Zwischen Handybestellung und Papierkatalog
14. Dezember 2019Das Jahr hat gut angefangen: Für viele galt 2019 als das Jahr, in dem der Onlinehandel in Afrika seinen großen Durchbruch haben würde. Im April geht Jumia in New York an die Börse. Das in Nigeria gegründete Unternehmen ist auf Onlinehandel in Afrika spezialisiert, in über zehn afrikanischen Ländern aktiv. Und der afrikanische Markt bietet großes Potential: "Im Vergleich zu Europa, wo bereits 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung online einkaufen, sind es in Afrika durchschnittlich weniger als fünf Prozent", sagt Torbjörn Fredriksson. Er leitet die Abteilung E-Commerce und digitale Wirtschaft bei der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD).
Schon nach dem ersten Handelstag an der Börse liegt der Aktienkurs von Jumia 75 Prozent über dem Ausgabepreis. Zeitweise kostet eine Aktie knapp 50 US-Dollar. Doch gut ein halbes Jahr später ist die Euphorie vorbei. Der Aktienkurs vom "Amazon Afrikas", wie Jumia auch genannt wird, liegt inzwischen bei weniger als sechs Dollar.
Schlechte Straßen, keine Hausnummern
Im November zieht sich das Unternehmen aus Tansania und Kamerun zurück, im Dezember auch aus Ruanda. Beobachter rechnen damit, dass Jumia 2019 den wohl größten Verlust der Firmengeschichte schreibt. Brancheninsidern zufolge kämpft Jumia mit bekannten Hürden für Onlinehandel in Afrika: fehlendes Vertrauen der Konsumenten, mangelhafter Verbraucherschutz, schlechte digitale und physische Infrastruktur, schwache Kaufkraft.
Auch seien die Bezahlsysteme noch nicht für den Onlinehandel angelegt, sagt Fredriksson. So ist Afrika zwar bekannt für Mobile Paying, also das Bezahlen per Handy oder Smartphone. Doch dabei schicken die Nutzer bisher vor allem Geld von Person zu Person. Laut Fredriksson ist das System noch nicht für das Bezahlen von Waren adaptiert. Dazu kämen komplizierte Zollprozeduren und die Tatsache, dass viele Menschen gerade in ländlichen Regionen in Häusern ohne Hausnummer und Straßennamen lebten und keine Adresse hätten, erklärt Alastair Tempest. Er ist Geschäftsführer des Ecommerce Forum Africa - ein panafrikanischer Verband, der sich zum Ziel gesetzt hat den Onlinehandel in Afrika zu fördern. All dies bedeute, dass die Händler nicht wie in Europa auf bestehende Strukturen zurückgreifen könnten, sagt Tempest. "Die Plattformen müssen selbst in deren Aufbau und die Behebung von Mängeln im Wirtschaftssystem investieren", sagt auch Fredriksson.
Chance oder Gefahr für Afrika?
Während Afrikas E-Commerce-Vorreiter Jumia strauchelt, drängt Chinas größter Onlinehändler Alibaba auf den Markt. Nach der Gründung eines digitalen Handelszentrums in Ruanda 2018 hat er im November ein weiteres regionales Zentrum seiner Electronic World Trade Platform in Äthiopien eröffnet: eine Art digitalen internationalen Marktplatz für Waren und Finanzprodukte. Mit der Initiative will der chinesische E-Commerce-Gigant erreichen, dass "kleine und mittlere Unternehmen mehr von der Globalisierung profitieren" - am liebsten natürlich auf den firmeneigenen Plattformen.
Torbjörn Fredriksson von der UNCTAD zeigt sich besorgt über die Konzentration auf wenige große Player: "Den wesentlichen Anteil in der Weltwirtschaft an der aktuellen digitalen Transformation haben China und die USA, mit 90 Prozent des globalen Marktwertes. Die afrikanischen Volkswirtschaften hinken hinterher. Es besteht eine große Gefahr, dass es zu einer Verschärfung der Einkommensungleichheit und weiteren Kluft zwischen Afrika und anderen Teilen der Welt kommt."
Alastair Tempest vom Ecommerce Forum Africa hingegen sieht gerade im Onlinehandel eine Chance für Afrika. Dadurch kämen Menschen an Adressen und Bankkonten, die bisher davon ausgeschlossen waren. Das könnte auch Behördengänge oder sogar die Registrierung zu Wahlen erleichtern, hofft er - und so eine Demokratisierung des Kontinents fördern.
Dass die großen internationalen Player den Markt übernehmen, glaubt er nicht. Als Beispiel nennt Tempest Amazon: "Sie haben 2013 in Südafrika investiert, aber nach einem Jahr schon sind sie wieder gegangen - nachdem sie Verluste gemacht haben." Aktuell seien die meisten Onlinehändler in Afrika auch in afrikanischer Hand.
Hilfe bei der Bestellung und beim mobilen Bezahlen
Eines davon ist das Unternehmen Copia in Kenia. Copias Zielgruppe: Geringverdiener in ländlichen Regionen, nicht die urbane Mittelklasse, die viele andere Plattformen ansprechen möchten. Gerade auf dem Land ist die digitale Infrastruktur schlecht oder kaum ausgebaut, Strom und Internet sind nicht immer verfügbar. Dann kann ein Vertreter vor Ort helfen. Bei ihm können die Kunden in Papierkatalogen ihre Ware auswählen. Er bestellt sie dann und übernimmt auch das Bezahlen per Mobile Paying.
Um die Lieferung zum Kunden zu bringen, benutzen die Vertreter GPS - und ihr Wissen um die lokalen Gegebenheiten. Tim Steel, Geschäftsführer von Copia erklärt: "Wenn sie zum Beispiel auf eine Brücke stoßen, die durch starke Regenfälle nicht passierbar ist, wissen sie, wie sie die umfahren können." Mit ihrem Netzwerk aus 5000 lokalen Vertreten verbindet das Unternehmen auf diese Weise digitale Technologien mit traditionellen Einzelhandelsstrukturen. Und das Modell kommt gut an: Laut Steel verbreitet es sich vor allem über persönliche Empfehlungen, so dass er lange keine Werbung schaltete. Bislang ist Copia nur in Kenia aktiv, will aber ab kommendem Jahr in Ostafrika expandieren. Der Wettstreit um Afrikas Online-Konsumenten hat gerade erst begonnen.