Operation gegen Aids?
18. August 2006Um rund 60 Prozent soll männliche Beschneidung das Risiko senken, sich mit HIV zu infizieren. Zu diesem Ergebnis kam 2005 eine Studie im südafrikanischen Orange Farm. Mehr als 3000 Männer hatten an der Studie teilgenommen. Die Hälfte war beschnitten, die andere unbeschnitten. Nach einem Jahr werteten die Forscher das Zwischenergebnis aus. Das Resultat war so eindeutig, dass sie die Studie aus ethischen Gründen abbrechen mussten. In der Gruppe der beschnittenen Männer hatten sich nur 20 infiziert, bei den unbeschnittenen Männern dagegen 49. Internationale Regeln bei medizinischen Studien schreiben vor, dass in so einem Fall der schlechter gestellten Untersuchungsgruppe die Behandlung - also in diesem Fall die Operation - der besser gestellten Gruppe angeboten werden muss.
Kühne Zahlen
Ein Team aus internationalen Wissenschaftlern hat die Orange-Farm-Studie für ein beeindruckendes Rechenmodell verwendet. Ließen sich innerhalb der nächsten zehn Jahre alle Männer südlich der Sahara beschneiden, könnte man rund zwei Millionen HIV-Neuinfektionen und 300.000 Aids-Tote verhindern. Weitere zehn Jahre später könnte die Massen-Beschneidung noch mal 3,7 Millionen Neuinfektionen und 2,7 Millionen Tote vermeiden.
Zeit zu handeln? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), aber auch Wissenschaftler wie Francois Venter von der University of Witwatersrand in Johannesburg, die an der Orange-Farm-Studie beteiligt war, raten zu Zurückhaltung. Noch warten alle auf das Ergebnis aus zwei weiteren groß angelegten Studien, die zurzeit in Kenia und in Uganda durchgeführt werden. "Man sollte die Beschneidung noch nicht sofort vorantreiben. Wenn die Ergebnisse aus den anderen beiden Studien aber so überzeugend sind wie die der Orange-Farm-Studie, dann sollten wir nicht mehr herumsitzen, sondern Entscheidungen treffen", sagt Venter.
Die Diskussion darüber, wie dann zu verfahren sei, müsse aber schon jetzt geführt werden und nicht erst wenn die Ergebnisse bekannt gegeben werden. Die Studien sollen spätestens 2007 veröffentlicht werde. "Die WHO und die Regierungen müssen in der Sekunde, in der die Daten bekannt gegeben werden, reagieren", fordert Venter. Das Gesundheitswesen müsse dann bereits auf die Beschneidungen vorbereitet sein und den Männern müsse vernünftig erklärt werden, warum der Eingriff wichtig sei. "Das ist nicht einfach. Schließlich werden schon ganz simple Präventionsmaßnahmen nicht so genutzt wie wir uns das wünschen."
Keine Angst vor Ansteckung
Eine große Gefahr bei der Beschneidung als Präventionsmaßnahme ist eine falsche Sicherheit, in der sich beschnittene Männer wiegen könnten. Immer wieder sagen Kritiker, das Risikoverhalten beschnittener Männer nehme zu. Bisher durchgeführte Studien zu dieser Frage kommen allerdings zu widersprüchlichen Ergebnissen. So wurde auf der Welt-Aids-Konferenz in Toronto (13.-18.8.2006) eine Studie aus Kenia vorgestellt, laut der sich beschnittene Männer mindestens im ersten Jahr nach der Beschneidung nicht riskanter verhalten, als unbeschnittene Männer. In einer anderen Studie allerdings stieg das Risikoverhalten bei einem Drittel der beschnittenen Männer an. Sie hatten nach der Beschneidung ungeschützten Sex mit mehr Frauen als bisher.
"Wenn das tatsächlich zuträfe, hätte das eine desaströse Auswirkung auf die Situation der Frauen, die sich sowieso schon schlechter schützen können als die Männer", warnt Armin Schafberger, medizinischer Berater bei der Deutschen Aids-Hilfe. So werde die WHO die bisherigen Ergebnisse zur Beschneidung auch nicht umsetzen, solange man nicht mehr darüber wisse, wie sich die Maßnahme auf die Frauen auswirken werde, glaubt Schafberger. Die Uganda-Studie bezieht diesen Aspekt in ihre Untersuchung ein.
Trotz aller Bedenken: Beschneidung scheint ein wichtiger Schritt zum Schutz vor einer Ansteckung mit HIV zu werden. "Ich glaube, dass für Männer die Beschneidungsstudien am vielversprechendsten sind", sagte auch Ex-US-Präsident Bill Clinton auf der Aids-Konferenz. Aber, warnt er, wenn die Beschneidung das Infektionsrisiko tatsächlich um 60 Prozent senke, bliebe immer noch ein Ansteckungsrisiko von 40 Prozent. "Man kann dann nicht einfach losgehen und sich verantwortungslos verhalten."