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Orban will Kritik an seinem Regime gesetzlich verbieten

16. Mai 2025

Ungarns Regierungspartei Fidesz legt ein Gesetz vor, das Kritiker des Orban-Systems mit weit auslegbaren Regelungen mundtot machen kann. Opposition und unabhängige Medien sprechen von der "Putinisierung" des Landes.

Ein Mann in Anzug (Viktor Orban) blickt verunsichert umher
Fürchtet einen Machtverlust: Ungarns Premier Viktor OrbanBild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Viktor Orban nannte sie "Wanzen, die überwintert haben". Er versprach, sie zu "liquidieren", während eines "Großreinemachens an Ostern". Gemeint waren Journalisten und zivile Aktivisten, die "mit korrupten Dollars Ungarns Souveränität verletzen" - eine Sprachregelung für alle, die Orban und sein Regime in irgendeiner Weise kritisieren.

Mit etwas Verspätung ist es nun soweit: Orbans Partei Fidesz hat einen Gesetzentwurf zum "Großreinemachen" und "Liquidieren" vorgelegt. Und der hat es in sich. So sehr, dass Telex, Ungarns größtes unabhängiges News-Portal, sonst in seiner Wortwahl eher vorsichtig und unpathetisch, diesmal schrieb: "Wir haben Europa verlassen." Dazu zeigte das Portal die Grafik einer schwarzen Stiefelsohle, auf der das Logo von Orbans Regierungspartei Fidesz und das des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB prangen.

Tatsächlich würden mit dem in der Nacht zum Mittwoch (14.05.2025) vorgelegten Gesetzentwurf in Ungarn russische Verhältnisse geschaffen werden. Der Entwurf trägt den harmlosen Namen "Über die Transparenz des öffentlichen Lebens". Er sieht ein strenges Vorgehen gegen alle Organisationen vor, die "Ungarns Souveränität dadurch verletzten, dass sie mit ausländischer Unterstützung eine Tätigkeit ausführen, die das öffentliche Leben beeinflusst".

Was bedeutet Souveränitätsverletzung?

Eine Souveränitätsverletzung kann demnach bedeuten, Werte und Bestimmungen der Verfassung "zu verletzen, in negativer Weise darzustellen oder das Auftreten gegen sie zu unterstützen". Dazu zählen die Einheit und den Zusammenhalt aller Ungarn, die christliche Kultur Ungarns, die Ehe als ausschließlicher Bund zwischen Mann und Frau oder das Streben nach Frieden und Zusammenarbeit mit anderen Völkern und Ländern. Organisationen im Sinne des Gesetzes sind sowohl juristische Personen als auch Organisationen ohne rechtlichen Status. Tätigkeiten, die das "öffentliche Leben beeinflussen", können wiederum darin bestehen, "staatliche und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse" oder "den Wählerwillen zu beeinflussen".

Ungarns Premier Viktor Orban mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 5.07.2024 in MoskauBild: Valeriy Sharifulin/SNA/IMAGO

Das Anfang 2024 neu geschaffene ungarische Amt zum Schutz der Souveränität erhält laut dem Gesetzentwurf die Befugnis, Organisationen als "ausländisch unterstützt" einzustufen, wenn sie Zuwendungen jeglicher Art aus dem Ausland erhalten, wobei es dafür keine Untergrenzen gibt. Selbst ein schlichtes Buchgeschenk wäre dem Entwurf zufolge eine "ausländische Unterstützung". In diese Kategorie fallen auch EU-Fördergelder.

Registereintrag mit Folgen

Auf Antrag der Souveränitätsbehörde kann die Regierung die betroffenen Organisationen in ein spezielles Register eintragen lassen. Mit weitreichenden Folgen: Einmal im Register, dürfen sie nicht mehr mittels der Ein-Prozent-Einkommenssteuer-Regelung unterstützt werden - die sieht vor, dass Privatpersonen ein Prozent ihrer jährlichen Einkommenssteuer an gemeinnützige Organisationen spenden können.

Spender müssen zudem schriftlich erklären, dass ihre Spende keine "ausländischen Zuwendungen" enthält. Ohne staatliche Genehmigung dürfen im Register eingetragene Organisationen auch keine ausländischen Zuwendungen mehr erhalten. Falls eine betroffene Organisation doch nicht genehmigte Zuwendungen aus dem Ausland erhält, muss sie eine hohe Geldstrafe zahlen, ihre Tätigkeit und sie selbst können verboten werden.

Eine rechtliche Einspruchsmöglichkeit gegen einen Eintrag in das Register sieht der Entwurf nicht vor. Zusammengefasst: Von einer Internetseite bis hin zu einer Partei kann also prinzipiell alles und jeder betroffen sein - und praktisch kann jegliche Kritik an Orban und seinem Regime kriminalisiert und verboten werden.

"Mittel gegen ukrainische Propaganda"

Orbans Regierung hat bereits mehrfach Gesetze verabschiedet, mit denen kritische Stimmen in Ungarn diskreditiert werden sollten, etwa das "Stop-Soros"-Gesetz von 2018. Der jetzige Gesetzentwurf ist jedoch mit Abstand der weitreichendste - was von der Orban-Regierung auch nicht verschwiegen wird.

Ungarische Regierungskampagne gegen den EU-Beitritt der Ukraine: "Lassen wir nicht zu, dass sie über unseren Kopf hinweg entscheiden!"Bild: Attila Kisbenedek/AFP

"Die Regierung hat klargemacht, dass es nicht nur um Aufsicht geht", schreibt der Staatssekretär für Kommunikation, Zoltan Kovacs. "Es geht um Ungarns Recht auf Selbstbestimmung angesichts des koordinierten internationalen Drucks." Früher hätten ausländisch finanzierte Nichtregierungsorganisationen und Medien Propaganda für Migration und für Gender-Themen verbreitet, jetzt würden sie Kriegs- und proukrainische Propaganda betreiben. "Das Transparenzgesetz ist das beste Mittel gegen ukrainische Propaganda", so Kovacs.

Vernichtende Kritik

Unabhängige Medien, zivile Organisationen und Oppositionsparteien sind sich einig in ihrer vernichtenden Kritik des Gesetzentwurfes. "Die Macht will alles kontrollieren, sie duldet keine Stätten des freien Wirkens", schreibt das Portal Telex. "Alles, was frei ist, was nicht unter ihrem Einfluss steht: das schließen sie, nehmen es weg, machen es unmöglich." Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ), eine der wichtigsten Bürgerrechtsorganisationen Ungarns, sagt in einer Stellungnahme: "Es geht nicht um den Schutz der Souveränität. Die Regierung zittert vor dem Machtverlust."

Der ungarische Oppositionsführer Peter Magyar von der Tisza-Partei bezeichnet das Gesetz als "neuen Schritt auf dem Putin-Weg", Orban übernehme die Dinge von seinem Lehrer Wladimir Putin. Der Budapester Bürgermeister Gergely Karacsony schreibt auf Facebook: "Vergeblich versucht die Regierung aus unserer Heimat Russland zu machen, Budapest ist nicht Moskau und wird es niemals sein".

Der ungarische Oppositionspolitiker Peter Magyar bei einer Rede am 15.03.2025 in BudapestBild: Balint Szentgallay/IMAGO

Sollte das Gesetz in Kraft treten, würden seine Bestimmungen die Arbeit von unabhängigen Medien und Nichtregierungsorganisationen extrem erschweren, denn viele von ihnen sind für ihre Arbeit auf die Ein-Prozent-Steuer-Regelung angewiesen. Auch könnte die Regierung beim geringfügigsten Verstoß Medien oder Organisationen verbieten lassen. Ein Beispiel ist das Investigativportal Direkt36. Ihm wurde bereits vor längerem vorgeworfen, im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes zu arbeiten. Der Anlass: Direkt36 hatte den Dokumentarfilm "Die Dynastie" über Korruption und milliardenschwere Selbstbereicherung der Orban-Familie veröffentlicht.

Die eigentliche Stoßrichtung des Gesetzes könnte aber die Oppositionspartei Tisza sein, die derzeit in Umfragen deutlich vor Orbans Fidesz liegt. Damit deutet sich bei der kommenden Parlamentswahl im Frühjahr 2026 ein Machtwechsel an.

Der ehemalige Generalstabschef der ungarischen Armee, Romulusz Ruszin-Szendi, bei einer Veranstaltung der Tisza-Partei am 15.03.2025 in BudapestBild: Balint Szentgallay/IMAGO

Schon seit längerem behauptet Orban, die Tisza-Partei sei von der EU und der Ukraine gekauft, um einen Machtwechsel in Ungarn herbeizuführen. Nun drehen der Premier und seine Regierung das Narrativ noch weiter. Am Dienstag schrieb Orban auf Facebook, "eine ungarische Oppositionspartei hat eine aktive Rolle in einer ukrainischen Geheimdienstaktion übernommen". Konkret wirft Orban seinem Kontrahenten Peter Magyar und dessen Partei vor, zusammen mit dem wegen angeblich proukrainischer Positionen entlassenen ehemaligen Generalstabschef der ungarischen Armee, Romulusz Ruszin-Szendi, Aktionen gegen die ungarische Armee gestartet zu haben. Belege dafür gibt es nicht.

Das "Transparenz-Gesetz" soll nun in der kommenden Woche debattiert werden. Wann eine Abstimmung darüber stattfindet, ist unklar. Klar ist hingegen, dass es vom Europäischen Gerichtshof mit großer Wahrscheinlichkeit für rechtswidrig erklärt werden würde. Doch das könnte Jahre dauern. Bis dahin könnte Orban sein Ziel des Machterhalts um jeden Preis erreicht haben.