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PolitikEuropa

Omikron: Lockern oder Lockdown?

14. Januar 2022

Weltweit steigen die Corona-Inzidenzen auf Rekordniveaus. Einige Staaten verschärfen ihre Schutzmaßnahmen, andere drängen auf Lockerungen. Sie verweisen auf mildere Verläufe durch die Omikron-Variante. Ein Überblick.

Deutschland | Coronavirus | Mundschutz, Fußgängerzone
Bild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Frankreich: Streit um die Schulen

Eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 2800 und fast 370.000 Neuinfektionen in 24 Stunden: Unter dem Eindruck rasant steigender Corona-Zahlen hat der Senat in Paris in der Nacht zu Donnerstag die Regeln für Ungeimpfte verschärft. Sie erhalten demnächst keinen Zugang mehr zu Restaurants, Bars oder Kultureinrichtungen und dürfen keine Flugzeuge oder Fernzüge mehr nutzen. Bislang war dies noch mit einem aktuellen negativen Test möglich. Die Verschärfung soll nur gelten, solange sich mehr als 10.000 Corona-Patienten in französischen Kliniken befinden. Aktuell sind es rund 24.000 Patienten.

Härtere Strafen bei Verstößen lehnte der Senat jedoch ab. Und auch die Schulen sollen weiter offenbleiben. Nur ganz zu Anfang der Pandemie hatte Frankreich kurzzeitig die Schulen geschlossen. Danach hielt die Regierung in Paris durch alle Infektionswellen daran fest, den Präsenzunterricht so weit wie möglich offen zu halten.

Schulklasse in Thionville: Seit Ausbruch der Pandemie nahezu ununterbrochen in Präsenzunterricht in FrankreichBild: Pierre Heckler/MAXPPP/picture alliance/dpa

Doch unter der Lehrerschaft ist der Unmut groß. Sie protestierten am Donnerstag mit einem landesweiten Streik. Bemängelt wird, dass sich die Vorgaben zum Schutz der Schüler und des Personals ständig änderten und dass es noch immer keine klaren Regelungen für einen ordentlichen Ablauf an den Schulen gebe. Das Fass zum Überlaufen brachte, dass erst kurz vor dem Ende Weihnachtsferien neue Testanforderungen angekündigt und seitdem zweimal wieder geändert wurden.

Dänemark: Lockern und impfen

Anders als in Paris herrscht in den Straßen von Kopenhagen weitgehende Normalität. Kaum etwas deutet darauf hin, dass auch in der dänischen Hauptstadt die üblichen Pandemie-Kennziffern extrem hoch sind. Die Inzidenz erreicht seit Wochen Rekordwerte, aktuell liegt sie bei 2500. Täglich stecken sich mehr als 20.000 Menschen mit dem Coronavirus an. Und doch dürfen ab Sonntag Zoos, Vergnügungsparks, Kinos und Theater wieder öffnen. Dabei gilt beinahe flächendeckend 3G: Zugang gibt es für Geimpfte, Genesene oder Getestete.

Torvehallerne-Food-Markt in Kopenhagen: Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen und flächendeckend 3GBild: Francis Joseph Dean/Dean Pictures/imago images

Omikron-Infektionen verliefen insgesamt milder, die Lage auf den Intensivstationen sei im Griff, so Gesundheitsminister Magnus Heunicke. Die Zahlen seien zwar hoch, doch derzeit flache die Kurve der Neuinfektionen wieder ab. In Dänemark sieht man der Omikron-Welle insgesamt gelassen entgegen und setzt dabei vor allem auf die hohe Impfquote: Über 80 Prozent der Menschen sind vollständig geimpft, fast 55 Prozent sind geboostert. Und besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen stellte der Gesundheitsminister schon bald eine vierte Impfung in Aussicht.

Spanien: Umstrittene "Grippalisierung"

Am Montag gab Pedro Sanchez ein Radiointerview - seitdem debattiert das ganze Land. Der spanische Premier hatte erklärt, zum Schutze des überlasteten Gesundheitssystems die Entwicklung der Infektionszahlen künftig nicht mehr so minutiös überwachen zu lassen wie bislang. Angesichts einer Impfquote von über 80 Prozent und vor dem Hintergrund, dass Omikron zu milderen Krankheitsverläufen führe als frühere Corona-Varianten, sei es an der Zeit, darüber nachzudenken, ob Corona nicht fortan wie eine Grippewelle zu behandeln sei.

Auf Kritik musste der spanische Premier nicht lange warten. Vielen Ärzten und Wissenschaftlern käme ein solcher Schritt noch deutlich zu früh. Angesichts einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 1400 und vieler überlasteter Intensivstationen im ganzen Land könne man COVID-19 nicht mit einer Grippe vergleichen, warnte Óscar Zurriaga, der Vizepräsident der Spanischen Gesellschaft für Epidemiologie, in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur: "Die Pandemie ist noch nicht vorbei und wir wissen nicht, wohin sie uns noch führen wird." Auch die Zahl der Corona-Toten sei derzeit noch immer deutlich höher als die einer durchschnittlichen Grippewelle.

Fußgängerzone in Madrid: Trotz hoher Inzidenzen kaum Einschränkungen in Spaniens HauptstadtBild: Viktor Cheretskiy/DW

Lockern oder nicht? Die Zerstrittenheit über diese Frage spiegelt sich auch in den derzeit geltenden spanischen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus wider. Während in der Hauptstadt Madrid trotz einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 1000 nur eine allgemeine Maskenpflicht gilt, haben mehrere andere Regionen Spaniens weitreichende 2G-Regeln eingeführt. In Asturien ist eine Bewirtung in Innenräumen nicht mehr erlaubt, und in Katalonien gilt sogar eine nächtliche Ausgangssperre.

Großbritannien: Auf Spaniens Spuren?

Im Vereinigten Königreich ist die Gemengelage eine ganz ähnliche wie in Spanien: Die Zahlen sind hoch, die Impfquote auch - und auch auf der Insel verkünden die ersten Experten bereits das Ende der Pandemie, während andere zur Vorsicht mahnen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei über 1500, täglich kommt es zu rund 170.000 Neuinfektionen. Dennoch fordert auch der ehemalige Leiter der britischen Impfstoff-Taskforce, Clive Dix, die Rückkehr zu einer "neuen Normalität", da die Omikron-Variante ähnliche Sterblichkeitsraten aufweise wie eine Grippe. Statt Massentestungen setzt Dix eher auf eine "gezielte Strategie" für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen. In Großbritannien sind mehr als 90 Prozent einfach geimpft, über 60 Prozent sind geboostert. Und die Inzidenz ist zwar hoch, jedoch hat sich die Kurve der Ansteckungen mittlerweile wieder deutlich abgeflacht.

Gesundheitsminister Sajid Javid auf Visite im Londoner St.-Georg-Hospital: Viele erkrankte PflegekräfteBild: Stefan Rousseau/PA Wire/empics/picture alliance

Am Donnerstag wurde für England die Verkürzung der Quarantänezeiten für COVID-Erkrankte von sieben auf fünf Tage verfügt, um Personalausfälle in Unternehmen, Schulen und Krankenhäusern abzufedern. In anderen Teilen des Königreiches sind die Coronaregeln teils deutlich strikter. Erst vor einigen Tagen waren 200 Soldaten in Londoner Krankenhäuser entsendet worden, weil zu viel Pflegepersonal krankheitsbedingt ausgefallen war. Die Zahl der verschobenen planbaren Operationen hat mit sechs Millionen einen neuen Rekordwert erreicht. Kein Wunder also, dass die geplanten Lockerungsmaßnahmen auch in Großbritannien kontrovers diskutiert werden.

China: Null Toleranz trotz niedriger Zahlen

Ganz anders als viele europäische Staaten kann in China von Lockerung keine Rede sein. Dabei beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz in der Volksrepublik seit Monaten nahezu null. Dennoch befinden sich derzeit gleich drei Großstädte im Lockdown: Xi'an mit 13 Millionen sowie Anyang mit 5,5 Millionen und Yuzhou mit einer Million Einwohnern.

Massentests in Tianjin: Reaktion auf erste Infektionen mit der Omikron-VarianteBild: CHINATOPIX/dpa/picture alliance

Die Abriegelungen sind Teil einer rigorosen Null-COVID-Strategie. Sobald auch nur einige wenige Fälle auftauchen, werden ganze Städte unter Quarantäne gestellt. Alle Einwohner werden getestet und dürfen ihre Häuser nicht verlassen, enge Kontaktpersonen Infizierter werden zwangsweise in Quarantäne-Hotels untergebracht. Die Corona-App ist in der Volksrepublik verpflichtend, so dass Kontakte leicht nachverfolgt werden können. Der internationale Flugverkehr ist immer noch stark eingeschränkt, ankommende Passagiere müssen wochenlang in Quarantäne.

China verzeichnet bislang seit Beginn der Pandemie offiziell nur rund 100.000 Corona-Fälle. In Frankreich oder Spanien infizieren sich derzeit mehr Menschen an einem einzigen Tag. Abgesehen von den regionalen Lockdowns hat sich das Leben in China weitgehend normalisiert. Dennoch wird damit gerechnet, dass die rigorose Null-COVID-Strategie noch mindestens bis zu den Olympischen Winterspielen in Peking Mitte März beibehalten wird.

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
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