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PolitikUngarn

Orban will Veto gegen Ukraine einlegen

13. Dezember 2023

Keine Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und kein Geld für Kiew aus dem EU-Haushalt: Ungarns Premier gibt sich vor dem EU-Gipfel beinhart. Lässt er sich noch umstimmen? Bernd Riegert aus Brüssel.

Ungarn Budapest | Viktor Orban bei der Rede zur Lage der Nation
Unter 20 Flaggen macht er es nicht: Ungarns Premier Orban inszeniert sich als starker Anführer bei der Rede zur Lage der Nation. Bild: Arpad Kurucz/AA/picture alliance

Diesmal legt es Viktor Orban, der rechtspopulistische Premierminister Ungarns, offenbar auf das große Duell mit der Europäischen Union auf ganz großer Bühne an. Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag erklärte Orban in zwei Briefen an den EU-Ratspräsidenten Charles Michel, Ungarn werde weder Finanzhilfen für die Ukraine in den EU-Haushalt einbauen noch der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zustimmen.

"Ich fordere Sie mit allem Respekt auf, den Europäischen Rat nicht mit diesen Fragen zu befassen, da es wegen mangelndem Konsens offensichtlich ein Scheitern geben wird", schrieb Orban vergangene Woche. Der "Donau-Diktator", wie der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Orban einst noch halb scherzhaft nannte, droht mit einem Veto gegen zwei zentrale Beschlüsse. Der revidierte Haushalt, der 50 Milliarden Euro an Hilfen für die Ukraine enthalten soll, und Beitrittsverhandlungen müssten einstimmig genehmigt werden.

Präsident Selenskyj bittet Premier Orban (re.) um Hilfe beim Treffen in Argentinien: Ungarn bleibt hartBild: Fernando Gens/dpa/picture alliance

Parallel zu seiner Attacke gegen die 26 übrigen Mitgliedsstaaten fährt Viktor Orban zuhause eine als antisemitisch kritisierte Plakat-Kampagne gegen die EU-Kommission. Die Plakate zeigen den jüdischen Unternehmer Alexander Soros, Sohn des ungarisch-stämmigen Milliardärs George Soros, zusammen mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Aufschrift "Tanzen wir nicht nach ihrer Pfeife" schürt von Orban lang gehegte Verschwörungstheorien. 

Eine Volksbefragung zu den Ukrainehilfen wird mit erwartbarem Ergebnis inszeniert. Das Orban-treue Parlament stimmte vorsorglich schon einmal gegen Hilfen für die Ukraine. Was hat der dienstälteste Regierungschef in der EU vor? Was will er erreichen?

Zerstörung der EU als Ziel?

"Ich denke, dass er versucht, einen stärkeren Hebel anzusetzen, um die EU von innen heraus zu verändern und ihre aktuelle Form zu zerstören", glaubt Andreas Bock, Ungarn-Experte bei der Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" (ECFR). Das langfristige Ziel Orbans sei es, seine Ideologie von der "illiberalen Demokratie" möglichst auf Europa zu übertragen.

Andreas Bock vom European Council on Foreign RelationsBild: Pressestelle ECFR

"Er hat ein ganz klares Ziel und eine ganz klare Vorstellung, wie Europa aussehen muss. Das ist eben kein integriertes Europa, sondern ein Europa, das sich auf wirtschaftliche Zusammenarbeit beschränkt. Ein wertebasiertes Europa gibt es in seiner Vorstellung nicht", bewertet Andreas Bock von der Denkfabrik ECFR Orbans Haltung. Gleichzeitig strecke er seine Fühler nach Russland und China aus, orientiere sich an den dortigen Autokraten.

Orban als Anführer der Rechten in Europa?

Die EU verlassen will Ungarn allerdings nicht. Die Hilfsgelder und Zuschüsse aus der Gemeinschaftskasse in Brüssel haben Viktor Orban und seine Freunde in der ungarischen Wirtschaft seit 20 Jahren gerne entgegengenommen. Wegen schwerer Mängel bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung hat die EU-Kommission seit mehr als einem Jahr allerdings erhebliche Mittel zurückgehalten, insgesamt bis zu 30 Milliarden Euro. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat das Vorgehen gutgeheißen. Der inzwischen aus dem Amt geschiedene luxemburgische Premierminister Xavier Bettel hatte Viktor Orban schon beim Gipfel im Oktober "Erpressung" vorgeworfen. Schon damals blockierte Orban Finanzhilfen für die Ukraine und verlangte die Auszahlung von Geldern, die Ungarn zustünden.

Turteln mit der rechtsextremen italienischen Ministerpräsidentin (li.): Orban beim EU-Gipfel im JuniBild: Geert Vanden Wijngaert/dpa/picture alliance

Die EU-Kommission entschied kurz vor dem Gipfel, 10,2 Milliarden Euro für Ungarn freizugeben, weil Budapest die entsprechenden Auflagen jetzt erfülle. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass das Geld so kurz vor dem mit Spannung erwarteten Blockade-Gipfel fließt. Doch Andreas Bock vom ECFR glaubt nicht, dass es Orban wirklich um das Geld geht. Es gehe um Grundsätzliches.

Der Politiker, der einst als Christdemokrat startete und sich zum rechten Nationalisten wandelte, sehe sich durch die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten in den Niederlanden und der Slowakei gestärkt. Zusammen mit der rechtsradikalen Ministerpräsidentin von Italien, der rechten Nationalbewegung in Frankreich und der AfD in Deutschland ziele er auf die Europawahlen ab. "Er hat das Gefühl, dass er jetzt der Anführer einer rechtspopulistischen Front werden kann. Er fühlt sich im Aufwind. Das kann natürlich starke Auswirkungen auf die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni haben", so Bock.

EU-feindliche Plakatkampagne in Ungarn: Orban macht Stimmung gegen BrüsselBild: Denes Erdos/AP Photo/picture alliance

Kann die EU Orban auch diesmal "kaufen"?

Mit Geld allein wird die Europäische Union Viktor Orban beim Showdown Ende der Woche wohl nicht umstimmen können. Das habe schon oft geklappt, aber diesmal steht dem die fundamentale Ablehnung einer westlich-orientierten Ukraine entgegen, glaubt Daniel Hegedüs vom German Marshall Fund, einer politischen Stiftung in Berlin. Bei den finanziellen Hilfen für die Ukraine könnte der ungarische Hardliner vielleicht noch einlenken, aber nicht bei der Frage, ob die Ukraine schrittweise Mitglied der EU werden sollte.

"Ich sehe tatsächlich keine Möglichkeit, dass die ungarische Regierung ihre Haltung ändern wird." Die Ukraine mit ihrem Wunsch, sich gegen Russland zu wehren und im Westen verankert zu werden, sei die Anti-These zu Ungarn, das auf Russland setze, meint Hegedüs gegenüber der DW. "Premier Orban ist nicht daran interessiert, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. In diesem Sinne handelt er sehr rational und versucht jedes Mittel zu nutzen, um die Ukraine zu schwächen."

Einreden auf das enfant terrible: Frankreichs Präsident Macron (re.) empfängt Orban zur Standpauke in Paris.Bild: Mustafa Yalcin/AA/picture alliance

EU versucht es im Guten

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bei einem Treffen mit Viktor Orban in Argentinien versucht, den ungarischen Premier umzustimmen. Ohne großen Erfolg offenbar. Zuvor hatten schon Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim traulichen Abendessen in Paris und EU-Ratspräsident Charles Michel beim Hausbesuch in Budapest Anläufe unternommen, die Blockade zu lösen. Deutschland und Frankreich sollen angeblich versucht haben, die EU-Kommission zur Freigabe von gesperrten Finanzhilfen zu bewegen. Viktor Orban verlangt aber nach wie vor eine Grundsatzdebette über die Ukraine, weil sie nicht bereit für Beitrittsgespräche sei. 

Putins letzte Freunde in der EU: Orban bezieht Gas und Öl vom russischen Aggressor. Auch die Slowakei, Tschechien, Bulgarien und Österreich machen noch Geschäfte mit Moskau.Bild: Sputnik/Grigory Sysoyev/Pool via REUTERS

In der Regel gab Orban nach theatralischen Auftritten bei EU-Gipfeln und gut gefüllter Geldbörse bislang nach. Das könnte diesmal auch wieder so funktionierten, hofften EU-Diplomaten vor dem Gipfeltreffen. Viktor Orban allerdings hat ein dickes Fell und ist Beschimpfungen durch seine Kollegen in Brüssel gewohnt. Bei einem EU-Gipfel im Juni 2021 platzte dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte der Kragen. Er fragte Orban, warum er die EU nicht endlich verlasse, wenn ihm das alles nicht passe.

Ungarn umgehen?

Theoretische könnten die EU-Mitgliedsstaaten das Rechtsstaatlichkeits-Verfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 der Lissabonner EU-Verträge wieder aufnehmen und dem Land ganz am Ende die Stimmrechte entziehen. Aber der Appetit der übrigen Länder, Ungarn aus der EU zu drängen und eine schwere Krise der Institution auszulösen, sei sehr begrenzt, meint Daniel Hegedüs vom German Marshall Fund.

Als Ausweg aus der Blockade könnten 26 Mitgliedsstaaten ohne Ungarn eine Erklärung abgeben, dass Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine im kommenden Jahr beginnen werden. Der rechtlich nötige einstimmige Beschluss müsste dann später nachgeholt werden. Die Finanzmittel für die kriegsgebeutelte Ukraine sollen auf jeden Fall fließen, heißt es von EU-Diplomaten in Brüssel. Notfalls würden zahlungswillige Staaten am EU-Haushalt vorbei, ohne Ungarn, einen Hilfsfonds gründen. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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