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Auf der Suche nach der neuen Weltordnung

Gero Schliess24. Mai 2016

Zahlreiche Krisen bestimmen aktuell die Weltpolitik. Doch wie bringt man Ordnung ins Chaos? Darüber diskutiert Bundesaußenminister Steinmeier mit Historikern in der neuen Gesprächs-Reihe "Berliner Korrespondenzen".

Dipesh Chakrabarty und Achille Mbembe bei den "Berliner Korrespondenzen" im Gorki Theater (Foto: DW/Gero Schließ)
Bild: DW/G. Schließ

Ordnung. So heißt das zentrale Wort in einer Zeit weltpoltischer Umwälzungen, die Deutschland spätestens mit der Flüchtlingskrise erreicht haben. "Die Welt ist aus den Fugen", pflegt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu sagen. Denn die Ordnung in vielen Teilen der Welt erodiert. Grund genug, das Thema Ordnung jetzt in der von Gorki-Theater, Humboldt-Universität und Auswärtigem Amt neu aufgelegten Gesprächsreihe "Berliner Korrespondenzen" zu diskutieren - innenpolitisch wie außenpolitisch.

Ordnung braucht Konsens

Zum Auftakt war eigens der kameruner Historiker Achille Mbembe angereist: "Ordnung setzt voraus, dass wir wirklich an sie glauben und dass sie sich gleichzeitig fortlaufend in Frage stellt", erklärte er im DW-Gespräch am Rande der Diskussion. Warnend fügte er hinzu: "Wenn es darüber keinen Konsens gibt, dann löst sie sich sehr schnell auf." Von Afghanistan bis Syrien ließen sich weltweit zahlreiche Belege für diese These finden. So bedrohe der Zusammenbruch der Ordnung in Syrien nun auch die Ordnung in Deutschland. Damit sei ein empfindlicher Nerv der Deutschen getroffen, für die das Konzept von Ordnung immer noch einen guten Klang habe.

Das mag aktuell auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bewogen haben, kurz vor ihrem Besuch beim türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan verbal die Sehnsucht der Deutschen nach Ordnung aufzugreifen. Konkret nahm sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Stellung zum Anwachsen der rechtspopulistischen AfD: Ihre Partei, die CDU - so wird sie von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert - wolle Lösungen für die innere und äußere Sicherheit anbieten und "Ordnung und Steuerung in als ungeordnet empfundene Zustände bringen".

Außenminister Steinmeier eröffnet die "Berliner Korrespondenzen"Bild: U. Langkafel

Steinmeier und die Ordnung

Anders als die Kanzlerin versagt sich Außenminister Steinmeier in seiner Eingangsrede zu den "Berliner Korrespondenzen" eine schnelle politische Nutzanwendung in Sachen Ordnung. Ihn interessieren politisch-philosophische Fragestellungen dazu schon lange. Und so bleibt er über weite Strecken grundsätzlich - und philosophisch. "Ordnung muss sein", zitiert er in seiner Rede ein beliebtes Sprichwort der Deutschen. Doch das war aus seiner Sicht nie falscher als heute, zumindest mit Blick auf die deutsche Außenpolitik und die unterschiedlichen krisenhaften Zuspitzungen in der Welt. Einfach starr an der bestehenden Ordnung festzuhalten und sie zäh zu verteidigen, sei angesichts der überall zu beobachtenden Erosion der poltischen Ordnung keine Lösung. "Welche Ordnung wollen wir?", fragt der Außenminister denn auch. Ordnung sei nie statisch, sondern müsse "Veränderbarkeiten mitdenken", wolle sie ihre Legitimität behalten.

Steinmeier geht noch weiter: "Unsere Vorstellung von Ordnung verursacht woanders Unordnung." Als Beispiel hierfür nennt er Länder wie Afghanistan oder Libyen, wo der Westen folgenschwere Fehler machte, etwa als er beim Wiederaufbau den alten Stammesstrukturen zu wenig Aufmerksamkeit schenkte. In seiner Kritik des eurozentristischen Blicks auf die multipolare Welt ist sich Steinmeier rasch mit Achille Mbeme und einem weiteren bedeutenden Gast, dem indischen Historiker Dipesh Chakrabarty, einig.

Die alte Welt gibt es nicht mehr

Die beiden Wissenschaftler Mbembe und Chakrabarty haben sich mit provokanten Thesen zum Postkolonialismus einen Namen gemacht und genießen eine Art Kultstatus. "Die Welt, in der wir nur mit unsereins zusammenleben, gibt es nicht mehr", sagt Achille Mbembe der Deutschen Welle. "Unsere Herausforderung ist, dass wir immer mehr mit Menschen leben werden, die nicht so aussehen wie wir."

Mbembe empfiehlt, dass Länder wie Deutschland mit den Unterschieden produktiv umzugehen lernen und die speziellen Fähigkeiten von Menschen aus anderen Kulturkreisen als Bereicherung begreifen. "Jeder andere Diskurs ist nostalgisch", so Mbembe mit Blick auf die erstarkenden rechtsnationalistischen Kräfte in Europa.

Kolonialpolitik im Inneren

Der indische Historiker Dipesh Chakrabarty findet für seine Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik noch drastischere Worte: Deutschland und Europa führten einen "unerklärten Krieg gegen illegale Migranten," so sein Urteil. Das Ergebnis werde "noch mehr Gewalt" sein und die Bildung einer "afrikanischen Unterklasse", wie sie in den USA bereits existiere. Die Art, wie etwa Frankreich mit den Migranten umgehe, erinnere ihn an alte "koloniale Strukturen". Beide Historiker waren sich einig, dass sich diese Abwehrmechanismen in einer "immer weiter zusammenschrumpfenden Welt", in der die Krisen zu uns kommen, niemals aufrecht erhalten lassen.

Chakrabarty kritisierte die anglo-amerikanische Wirtschaftsordnung, in der jeder nur in die Kategorien "Kaufen" oder "Verkaufen" eingeteilt werde. Beide Wissenschaftler ermutigten die Deutschen, an ihrem Konzept eines Wohlfahrtsstaates festzuhalten. Allerdings könne dieser nur überleben, wenn er sich für die Neuankömmlinge öffne, sie also an seinen Wohltaten teilhaben lasse und im Gegenzug ihr einzigartiges Potential zum Wohle der Allgemeinheit nutze.

Steinmeier (3. v. l.) mit Diskutanten und Organisatoren der "Berliner Korrespondenzen"Bild: DW/G. Schließ

Viele Ordnungen statt einer

Zum Schluss dreht sich die Diskussion noch einmal um ein Wort des früheren Bundekanzlers Willy Brandt (1913-1992), das Außenminister Steinmeier zuvor zitiert hatte: "Keine Ordnung ohne Gerechtigkeit", schrieb Brandt in einem Text für die "Nord-Süd-Kommission", eine unabhängige Kommission für internationale Entwicklungsfragen, der er seinerzeit vorsaß.

Die Welt sei seitdem viel komplizierter geworden. Die alte Ordnung sei mit dem Ende des Kalten Krieges zusammengebrochen, ohne dass bisher eine neue gefunden wurde, analysiert Steinmeier. Er stellt die Frage, ob es künftig überhaupt noch "die eine Ordnung " geben werde oder stattdessen viele Ordnungen, die miteinander konkurrieren. Wo da die westlichen Werte und unsere Vorstellung von Demokratie blieben, das dürfte auch innerhalb Deutschlands parteiübergreifend noch heftig diskutiert werden.

Nagelprobe Türkei

Keine Frage: Steinmeiers offen betriebene Suche nach neuen Akzenten in der Außenpolitik ist mutig. Immerhin liegt die Versuchung nahe, seine tastenden Diskurse sofort mit zentralen poltischen Konfliktfragen abzugleichen. Die Intendantin des Gorki Theaters, Shermin Langhoff, lieferte dafür in ihrer kurzen Begrüßung eine ideale Vorlage. Mit Blick auf Angela Merkels jüngste Türkeireise legte sie zielsicher den Finger in die Wunde: Erst 100 Jahre nach dem Genozid der Türken an den Armeniern würden nun auch die Deutschen offiziell von Völkermord sprechen, kritisierte sie. Langhoff warnte im nächsten Satz vor einem neuen Völkermord, diesmal an den Kurden. Hinzu komme das autoritäre Gehabe des türkischen Präsidenten und die von ihm betriebene Umwandlung der Türkei in einen autokratischen Staat.

Bleibt man in Steinmeiers Bild von konkurrierenden Ordnungen, müsste er nun Farbe bekennen, ob er diese Art von Ordnung noch für tolerabel hält. Der Außenminister kann von Glück reden, dass keiner diese Vorlage verwandelte.


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