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Politik

Russische Soldaten in Kliniken in Belarus

Olga Stefanowitsch
19. März 2022

Seit Beginn des Krieges liegen verwundete russische Soldaten in belarussischen Kliniken. Wenig ist bislang darüber bekannt. Warum, wo und mit welchen Verletzungen werden sie in die Krankenhäuser eingeliefert?

Symbolbild I Ärzte im Operationssaal
Bild: Vincent Hazat/PhotoAlto/picture alliance

Seit dem 24. Februar, als die russische Armee in die Ukraine einmarschiert ist, hat das russische Verteidigungsministerium nur einmal über Verluste berichtet: Bis zum 2. März seien 498 Soldaten getötet und 1597 verwundet worden. Die Ukraine hingegen spricht inzwischen von 14.200 Toten auf russischer Seite. Wahrscheinlich nennt keine der Parteien korrekte Zahlen.

Laut belarussischen Medien und Telegram-Kanälen werden viele verwundete russische Soldaten nach Belarus gebracht, wo sie medizinisch versorgt und weiter nach Russland transportiert werden. Dies bestätigte sogar der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko. Nach fünf Tagen Krieg sagte er, allein in Gomel, Mosyr und einer weiteren belarussischen Stadt würden 160 bis 170 russische Soldaten behandelt.

Häufig Amputation von Gliedmaßen

Dass in diesen Städten im Süden von Belarus russische Soldaten in Krankenhäusern liegen, bestätigen der DW vier Quellen. Zudem sei in Narowlja unweit der ukrainischen Grenze ein Feldlazarett aufgeschlagen worden. Nach Angaben eines der Gesprächspartner der DW kommen viele Verwundete nach Mosyr. "Oft ohne Arme, Beine, Ohren, Augen." Manche Soldaten würden zu spät und bereits mit Wundbrand eingeliefert. "Wenn die Soldaten rechtzeitig gebracht würden, könnte man Gliedmaßen noch retten", so die Quelle.

Ihr zufolge haben einige der Verwundeten bis zu fünf Tage nichts mehr zu Essen bekommen, waren desorientiert, hatten keine Ahnung, wo sie  sich befanden und baten nur noch darum, ihre Eltern anzurufen. "Es sind Patienten des Jahrgangs 2003, aus armen Regionen Russlands. Eigentlich sind sie noch Kinder", heißt es im Gespräch mit der DW.

Zerstörungen in Irpin bei KiewBild: John Marshall/DW

Eine weitere Quelle, die mit dem Gesundheitswesen nicht direkt etwas zu tun hat, aber über die Lage gut Bescheid weiß, bestätigt, dass in einem Krankenhaus in der Region Gomel "nonstop operiert" wird, bis zu 50 Personen in einer Nacht. Darunter seien aber auch normale zivile Patienten mit planmäßigen Operationen. Am häufigsten müssten die Chirurgen bei den russischen Soldaten Gliedmaßen amputieren. "Das Krankenhaus ist voll", sagt die Quelle und bittet darum, den Standort der Klinik nicht öffentlich zu machen.

Mehrere Quellen der DW berichten, dass nicht nur verwundete, sondern auch gefallene Soldaten nach Belarus gebracht würden. Aber keiner der Gesprächspartner kann genaue Angaben zur Anzahl der Toten machen.

Krankenhausärzte müssen schweigen

Viele Ärzte, die die DW kontaktiert hat, lehnten ab, über die medizinische Versorgung des russischen Militärs zu sprechen. Laut zwei Gesprächspartnern mussten die Ärzte eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben.

Die Belarusian Medical Solidarity Foundation stellt fest, dass alle Krankenhäuser sehr streng kontrolliert werden. "Mitarbeiter der Geheimdienste KGB oder FSB sind direkt in den Krankenhäusern im Einsatz, alle Gebäude werden bewacht. Viele Ärzte, die theoretisch etwas sagen könnten, wurden aus den Krankenhäusern entfernt. Stattdessen werden Russen eingesetzt", heißt es seitens der NGO. Viele Ärzte und Mitarbeiter der Krankenhäuser hätten Angst und würden mit niemandem sprechen. Nach Angaben der Belarusian Medical Solidarity Foundation gibt es sehr viele tote Soldaten. Die Kliniken in Belarus seien überfüllt. "Alle Verwundeten, bei denen es noch möglich ist, werden mit Zügen nach Russland gebracht", so ein Sprecher der Stiftung.

Gibt es eine belarussische Komplizenschaft?

Siarhei Bohdan, Experte für AußenpolitikBild: privat

Das belarussische Gesundheitsministerium hat sich bisher kein einziges Mal zur medizinischen Versorgung des russischen Militärs geäußert. Aus Sicht des humanitären Völkerrechts sei die Hilfe für im Kampf verwundete russische Soldaten keine Komplizenschaft, erklärt der Politologe Siarhei Bohdan, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. "Man muss allen Verwundeten helfen, egal welcher Armee sie angehören. Und zwar sowohl im Kampfgebiet als auch in dessen Nähe", stellt er klar.

Doch es gebe auch Nuancen: Russland betrachte das Geschehen offiziell nicht als Krieg, sagt Bohdan. Das bedeute, dass die Normen internationaler Konventionen in diesem Fall nicht griffen. Daher sei der Status der verwundeten russischen Soldaten, die sich in Belarus befinden, derzeit nicht klar.

Aber warum werden Informationen über die verletzten Soldaten so gründlich geheim gehalten? Siarhei Bohdan glaubt, die belarussischen Behörden wollten die Daten nicht explizit verbergen. Ihre Praxis gehe auf eine Disziplin im Dienst und eine bürokratische Kultur zurück, die sich in Belarus über die Jahre entwickelt habe.

Trotzdem eine Art der Unterstützung Russlands?

Bohdan meint, Lukaschenko wolle sich am Einmarsch in die Ukraine nicht beteiligen und er wehre sich "mit aller Kraft" dagegen. "Für Belarus ist es wichtig zu zeigen, dass es selbst nichts Ernstes gegen die Ukraine unternimmt, sondern nur gezwungen ist, mit Russland zu kooperieren. Dass belarussische Krankenhäuser Verwundete aufnehmen, ist - so könnte man sagen - eine milde Form der Beteiligung auf Seiten Russlands. Aus humanitärer Sicht stellt dies jedoch keine Beteiligung am Krieg dar", sagt er.

Aber dass russische Militärausrüstung über das Territorium von Belarus in Richtung Ukraine bewegt werde, das wiederum sei eine Form der Komplizenschaft. Doch dies müsse noch bewiesen werden, so der Experte. Ungeklärt sei insbesondere, ob die belarussische Regierung überhaupt die Wahl gehabt habe, zu entscheiden, ob sie die Ausrüstung passieren lässt oder nicht.

"Hier gibt es ernsthafte Zweifel", betont Bohdan. Er glaubt, Lukaschenko sei einfach vor die Tatsache gestellt worden, dass das russische Militär, das zu den Manövern in Belarus gekommen sei, sich an dem Angriff auf die Ukraine beteiligt. Bestätigen würde dies die Tatsache, dass sich zwar die Ukraine und Russland auf einen Krieg vorbereitet und entsprechende Maßnahmen entlang einer vermutlichen Frontlinie getroffen hätten - Belarus aber nicht. Deshalb würden, so der Experte, verwundete Soldaten jetzt auch in zivilen belarussischen Krankenhäusern behandelt.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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