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Oscarprämiert: The Zone of Interest - Der Sound des Grauens

6. März 2024

Viele Kinofilme sind über den Holocaust gedreht worden. Sie hinterlassen zumeist ein beklemmendes Gefühl. "The Zone of Interest" aber hievt das Unaussprechliche auf eine ganz neue Ebene - und erhält zwei Oscars.

Eine fröhliche Gesellschaft in einem Garten, Kinder planschen im Pool, im Hintergrund eine hohe Mauer mit Stacheldraht, ein Wachturm und Gebäude des Konzentrationslagers Auschwitz.
Fröhliche Gartenparty und unsägliche Gräueltaten, nur durch eine Mauer getrennt - Filmszene aus "The Zone of Interest"Bild: Leonine Studios

Ein dumpfes Dröhnen begleitet die Familie in den Schlaf. Es wummert, faucht, zischt und knallt - Geräusche einer Fabrik, die Tag und Nacht produziert. Nur: diese Fabrik produziert keine Ware, sie produziert Leichen. Die Familie, die von diesen Geräuschen Tag und Nacht begleitet wird, ist die Familie von Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz.

Ihr Haus steht direkt neben den Mauern des Lagers, vom idyllischen Garten aus sind Schornsteine zu sehen, aus denen dichter Rauch aufsteigt. Nachts schlagen Flammen empor. Die Kinder spielen im Garten, jenseits der Mauern bellen Hunde, brüllen Wachleute, schreien gequälte Lagerinsassen, fallen Schüsse. Es ist der Sommer 1943, die Krematorien von Auschwitz sind vor wenigen Wochen in Betrieb genommen worden und laufen nun rund um die Uhr.

Das Grauen bleibt hinter den Mauern

Diesseits der Mauer pflegt Hedwig Höß, gespielt von der Oscar-nominierten deutschen Schauspielerin Sandra Hüller, ihren blühenden Garten, zeigt ihrem Baby die Blumen.

Ihr Blumengarten ist Hedwig Höß' ganzer StolzBild: Leonine Studios

Als die Mutter sie besucht, erzählt sie ihr, dass sie an der Mauer zum Lager Wein hochwachsen lassen möchte, "dann sieht man das nicht mehr so". Das ist eine von sehr wenigen Szenen, in denen die Nachbarschaft angesprochen oder kommentiert wird. Ansonsten wird das, was hinter der Mauer passiert, ignoriert und weggeplaudert. Nur einmal holt das Grauen die Familie ein: Beim Baden im Fluss werden "Vati" Höß und seine Kinder von einer Asche-Flut aus den Krematorien überrascht. Danach werden die Kinder in der Badewanne nahezu verzweifelt geschrubbt und gesäubert.

Das Idyll neben den KZ-Mauern droht zu zerplatzen, als Höß nach Berlin versetzt werden sollHedwig möchte mit den Kindern auf jeden Fall in ihrem selbst erschaffenen Paradies bleiben - mit oder ohne Ehemann.

Einer der wenigen längeren Filmdialoge: Hedwig erklärt ihrem Mann, dass sie in Auschwitz bleiben willBild: Leonine Studios

Gnadenlose Effizienz

Rudolf Höß (Christian Friedel) ist ein ruhiger und pflichtbewusster Mann, der seine Gefühle perfekt beherrscht. Liebevoll sorgt er für seine Bilderbuchfamilie, trägt seine schlafwandelnde Tochter ins Bett zurück, liest seinen Kindern Märchen vor, liebkost sein Pferd und reitet mit seinem Ältesten aus. Dann tritt er seinen Dienst im Lager an und treibt die Vernichtung der Juden dort weiter voran, knallhart, unmenschlich und von gnadenloser Effizienz.

Höß lässt sich die Pläne für einen noch effizienteren Verbrennungsofen zeigenBild: Leonine Studios

In seinen Memoiren, die Höß in der Gefangenschaft vor seiner Hinrichtung 1947 verfasst hatte, ist genau diese Effizienz eines seiner großen Themen. Er habe früh gelernt, keine Gefühle zu zeigen, war stolz auf sein eiskaltes Gesicht beim Morden: "Kalt und herzlos mußte ich scheinen, bei Vorgängen, die jedem noch menschlich Empfindenden das Herz im Leibe umdrehen ließen (…) Mußte kalt zusehen, wie die Mütter mit den lachenden oder weinenden Kindern in die Gaskammern gingen."

Ein pflichtbewusster Massenmörder

Dabei habe er immer an seine eigene Familie denken müssen. Wenn er das Verbrennen der Leichen, das Zahnausbrechen, das Sterben in den Gaskammern mit ansehen musste - was zu seinen Pflichten gehörte - habe ihn manches so sehr verstört, dass er nicht zu seiner Familie nach Hause konnte, schrieb er über seine verborgene Gefühlswelt. Dennoch habe er in keinem Moment Reue verspürt.

Christian Friedel als Höß: Massenmord war für den Auschwitz-Kommandanten nur "Arbeit", die er gewissenhaft verrichteteBild: Leonine Studios

Für ihn stand die Pflichterfüllung im Namen seiner Befehlshaber über allem. Und so war der Massenmord an Hunderttausenden Menschen für ihn eine unumgängliche Tätigkeit, die kein Hinterfragen duldete.

Der Lippenstift der ermordeten Jüdin

Der Film "The Zone of Interest" stellt nicht die Frage nach Höß' Charakter. Er stellt die Frage danach, wie es Menschen möglich sein kann, in direkter Nachbarschaft zu einer Tötungsfabrik zu leben und jegliches Gespür dafür auszublenden, was hinter den Mauern geschieht.

Dazu sagte Höß-Darsteller Christian Friedel dem Online-Magazin "Filmstarts": "Es ist ja eine Tatsache, dass Menschen so gelebt haben. Ich glaube, diese Dimensionen der Verdrängung, die in uns allen möglich wären - aus was für Gründen auch immer - das ist genau dieser Spiegel, der uns in dem Film vorgehalten wird."

Hedwig Höß (Sandra Hüller): "Rudolf nennt mich die Königin von Auschwitz"Bild: Leonine Studios

Dieser Verdrängungsmechanismus zeigt sich besonders krass in Szenen, in denen eins der Kinder mit herausgebrochenen Goldzähnen spielt, ein Häftling die Blumen im Hößschen Garten mit der Asche der Verbrannten düngt oder Hedwig Höß einen Pelzmantel anprobiert, der einer getöteten Jüdin gehörte. In der Tasche findet sie einen Lippenstift und trägt ihn auf. Es kümmert sie nicht, dass sich eins der Mordopfer ihres Mannes als letztes die Lippen damit geschminkt hat.

Ganz allein vor den Kameras

Die Dreharbeiten waren für die Mitwirkenden ungewöhnlich. Haus und Garten waren mit Kameras versehen, hinter denen keine Kameraleute standen. Alles wurde von einem Wohnwagen aus gesteuert und beobachtet, das Schauspielensemble agierte allein. Nie wussten die Darstellerinnen und Darsteller genau, wann und in welcher Einstellung sie gefilmt wurden. Zudem gibt es so gut wie keine Nahaufnahmen von den Figuren, und diese Distanz verleiht dem Film einen fast dokumentarischen Charakter.

Ein idyllischer Tag am See, aus der Ferne von einer unbeteiligten Kamera dokumentiertBild: A24/Everett Collection/picture alliance

Die Dialoge wirken oft improvisiert; manche Gespräche versteht man gar nicht richtig, was auch kein Verlust ist - meistens ist es harmloses Geschwätz. Es sei denn, Hedwig Höß bemerkt, dass man die Kleider der Ermordeten, die sich die Familie wie selbstverständlich aneignet, ändern lassen müsse, sie seien ja alle viel zu eng.

Der Ton transportiert den Schrecken

Regisseur Jonathan Glazer ist es mit diesem Film gelungen, den Holocaust anders als bisher darzustellen. Denn er verzichtet absichtlich darauf, in Bildern zu zeigen, welche Gräueltaten hinter den Mauern passieren. Das überlässt er dem Ton. Die allgegenwärtigen Geräusche des Vernichtungslagers brauchen keine Bilder, um den Schrecken zu transportieren. Es gibt so gut wie keine Musik. Die Töne, die sehr spärlich im Film eingesetzt werden, sind elektronisch und von äußerster Brutalität.

Omnipräsenter Sound: Fröhliches Geplauder mischt sich mit den Geräuschen der Vernichtungsmaschinerie im HintergrundBild: Leonine Studios

Auch tontechnisch wurde mit einem Trick gearbeitet. Auf den sonst so angenehmen Stereoton wurde verzichtet - denn Stereo vermittelt Nähe - und das wollten die Filmemacher unbedingt verhindern. Und so brechen sowohl das Grauen als auch die Banalität als undifferenzierter Klangteppich über das Kinopublikum herein.

Als am Ende die Leinwand schwarz wird, ertönt eine Art Chor, quälend laut, disharmonisch, zerstörerisch, brutal - reiner Terror, und dennoch von Menschen gemacht.

"The Zone of Interest" wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Großen Jurypreis bei den Filmfestspielen in Cannes 2023. Bei den Oscars, die am 10. März 2024 in Los Angeles verliehen wurden, war er fünfmal nominiert, zwei Trophäen gab es am Ende: Für den Besten Internationalen Film und für den Besten Ton.

"The Zone of Interest" ist ein grausamer, wichtiger und unglaublich guter Film, über den Höß-Darsteller Christian Friedel sagt: "Wenn ich jetzt sehe, in was für Zeiten wir leben, wie relevant der Film ist, bin ich glücklich, dass wir ihn gemacht haben."

Der Artikel wurde nach der Vergabe der Oscars am 10.3. aktualisiert.

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online
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