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Die OPEC und das instabile Gleichgewicht

Andreas Rostek-Buetti
14. September 2020

Kaum ein Tag ohne Meldungen über sinkende Ölpreise. Keine einfachen Zeiten für die OPEC, das historische Ölkartell. Es wird in diesen Tagen 60 Jahre alt. Ob es weitermachen kann wie bisher, scheint mehr als fraglich.

Österreich OPEC Hauptquartier in Wien
Bild: Reuters/L. Foeger

In den besten Zeiten der OPEC bewegte sich der Ölpreis in höchsten Höhen, und 150 Dollar pro Barrel waren keine Seltenheit. In den ersten Septemberwochen dieses Jahres kommt der Barrelpreis etwa für das Öl der sogenannten Nordseesorte Brent manches Mal nicht einmal an 40 Dollar heran. Dazwischen liegen Welten.

Aber nicht nur der Preis ist hier Signal für einen radikalen Wandel: Vor sechs Jahrzehnten stellte sich ein geschlossen agierendes Kartell von Öl-Erzeugerstaaten erfolgreich den damals übermächtigen Ölkonzernen, den sogenannten "Sieben Schwestern", entgegen. Heute wird der Ölmarkt "durch ein permanent instabiles Gleichgewicht" geprägt, so eine Analyse der Zeitschrift "Le Monde diplomatique".

Gefährdetes Gut - Ölförderung in IrakBild: Reuters/Essam Al-Sudani

Denn von einem alles dominierenden Einfluss auf den Ölmarkt ist die OPEC heute weit entfernt. Anfangs waren es nur wenige Gründungsmitglieder: Irak, Iran, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela. Bald kamen acht weitere Öl-Länder hinzu, heute gehören dem eigentlichen Kartell 13 Staaten an. Nominell verfügen sie über mehr als drei Viertel der Ölreserven auf der Welt. Vielleicht noch wichtiger: Etwa 40 Prozent der aktuellen Ölförderung kommt aus OPEC-Ländern.

OPEC plus Moskau

Der Wandel in der Bedeutung des ursprünglichen Kartells wird durch ein Kürzel markiert, das Ende 2016 auftauchte: OPEC+. Das Kartell setzt damit auf engere Kooperation mit anderen Ölförderländern wie vor allem Russland. Moskau ist längst ein gewichtiger Player auf dem Ölmarkt. Eine weitere Öl-Großmacht verbirgt sich hinter dem Stichwort Fracking: Die USA sind dank der neuen Technik zum Ölexporteur im großen Stil aufgestiegen: Innerhalb von zehn Jahren wuchs die US-Produktion von acht auf 14 Prozent Weltmarktanteil.

Die amerikanische Ölproduktion über das kostenintensive Fracking lohnt sich allerdings nur, wenn der Ölpreis hoch genug ist. Dahin zu kommen, ist ein schwieriges Ziel. Natürlich drehte sich beim Erdöl schon immer alles um den Preis - aber wie sich dieser Preis auswirkte, auch das hat sich im Laufe der Zeit geändert.

Das Öl brachte zuvorderst den klassischen Förderländern wie Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber auch Iran oder Algerien sagenhaften Reichtum - genauer waren es die dort herrschenden Cliquen, die sich in den Hochzeiten des Kartells "alles kaufen konnten von Leonardo Da Vinci-Gemälden bis zu Hotels an der Park Lane", wie es der britische "Independent" formulierte. 

Die gigantischen Einnahmen waren ein politisches Instrument, längst bevor sie zur politischen Waffe wurden. Sie dienten und dienen zum Machterhalt - etwa des saudischen Königshauses und seines Herrschaftssystems -, indem sie den Untertanen einen begrenzten, bequemen Wohlstand garantierten. Und sie dienten zur Einflussnahme in anderen Ländern, erkauft mit den Ölgeldern - "looting machine" nannte der "Independent" diese Mechanismen der Korruption, um eigene Ziele anderswo durchzusetzen.

Zur eigentlichen Waffe war das Öl spätestens im Jahr 1973 geworden: Auf die Unterstützung Israels im Jom-Kippur-Krieg antworteten arabische Länder mit dem Öl-Embargo. Der Ölpreis schoss von damals 3 auf 11 Dollar hoch, ein Schock, der Ölpreisschock. Fahrverbote im Westen waren die Folge aber auch die Erkenntnis der Nato, dass die Sicherheit der Ölversorgung zu ihren Hauptinteressen zu gehören hätte. Langfristig förderte all das die Suche nach anderen Öl- und Energie-Quellen. Mit den langfristigen Folgen hat sich die OPEC bis heute auseinanderzusetzen. 

Billiger als Wasser

Wie schwer das unter den heutigen Bedingungen ist, wurde in diesem Frühjahr mitten in der Corona-Krise augenfällig, als Erdöl plötzlich billiger als Wasser zu sein schien: Am 21. April sackte der Preis für ein Barrel unter Null. Auf einmal mussten Förderländer 37,63 Dollar pro Barrel bezahlen (!), um den Rohstoff, für den es nicht mehr genug Lagerplätze gab, noch loszuschlagen. Saudi-Arabien hatte einen Preiskrieg vom Zaun gebrochen, ohne die anderen OPEC-Länder zu beteiligen und ohne die USA zu informieren. Das Ergebnis - mitten in Corona-Zeiten - ein rasanter Preisverfall, dessen Folgen bis heute zu spüren sind.

Ölpreis an der New Yorker Börse - März 2020Bild: picture-alliance/newscom/UPI Photo/J. Angelillo

Einen Preis auf Vorkrisenniveau konnte die OPEC nicht mehr durchsetzen, lediglich eine gewisse Stabilisierung auf 40 bis 45 Dollar pro Barrel nach dem Einbruch auf rund acht Dollar für Brent-Öl im April. Übers Jahr wurde daraus inzwischen ein Minus von ca. 30 Prozent. Das Preisniveau sei "keineswegs optimal" für die meisten Erzeugerländer, urteilte die OPEC-Expertin Helima Croft von RBC Capital Markets im Handelsblatt.

Das könnte sich als dezente Untertreibung erweisen. Denn Länder wie Saudi-Arabien aber auch Russland sind von den Öl-Einnahmen inzwischen existenziell abhängig. Trotz zahlreicher anderslautender Ankündigungen haben es die meisten Öl-Länder nicht geschafft, die früheren riesigen Einnahmen zu nützen, um die eigene Wirtschaft auf mehrere Säulen zu setzen. Und was geschieht, wenn die Macht in solchen ölbeherrschten Staaten bröckelt, führen auf brutale Weise Länder wie Irak oder Libyen vor.

Sicherlich treffen die Turbulenzen auf dem Energiemarkt auch die großen westlichen Ölkonzerne, die mit der OPEC ihre guten Geschäfte machen, auch wenn sie sie längst nicht mehr dominieren. Der britische Branchenriese BP hat seine Prognose für den Ölpreis gesenkt und rechnet inzwischen mit einem Durchschnittspreis von 55 Dollar bis zum Jahr 2050 - statt der bisher für die nächsten 20 Jahre anvisierten 70 Dollar pro Barrel. In der Folge hat BP 17,5 Milliarden Dollar abgeschrieben und will 10.000 Stellen streichen. Den anderen geht es nicht anders. Die neue Schuldenaufnahme der sieben Großen zusammen lag im Corona-geprägten zweiten Quartal des Jahres bei 60 Milliarden Dollar.

Weltumspannendes Geschäft - Öltanker in der Meerenge von HormusBild: picture-alliance/dpa/epa/Mitsui O.S.K Lines

"Peak of demand"

Aber anders als die OPEC mit ihrem Erdöl können die Ölkonzerne umsteuern - sie mutieren zum Energiekonzern, antworten auf die Klimakrise und setzen zunehmend auf erneuerbare Energiequellen. War vor nicht langer Zeit noch vom Peak oil die Rede, dem erwartbaren Ende der fossilen Energie, so heißt es heute peak of demand, die nahe Wende hin zu weniger Nachfrage. Das schwächt die Marktmacht der Erdöl- Produzenten und damit allen voran der OPEC.

So sind Experten wie Andreas Goldthau von der Universität Erfurt mit Blick auf die Zukunft der OPEC eher skeptisch. "Diese Klubs sind nicht für ewig." Aber es gibt ja noch Großkunden wie China - mit 13,5 Prozent der weltweiten Nachfrage mittlerweile der größte Abnehmer von Erdöl. Die OPEC selbst geht deshalb bisher zumindest bis 2040 von einem deutlichen Plus bei der weltweiten Ölnachfrage aus - getrieben eben durch Länder wie China oder auch Indien sowie durch den Bedarf an Kunststoffen. China investiert aber gleichzeitig mehr als jedes andere Land in erneuerbare Energien und betreibt schon jetzt mehr als die Hälfte aller Sonnenpaneele und Windräder auf der Welt.

Die OPEC ist also 60 Jahre nach ihrer Gründung, dominiert von Saudi-Arabien, nur noch ein Player unter anderen. Ein mächtiger Player, aber eben mit den anderen zusammen auf der ständigen Suche nach dem instabilen Gleichgewicht.

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