Organsentnahme nach Hinrichtung
9. März 2012 In China gibt es, wie überall auf der Welt, ein deutliches Missverhältnis zwischen der Zahl von Organspendern und benötigten Organen. Eine Million Patienten pro Jahr warten auf eine neue Niere, 30.000 auf eine neue Leber. Allerdings stehen pro Jahr nur etwa 10.000 Organe zur Verfügung. Eine große Zahl dieser Organe stammt von hingerichteten Häftlingen. Offizielle Angaben über die Zahl der Hinrichtungen gibt es von chinesischer Seite nicht. Amnesty International geht von mehreren Tausend Hinrichtungen pro Jahr aus.
Grundlage dieser Praxis ist eine Bestimmung vom Oktober 1984, die das Oberste Volksgericht, die Oberste Volksstaatsanwaltschaft und vier weitere Ministerien beschlossen haben. Die Bestimmungen zur Verwendung der Organe hingerichteter Häftlinge gestattet das Entnehmen der Organe von Häftlingen in drei Fällen: Erstens bei Verurteilten ohne Angehörige, zweitens bei Häftlingen, die ihre Organe nach Vollstreckung der Todesstrafe freiwillig spenden und drittens, in Fällen, bei denen die Familien des Hingerichteten einer Entnahme und Nutzung der Organe zustimmen.
Grauzone Todestrakt
Allerdings wirft die Todeszelle als Quelle für Organspenden große Zweifel auf, meint Sarah Schafer von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Für die zum Tode Verurteilten sei es schwer, sich gegen eine Organspende zur Wehr zu setzen. Der Nachrichtenagentur AFP sagte Schafer, dass bei einem zum Tode verurteilten Häftling nicht von wirklicher Zustimmung zur Organspende gesprochen werden könne. Bei den Äußerungen des Vize-Gesundheitsministers lief es Schäfer, so wörtlich, "kalt den Rücken runter".
Früher war in China die Todesstrafe durch Erschießung vollzogen worden. Heute kommt meist eine Giftinjektion zum Einsatz. Das begünstigt spätere Organentnahmen, weil die Organe des Toten nicht beschädigt werden. Liao Tienchi hat jahrelang für die Laogai Research Foundation des Menschenrechtsaktivisten Harry Wu mit Sitz in Washington DC gearbeitet. Sie ist mit dem chinesischen Justizsystem bestens vertraut. "Um die Organe von den hingerichteten Gefangenen zu verwenden, wird bei der Hinrichtung geschummelt. Die Häftlinge wissen nicht, ob die Injektion nur eine Narkose ist, oder ob sie das tödliche Gift enthält."
Aufbau eines Organspende-Systems
Im August 2009 wurde in zehn Provinzen ein System für die Organspende eingeführt. Das System soll helfen, den Zugang zu den Organen zu erleichtern. Selbst nach offizieller Lesart ist der Anteil der Organe von hingerichteten Gefangenen im chinesischen Transplantationssystem zu groß.
Chinas Vize-Gesundheitsminister Huang Jiefu kündigte bei der diesjährigen Politischen Konsultativkonferenz eine neue Verordnung zur Organtransplantation an. Sie soll noch dieses Jahr in Kraft treten. Insbesondere sollen freiwillige Organspenden der Bürger gefördert werden. Das Rote Kreuz in China sei beauftragt, künftig die Organisation des Organspende-System zu übernehmen.
Liao Tienchi ruft alle Bürger auf, sich an Organspenden zu beteiligen. Sie weist auf die gängige Praxis in den USA hin. Dort sei auf jedem Führerschein vermerkt, ob der Inhaber einer Organspende nach einem tödlichen Unfall zustimme. "Die Organe können so in kürzester Zeit verwendet werden, um andere Patienten zu behandeln."
In China dagegen stehen der Organspende alte Traditionen entgegen. Es ist ein Gebot der Pietät, den ganzen Leichnam unversehrt zu beerdigen. Dazu kommt das Misstrauen der Menschen. Viele befürchten, dass Korruption und Geschacher auf dem Markt der Organtransplantationen dazu führen könnten, dass wohlhabende Patienten begünstigt werden. Zu einem erfolgreichen Organspendesystem gehören für Liao deshalb Transparenz sowie Beteiligung der Öffentlichkeit und der unabhängigen Justiz. "Nur durch öffentliche und gerichtliche Kontrolle kann die Situation schrittweise verändert werden."
Autorin: Ying Yang/Übersetzung: Phyllis Kuhn
Redaktion: Rodion Ebbighausen