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Orhan Pamuk: Rot ist mein Name

Thomas Böhm28. Mai 2002

Ein spannender Roman, der, als historischer Krimi verkleidet, immer wieder auch auf die gegenwärtige Spannung zwischen Orient und Okzident verweist.

Istanbul, 1591. Der Sultan hat ein Buch in Auftrag gegeben, das an den Dogen von Venedig geschickt werden soll, um diesen mit den Kulturleistungen und der politischen Macht des osmanischen Reiches zu beeindrucken.

Blasphemie zur Verständigung

Gleichzeitig ist das Buch das Angebot für eine Verständigung, denn es ist im "fränkischen Stil" illustriert, das heißt die darin enthaltenen Buchillustrationen sind perspektivisch gemalt und man kann die dargestellten Personen erkennen. Die "fränkische" Darstellungsart, wie sie seit dem 14. Jahrhundert in Europa praktiziert wird, galt und gilt den Moslems aus verschiedenen Gründen als blasphemisch - unter anderem weil die Dinge nicht nach ihrem Wert und ihrer Wichtigkeit dargestellt werden. In einem moslemischen Bild sollte der Sultan immer die größte Figur sein. Andere Menschen und Gegenstände müssten kleiner dargestellt werden, egal, ob dies perspektivisch richtig ist oder nicht. Zudem gilt das von Mohammed ausgesprochene Verbot der bildlichen Darstellung von Menschen, das verhindern soll, dass die Abbilder beim Jüngsten Gericht ebenfalls auferstehen.

An diesen Grundkonstellationen des Romans "Rot ist mein Name" erkennt man bereits, daß der türkische Autor Orhan Pamuk die Kriminalgeschichte um die Leiche im Brunnen als Hintergrund für sein kulturgeschichtlich spannendes und aufschlussreiches Buch gebraucht.

Bild: AP

Kokettierende Leiche

Eine Leiche einen Romananfang erzählen zu lassen, ist nicht nur ein literarischer Kunstgriff, sondern auch eine religiöse Provokation, vor allem wenn diese Leiche damit kokettiert, sie habe die im Koran verheißenen goldenen Paradiesschlösschen und die schönen Jungfrauen im Jenseits nirgends entdecken können. Es sind Provokationen wie diese, die Pamuk zum umstrittensten Gegenwartsschriftsteller der Türkei gemacht haben.

Die Kritiker Pamuks übersehen jedoch, daß es ihm nicht darum geht, islamische Traditionen, Mythen, Kunst zu verspotten. Diese werden vielmehr daraufhin befragt, welche blockierende oder welche inspirierende Wirkung von ihnen ausgeht, welche Bedeutung sie in der modernen Welt haben können, welche zeitlose Schönheit sie besitzen, welche Kunstfertigkeit in sie eingegangen ist.

Farbenreicher Bilderbogen

Pamuk benutzt die islamische Kunst- und Kulturgeschichte nicht als totes Material; er läßt sich anregen, lässt seinen Roman anwachsen zu einem wunderbar zu lesenden, farbenreichen Bilderbogen von kleinen und großen Liebesgeschichten, Grusel- und Abenteuerstorys, Parabeln. Dabei wechselt er nach dem Eingangskapitel immer wieder die Erzählperspektive, lässt nach der Leiche auch einen Baum, einen Hund, sogar die Farbe Rot erzählen.

Atemberaubend sind die Passagen, an denen aus der Geschichte des Mörders erzählt wird, seine Beweggründe offenbart werden: Der Mörder versucht, die traditionelle osmanische Malerei vor den Einflüssen Europas zu bewahren, weil er glaubt, daß die osmanischen Illustratoren immer nur als Kopisten der Fränkischen Meister gelten werden. Indem er aber auf die Individualität der osmanischen Malerei besteht, beruft er sich auf ein europäisches Konzept. Pamuk löst diesen Widerspruch nicht auf, zeigt vielmehr die Verbindungsstücke und die Bruchstellen, die Missverständnisse und Mordmotive bei der Begegnung von Orient und Okzident.

Diese Thematik in Verbindung mit Pamuks immensem erzählerischen Können und der beeindruckenden kulturgeschichtlichen Materialfülle lassen "Rot ist mein Name" rückblickend als das Buch des Jahres 2001 erscheinen.

Orhan Pamuk
Rot ist mein Name
Hanser 2001
ISBN 3446200576
EUR 9,95

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