Oreschnik: Womit beschießt Russland die Ukraine?
22. November 2024"Die russische Seite hat ihre Fähigkeiten klar demonstriert." Dieser Satz von Kremlsprecher Dmitri Peskow nach dem Einsatz einer neuartigen Rakete fasst zusammen, worum es der russischen Führung geht.
Die Rakete, die am Donnerstag auf die ukrainische Großstadt Dnipro abgefeuert wurde, sollte als Warnung verstanden werden - und als Drohung. Beides richtet sich an die westlichen Partner, die die Ukraine mit Waffen versorgen.
So hat die Ukraine russischen Angaben zufolge erstmals Anfang der Woche US-Raketen des Typs ATACMS gegen Russland eingesetzt, die Ziele in bis zu 300 Kilometer Entfernung treffen können. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte daraufhin mit einer "entsprechenden" Antwort gedroht.
Und auch nach dem Einsatz der neuartigen russischen Rakete erfolgte eine weitere Drohung, diesmal von Seiten des Kremlsprechers: "Die Konturen der weiteren Reaktion für den Fall, dass unsere Bedenken nicht berücksichtigt werden, sind ebenfalls klar umrissen worden", sagte er der russischen Nachrichtenagentur Interfax.
Dies gibt einen Hinweis auf das Bedrohungspotential der neuartigen Rakete, die angeblich auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann. Ihren Zweck scheint sie erfüllt zu haben, denn die Drohung ist angekommen.
Sitzung des NATO-Ukraine-Rates
Als Reaktion auf den Einsatz der Rakete hat NATO-Generalsekretär Mark Rutte auf Wunsch der Ukraine eine Sitzung des NATO-Ukraine-Rates für kommenden Dienstag einberufen. Der NATO-Ukraine-Rat ist ein neues Gremium, das erstmals im vergangenen Jahr getagt hat. Es wurde für den Austausch in Krisensituationen geschaffen. Eine solche hat die neue russische Rakete nun ausgelöst.
"Die Welt muss reagieren", forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstagabend und erklärte: "Im Moment gibt es keine starke Reaktion". Er sieht den Einsatz der Rakete als "offensichtliche und ernsthafte Steigerung des Ausmaßes und der Brutalität des Krieges".
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sprach am Freitag von einer "furchtbaren Eskalation", die zeige "wie gefährlich dieser Krieg ist".
Auch China hat sich geäußert. Außenamtssprecher Lin Jian rief in Peking alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Beide Seiten sollten "die Bedingungen für einen baldigen Waffenstillstand schaffen."
Die Angst von dem "Nussstrauch"
Was ist das für eine Rakete, die für so viel Wirbel gesorgt hat? "Eine Hyperschall-Rakete experimentellen Charakters", lautet die Antwort. So zumindest hat sie der russische Präsident Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Donnerstagabend bezeichnet.
Er sprach davon, dass Russland "eines der neuesten russischen Mittelstrecken-Raketensysteme unter Kampfbedingungen getestet" habe. Weiter sagte er, die Hyperschallrakete könne mit Atomsprengköpfen bestückt und nicht abgefangen werden.
Die als so gefährlich angepriesene Rakete trägt einen recht harmlosen Namen: "Oreschnik". Dies heißt übersetzt "Nussstrauch".
Wirklich so gefährlich?
Ob die "Oreschnik"-Rakete wirklich so gefährlich ist, wie der Kreml sie anpreist, ist nicht klar. Der Schaden, den sich angerichtet hat, soll vergleichsweise begrenzt sein.
Laut den Behörden in Dnipro hat die Rakete eine Infrastruktureinrichtung getroffen und zwei Zivilisten verletzt. Ein US-Regierungsvertreter sagte in Washington, dass die neuartige Rakete kein "game changer" sei.
Und dann ist da noch die Frage, wie neuartig die "Oreschkin" überhaupt ist. Das US-Verteidigungsministerium geht davon aus, dass das Modell auf der russischen Interkontinentalrakete RS-26 basiert.
Und auch Fabian Hoffmann, der an der Universität Oslo zu Raketentechnologie forscht, glaubt nicht an eine völlig neuartige Waffe. "Ich wäre überrascht, wenn Russland (eine solche Rakete) bauen könnte, ohne mindestens zu 90 Prozent auf bestehende Entwicklungen zurückzugreifen, und ohne Teile der RS-26 auszuschlachten", so Hoffmann. Ein US-Regierungsvertreter sagte zudem, dass Russland vermutlich nur eine Handvoll dieser Raketen besitze.