon mal die Reihenfolge übersprungen.

Symbolbild mit einer Darstellung von Virusvarianten mit ihren griechischen Bezeichnungen Alpha, Beta, Gamma, Delta, in der Mitte ein Globus
Bis Gamma wurde die Reihenfolge eingehalten, danach wurden Buchstaben übersprungenBild: Sascha Steinach/ZB/picture alliance

Es kann schon mal vom eigenen schlechten Gesundheitsmanagement ablenken, wenn man das Ausland für den Ausbruch einer Epidemie verantwortlich macht. So habe etwa der ehemalige US-Präsident Trump das Coronavirus als "China-Virus" bezeichnet, als er aufgrund der steigenden Fallzahlen in seinem Land unter Druck geraten sei, sagt Jerôme Viala-Gaudefroy, Assistenzprofessor an der CY Cergy Université in Paris. Er beschäftigt sich mit der Herkunft von Krankheitsnamen und hat mehrere Beispiele für derartige "Ablenkungsmanöver", um die Gefahr auf Distanz zu halten, gefunden: "Die sogenannte Spanische Grippe, die während des Ersten Weltkrieges Millionen Menschen getötet hat, kam wahrscheinlich aus den USA. Sie wurde mit Spanien assoziiert, wo der erste Fall identifiziert wurde", so Viala-Gaudefroy - damit habe man vom wahren Ursprung abgelenkt.

Während Trump und seine republikanischen Gefolgsmänner im Jahr 2020 das Coronavirus weiterhin als "chinesische Grippe" brandmarkten und behaupteten, dass es in einem Labor in Wuhan ausgebrütet wurde, wurden US-Amerikaner mit asiatischen Wurzeln zunehmend diskriminiert und angegriffen.

Krankheitsnamen dürfen nicht diskriminieren

Trump machte zudem sehr gerne von Kriegsmetaphern Gebrauch, wenn er von dem Virus sprach - so benutzte er Ausdrücke wie "der unsichtbare Feind", bemerkte Viala-Gaudefroy, damit habe Trump das Bild eines Kampfes gegen eine ausländische Invasion vermitteln wollen.

Stigmatisierung wegen Corona

03:07

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Auch in Nordindien wurden "chinesisch aussehende" Einheimische, die in Gebieten an der Grenze zu China lebten, diskriminiert und sogar zur Quarantäne gezwungen - auch ohne COVID-Symptome.

Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits 2015 eine Richtlinie für die Benennung neuer Krankheiten herausgegeben. Dort wird empfohlen, darauf zu achten, dass "keine kulturelle, soziale, nationale, regionale, berufliche oder ethnische Gruppe verletzt wird".

"Zu den COVID-19-bezogenen Äußerungen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Internet gehören Belästigungen, Hassreden, die Verbreitung diskriminierender Stereotypen und Verschwörungstheorien", sagte E. Tendayi Achiume, UN-Sonderberichterstatter für Rassismus bereits im März 2020.

"Es überrascht nicht, dass Anführer, die versuchen, die Schuld an COVID-19 bestimmten nationalen oder ethnischen Gruppen zuzuschreiben, dieselben nationalistischen populistischen Anführer sind, die rassistische und fremdenfeindliche Rhetorik in den Mittelpunkt ihrer politischen Programme gestellt haben", so Achiume.

Neue Varianten - das gleiche Problem

Als das Coronavirus mutierte, wurden die neuen Varianten wieder nach ihrem vermuteten Ursprungsland benannt, wie etwa die "Indische Variante".

Der versteckte Rassismus in den Bezeichnungen neuer Virusvarianten veranlasste die WHO im Mai 2021, fast 18 Monate nach dem ersten Auftreten des Virus, ab sofort griechische Buchstaben für die Bezeichnung der COVID-19-Varianten zu verwenden. Die indische Variante erhielt den Namen "Delta". Damit erhoffe man sich, dass die Länder nun nicht mehr stigmatisiert werden, nur weil dort eine neue Variante entdeckt worden sei, so Maria Van Kerkhove, COVID-19-Spezialistin bei der WHO.

Covid-19-Länder mit Omikron-Variante

Nun wurde also das vermeintlich neutrale griechische Alphabet für die Benennung der Varianten hinzugezogen, im Übrigen nicht nur für besonders gefährlichen Varianten. Was weniger bekannt ist: Die WHO stuft bestimmte Mutanten als "interessant" beziehungsweise "beobachtenswert" ein. So sind nach der bisher bekannten Delta-Variante bereits viele weitere Mutanten aufgetaucht, die auch ihre griechischen Buchstaben bekommen haben, also "Epsilon", "Zeta", "Lambda" und so weiter. Problematisch wurde es nun mit der neuen gefährlichen Mutation, die in Südafrika aufgetaucht ist. Der Buchstabe "Ny" wäre nun dran gewesen. Der aber erinnert zu sehr an das englische "New". Der folgende Buchstabe "Xi" klingt zu chinesisch und könnte auch Assoziationen zum chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping wecken.

Daher wurden diese Buchstaben übersprungen und die neue Virusvariante erhielt den Namen "Omikron". Doch leider war das zu spät. Denn die Bezeichnung "Südafrika-Variante" war bereits um die Welt gegangen - und wieder laufen Afrikaner, insbesondere schwarze Menschen, Gefahr, diskriminiert zu werden. 

Schlagzeile einer Zeitung im südafrikanischen PretoriaBild: Denis Farrell/AP/picture alliance

Besondern unglücklich in diesem Zusammenhang war kürzlich die Titelseite der Sonntagsausgabe der deutschen Zeitung "Rheinpfalz". Unter der Schlagzeile "Das Virus aus Afrika ist bei uns" prangte das Bild einer schwarzen Frau mit Kind. Ein gewaltiger Shitstorm traf das Blatt, das sich inzwischen für den Fehltritt entschuldigte.

Giorgina Kazungu-Haß sitzt für die Sozialdemokraten im Rheinland-pfälzischen Landtag. Sie twitterte trotz der Entschuldigung der Zeitung :


Umstrittene Herkünfte und Unwissenheit

Wie schon im Fall der Spanischen Grippe hat sich herausgestellt, dass die Omikron-Variante sehr wahrscheinlich außerhalb Südafrikas entstanden ist. Am Dienstag (30.11.2021) berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press, dass die niederländischen Gesundheitsbehörden Omikron in lokalen Proben vom 19. November entdeckt haben - also fünf Tage bevor bekannt wurde, dass Südafrika die Variante identifiziert hat.

Auch die Ebola-Pandemie wurde mit Afrika und Schwarzsein in Verbindung gebracht. Rechtsextreme Kommentatoren und Politiker erfanden den rassistischen Begriff "Obola" - eine Kreuzung aus Ebola und Barack Obama, dem damaligen schwarzen US-Präsidenten.

Die WHO warnt auch vor Namen wie Middle East Respiratory Syndrome (MERS) oder der Bezeichnung Lyme-Borreliose, die sich auf die Stadt Lyme in Connecticut bezieht, in der das Virus entdeckt wurde.

Assoziationen vermeiden

Die unklaren Ursprünge des Omikron-Virus sind zwar nun bekannt, dennoch werden südafrikanische Bürger von manchen Staaten diskriminiert: Es gibt Reiseverbote und Quarantänebeschränkungen.

Für Jerôme Viala-Gaudefroy ergibt sich daraus ein weiteres Problem: "Die Länder werden vielleicht damit aufhören, neue Varianten zu melden, um nicht mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden." Viala-Gaudefroy verweist auf die wirtschaftlichen Folgen, die sich ergeben, wenn ein Land als Quelle von COVID-Mutationen wahrgenommen wird.

Die Antirassismus-Plattform "First Responder" macht auf Twitter lautstark auf das Problem aufmerksam und warnt davor, dass die Verknüpfung einer Krankheit mit einer Nationalität zu Vorurteilen und Rassismus gegenüber jedem der - wie in diesem Beispiel - chinesisch aussehe. Daher habe die WHO andere Bezeichnungen gewählt. Nennt es einfach nur COVID-19."


Adaption aus dem Englischen von Silke Wünsch

Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.
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