Operation Rückverlegung
7. Juli 2012Zum Ende des Jahres 2014 wird sich die Bundeswehr aus Afghanistan zurückgezogen haben. Das ist der Plan. Allerdings, darauf legt die Bundeswehr Wert, wird das kein "Rückzug" sein. Einen Rückzug unternimmt eine Truppe, wenn sie geschlagen ist. Und so sieht sich die Bundeswehr nicht. Sie spricht von "Rückverlegung".
Außerdem werden bis dahin auch nicht alle Soldaten ihre Heimreise angetreten haben, weil die Aufgabe der Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht abgeschlossen sein wird. Der Auftrag für das deutsche ISAF-Kontingent, nämlich Ausbildung, Unterstützung und Begleitung der afghanischen Sicherheitskräfte, wird wahrscheinlich im Rahmen eines anderen Mandates auch nach 2014 weitergeführt. Dann wird weiterhin Bundeswehrpersonal in Afghanistan stationiert sein.
Beispielloser Kraftakt
Die Rückkehr der deutschen Soldaten aus Afghanistan wurde in der Presse bereits als "Operation ohne Blaupause" bezeichnet. Das geht auf das Eingeständnis des Inspekteurs der Streitkräftebasis, Admiral Manfred Nielson zurück, dass eine so umfangreiche logistische Aufgabe für die Bundeswehr etwas Neues sei. Er hatte das mit den Worten auf den Punkt gebracht: "Für eine Operation dieses Ausmaßes gibt es keine Blaupause."
Oberstleutnant Jörg Langer vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam sieht das anders. Im Gespräch mit DW wies er darauf hin, dass die Bundeswehr sehr wohl Erfahrung mit Transporten zur Versorgung der Truppe über große Entfernungen gesammelt habe.
Er sieht als neue Qualität lediglich den Umfang der Operation, also den "Auftrag, komplett zurückzuverlegen." Im Kleinen habe die Rückverlegung aber schon begonnen, sagt er und nennt als Beispiel das Provincial Reconstruction Team in Faisabad, das bereits innerhalb Afghanistans "zurückverlegt" werde.
Zu Lande, zu Wasser und in der Luft
Die Soldatinnen und Soldaten des deutschen ISAF-Kommandos in Afghanistan werden per Flugzeug nach Deutschland zurückkehren. Außerdem müssen rund 1200 gepanzerte und 500 ungepanzerte Fahrzeuge in die Heimat geschafft werden. Für die sonstige Ausrüstung der Bundeswehr veranschlagt Oberstleutnant Langer 5000 bis 6000 Container, die ab jetzt gepackt werden.
Für diese Container bietet sich der Landweg an, so Langer. "Wir befinden uns nördlich des Hindukusch und da sind die Wege aus Afghanistan klar vorgezeichnet: Da ist der Landweg, den man auf der Bahn oder der Straße zurücklegen kann." Dieser Weg ist aber nicht nur weit, er führt auch durch verschiedene Länder mit unterschiedlich zuverlässigem Bahnverkehr. Dafür muss nicht nur viel Zeit eingerechnet werden, es kann auch immer etwas verloren gehen. Aber, so Langer, das seien ja "keine Militärtransporte." In diesen Containern werde zwar Ausrüstung transportiert, aber weder Waffen noch Munition.
"Das sicherheitsrelevante Material, also Waffen und Munition, wird natürlich ausgeflogen", betont der Oberstleutnant vom Einsatzführungskommando. Und außerdem, was eine Waffe ist oder nicht, sei "Definitionsfrage". Nähme man ein voll ausgerüstetes Fahrzeug und entfernte Waffen und Munition, dann, so Langer, hätte man "ein nacktes Fahrzeug, das sie nicht als Kriegsgerät verwenden können." Das könnte dann auch wieder auf dem Schienenweg nach Deutschland gebracht werden.
Keine einfachen Lösungen möglich
Das funktioniert allerdings nicht bei allen Fahrzeugen. "Eine Panzerhaubitze können sie nicht so einfach auseinanderbauen – die wird im Lufttransport zurückverlegt." Außerdem gebe es noch einen anderen Grund für größere Sorgfalt: "Dieses Material ist schlicht und ergreifend zu teuer, als dass man es einem solchen Transport aussetzen wollte."
Zum Auftrag des deutschen Kommandos in Afghanistan gehört es, die heimischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Und deutsches Material in Form von Fahrzeugen wäre den Afghanen sicherlich hochwillkommen. Laut Oberstleutnant Langer ist eine solche, für alle Seiten scheinbar einfache und billige Lösung, nicht geplant. Das sei außerdem nicht mehr nötig, denn "die afghanischen Sicherheitskräfte sind mit Material ausgestattet."
Wenn man den Afghanen deutsche Fahrzeuge zur Verfügung stellen würde, wäre ihnen damit auch nicht unbedingt geholfen: Die Autos und die Panzer wären bald kaputt. Etwas diplomatischer formuliert er: "Wenn Sie den afghanischen Sicherheitskräften plötzlich unsere Fahrzeuge geben würden, bräuchte es dazu eine entsprechende Logistik, ein Nachversorgung." Und die gebe es am Hindukusch eben nicht.
Mangelnde Sicherheit beim Abzug?
Das Räumen eines Lagers in einem Land, in dem Krieg herrscht und in dem man selbst unter Beschuss geraten kann, ist gefährlich. In dem Maße, wie die Ausrüstung abgebaut wird, schwindet auch die Verteidigungsfähigkeit. Doch beim Einsatzführungskommando macht man sich offenbar keine Sorgen. Im militärischen Fachjargon erklärt Oberstleutnant Langer: "Lageeinschätzung muss man fortsetzen. Auch während einer Rückverlegungsphase.""Ich sehe da keine große Gefährdung."
Die Höhe der Kosten der gesamten Operation ist noch nicht absehbar. Das hänge von zu vielen Umständen ab, die man jetzt noch nicht beurteilen könnte, so Jörg Langer. Da sei die Frage nach den Kosten für die Miete von Transportmaschinen, die Frage, welche Spedition beauftragt wird und was sie für den Container-Transport berechnet und die Frage, wie viele Soldaten überhaupt abgezogen werden.
"Wir wissen nicht, wie viele Soldaten in einer Nach-ISAF-Mission weiter im Land bleiben werden", erklärt Oberstleutnant Langer. Das könnte erst nach der Erteilung eines erneuten Mandats für Afghanistan beantwortet werden. Auf einen ersten Kostenvoranschlag wird der deutsche Steuerzahler also noch warten müssen. Den wird Verteidigungsminister Thomas de Maizière höchstpersönlich vorstellen. Laut Langer werde er "erste Zahlen womöglich Ende dieses Jahres veröffentlichen."