Orban gegen die Ukraine: Hass im Stil des "Großen Bruders"
7. Mai 2025
Der Videoclip zeigt Ermittler, Fingerabdrücke, Tatortfotos, ein Drogenlabor und Patronen, dann den Kopf eines schwarzen Wolfs, der bösartig in die Kamera schaut. Dazu spricht ein Mann mit tiefer, bedrohlicher Stimme: "Der Drogen- und Waffenhandel ist die Spezialität der ukrainischen Mafia. Ihre Gnadenlosigkeit ist weltweit berüchtigt. Durch den Krieg kommen so viele Waffen in ihre Hände wie nie zuvor." Ein Panzer rollt durchs Bild, ein Mann setzt eine Sturmhaube auf, dann ein Foto der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Brüssel spielt mit dem Feuer. Wenn die Ukraine der EU beitritt, kommt die ukrainische Mafia ungehindert nach Ungarn."
Dieser und ähnliche Clips laufen derzeit in allen regierungsnahen Medien Ungarns. Sie sind Teil einer Kampagne von Ungarns Premier Viktor Orban gegen die EU-Mitgliedschaft der Ukraine, die vor kurzem anlief. Dabei können alle ungarischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger bis zum 20. Juni abstimmen, ob sie für oder gegen eine Aufnahme der Ukraine in die Union sind. Ungarns Regierung ist - nicht überraschend - dagegen.
Viktor Orban fährt seit vielen Jahren einen verlässlich prorussischen und antiukrainischen Kurs. Dabei nimmt die Schärfe seines Tons und seiner Wortwahl gegen die Ukraine beständig zu. Die jetzige Kampagne allerdings toppt alle bisherigen Hetz- und Diffamierungskampagnen Orbans um Längen, angefangen von den so genannten Nationalen Konsultationen gegen illegale Migranten bis hin zur antisemitischen Hetze gegen den Börsenmilliardär ungarisch-jüdischer Abstammung George Soros.
Wie aus Orwells "1984"
Ungarn wirkt in diesen Tagen, als hätte es die "Zwei-Minuten-Hasskampagnen" aus George Orwells Roman "1984" kopiert, mit dem Unterschied, dass sie nicht zwei Minuten täglich, sondern rund um die Uhr stattfinden. Ihr Tenor: Aus dem Osten, der Ukraine, kommt eine apokalyptische Gefahr auf Ungarn zu, im Westen zieht "Brüssel" die Fäden.
Von Plakaten überall im Land blickt ein grimmiger Wolodymyr Selenskyj auf die Ungarn herab, hinter ihm eine grinsende Ursula von der Leyen und der Fraktionschef der konservativen EVP, Manfred Weber. Aus Fernsehen und Radio tönt pausenlos antiukrainische Propaganda, soziale Medien überschwemmen User mit antiukrainischen Botschaften, Regierungsmitglieder erklären den Ungarn auf Versammlungen bis hin in kleine Provinzstädte permanent, wie schlimm die Ukraine ist.
Haarsträubende Propagandalügen
Das Nachbarland wird als "Zentrum des Drogenhandels und der organisierten Kriminalität in Osteuropa" dargestellt, als düstere Zone voller barbarischer Menschenmassen, die entweder zur Mafia gehören oder darauf warten, Ungarn mit ihrer "billigen Arbeitskraft zu überschwemmen" und ungarische Renten zu kassieren. Wenn die Ukraine EU-Mitglied wäre, so ein Begleittext zur Kampagne, dann würden in Ungarn die öffentliche Sicherheit und das Gesundheitssystem zusammenbrechen. Dann würden "minderwertige ukrainische Agrarprodukte die Gesundheit der ungarischen Menschen gefährden". Dann würden die ungarischen Bauern pleite gehen und jede ungarische Familie müsste "mehrere hunderttausend Forint jährlich für die ukrainische EU-Mitgliedschaft zahlen", eine Summe, die in etwa einem Monatslohn entspricht.
Das sind ebenso haarsträubende wie rassistische Propagandalügen. Orban lässt sie nicht nur verbreiten, er gibt sie auch selbst fast täglich von sich. Etwa in seiner wöchentlichen Radioansprache vom vergangenen Freitag (02.05.2025): "Die EU-Mitgliedschaft der Ukraine würde die ungarische Wirtschaft in den Ruin treiben. Die Ukraine ist ja ein Land, das sich nicht selbst aufrecht erhalten kann. Wenn also kein Geld aus dem Westen in die Ukraine fließt, würde dieser Staat nicht existieren. Die Ukrainer fordern - sie bitten nicht, das sind ja Ukrainer, sie verlangen - von der Europäischen Union, dass, wenn die Vereinigten Staaten kein Geld geben, Europa die millionenstarke ukrainische Armee unterhält. Denn ihrer Meinung nach steht ihnen eine solche Armee zu."
Es geht um Innenpolitik
So absurd all das klingt, so erklärlich ist der Hintergrund der Kampagne. Es geht in erster Linie um ungarische Innenpolitik. In Ungarn hat sich unter einer Mehrheit der Menschen Orban-Müdigkeit breitgemacht, auch befördert von Korruption und Willkür Orbans, seiner Familie und seines Machtzirkels. Der Premier hat in der Person des Oppositionsführers Peter Magyar erstmals einen Herausforderer, der in Umfragen der mit Abstand beliebteste Politiker ist und dessen Partei Tisza deutlich vor Orbans Fidesz liegt. Im kommenden Frühjahr findet die reguläre Parlamentswahl statt. Nach jetzigem Stand würde Orban verlieren - und ihm würden wegen Korruption und Amtsmissbrauchs Ermittlungsverfahren und Gefängnis drohen.
Seit längerem versuchen der Premier und seine Regierung deshalb, ein Thema zu finden, mit dem sie Magyar erfolgreich diffamieren können. Vor kurzem bot sich plötzlich die Ukraine an. Als Orban im März die jetzige antiukrainische Kampagne vage ankündigte, kam Magyar ihm zuvor. Tausende Freiwillige der Tizsa-Partei sammelten in jeder ungarischen Stadt und Gemeinde Meinungen zu verschiedenen Fragen, darunter auch zur ukrainischen EU-Mitgliedschaft. Das wohl selbst für Magyar überraschende Ergebnis: 58 Prozent der Ungarn unterstützen sie.
Keine unabhängige Zählung zugelassen
Als das bekannt wurde, bezichtigten Orban und seine Regierung die Tisza-Partei nicht etwa der Lüge, sondern erfanden das Narrativ zur jetzigen Kampagne. Es geht so: Das "kriegslüsterne Brüssel", das die Ukraine finanziert, hat - zusammen mit Selenskyj - die Tisza-Partei gekauft, um in Ungarn die "nationale, proungarische Friedensregierung" zu stürzen und eine "proukrainische, antinationale Kriegspartei" an die Macht zu bringen.
Auch das ist haarsträubend, denn Magyar und seine Partei sind keineswegs enthusiastische Unterstützer der Ukraine. Inwieweit deshalb Orbans Kampagne außerhalb seines sehr festgefügten Lagers von Wählerinnen und Wählern wirkt, ist unklar. Zumal die ungarische Regierung bei den von ihr inszenierten Abstimmungen keine unabhängigen Zählungen zulässt, weder zur Beteiligung noch zum Ergebnis. Das Resultat wird voraussichtlich bei mindestens 67 Prozent der Stimmen gegen eine ukrainische EU-Mitgliedschaft liegen - so lautete jedenfalls die Zahl einer angeblichen Umfrage des regierungsnahen Meinungsforschungsinstitutes Nezöpont im April 2025. Das liefert verlässlich immer die Zahlen, die Orban gerade braucht.
Revisionistische Träume
Jenseits dessen bedient der Premier mit seiner antiukrainischen Haltung nostalgisch-revisionistische Stimmungen seiner eigenen und anderer rechtsextremer Wählerinnen und Wähler in Ungarn, die von einer Rückkehr Transkarpatiens in den ungarischen Staat träumen. Teile dieser westukrainischen Region gehörten vor dem Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn. Orban betont in seinen Reden immer wieder die "Einheit aller Ungarn" und spricht zugleich von der Ukraine als einem "Niemandsland" oder einem "Gebiet namens Ukraine" - womit er das Szenario eines möglichen Zerfalls der Ukraine und ihrer Aufteilung bewusst andeutet.
Außenpolitisch kann man Orbans antiukrainische Haltung auch als Loyalitätserklärung an den russischen Diktator Wladimir Putin und den US-Präsidenten Donald Trump verstehen. Für Orban spielen vor allem gute Beziehungen zu Putin eine wichtige Rolle, da er Ungarn wirtschaftlich und finanziell eng an Russland gebunden hat.
Ungarn protegiert russische Oligarchen
Mehr als nur eine Pikanterie am Rande ist dabei ein Sachverhalt: Während Orban und seine Regierung die Ukraine als korrupten Mafia-Staat darstellen, protegieren sie immer wieder russische Oligarchen, die tief in die organisierte Kriminalität verstrickt sind und wegen Kriegsverbrechen auf EU-Sanktionslisten stehen. So etwa versucht Orbans Regierung, Oligarchen wie Alischer Usmanow oder Michail Fridman von den EU-Sanktionslisten streichen zu lassen.
Was hingegen den angeblichen Mafia-Staat Ukraine angeht - Experten, beispielsweise der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OECD), sind sich einig, dass dort weitaus mehr Rechtsstaatlichkeit herrscht als in Ungarn und der Kampf gegen Korruption selbst unter Kriegsbedingungen erfolgreich geführt wird - anders als im Nachbarland, wo er gar nicht erst stattfindet. Ungarn hingegen würde aufgrund seiner Demokratiedefizite unter heutigen Umständen wohl nicht einmal mehr den EU-Kandidatenstatus erreichen.