Claude Lelouch wird 80
30. Oktober 2017
"Französischer" als die anderen: Der Regisseur Claude Lelouch gilt als typischer Vertreter der Filmkunst seines Landes. Trotzdem musste er, ungeachtet eines Oscars, immer um Anerkennung ringen - zumindest bei der Kritik. Obwohl sich Lelouchs Karriere parallel zu denen seiner berühmten Kollegen François Truffaut, Claude Chabrol und Jean Luc Godard entwickelte, rechnet man Claude Lelouch nicht zur Nouvelle Vague, die Anfang der 1960er Jahre das althergebrachte Kino in Frankreich aus den Angeln hob.
Lelouch steht wie kaum ein anderer für französisches Unterhaltungskino
Truffaut, Chabrol, Godard und die anderen Nouvelle-Vague-Heroen stehen bis heute für die große Filmkunst. Lelouch gilt dagegen als Vertreter des Unterhaltungskinos. Offenbar hält das jung. Lelouch hat bis ins hohe Alter gearbeitet, am Montag (30.10.2017) kann er seinen 80. Geburtstag feiern. Truffaut, Chabrol, Eric Rohmer, Jacques Rivette, Louis Malle oder Alain Resnais sind tot. Einzig Godard lebt noch, hat aber schon länger keinen Film mehr gedreht.
1966 gewann Claude Lelouch für "Ein Mann und eine Frau" die Goldene Palme in Cannes, im Jahr darauf einen Oscar. Ein ungeheuerlicher Triumph für den damals jungen Regisseur. Die Liebesgeschichte zwischen einem Mann und einer Frau (das Traumpaar Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant), die ihre Kinder in einem Internat in der Normandie besuchen und sich dabei kennen- und lieben - lernen, hat auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung nichts von seinem Charme und seiner melancholischen Eleganz verloren.
20 Filme des Regisseurs auf DVD
Kurz vor seinem 80. Geburtstag ist in Deutschland eine reichhaltige DVD-Edition erschienen, in der auch hierzulande weniger bekannte Filmen Lelouchs enthalten sind. Die Ausgabe mit 20 Filmen des Regisseurs, verteilt auf 5 DVD-Boxen, gibt Antworten auf die Frage, ob dieser Regisseur nicht auch außerhalb seiner Heimat ein wenig mehr Anerkennung verdient hätte.
Wir haben drei Filme von Claude Lelouch genauer unter die Lupe genommen. Nachdem das Debüt des jungen Filmemachers "Le propre de l'Homme" 1960 ein finanzielles Desaster wurde und der verzweifelte Regisseur sämtliche Kopien des Films vernichtete, gilt heute sein zweiter Film als sein eigentliches Debüt: "L'Amour avec des si" ("Die Fahndung", 1962). Es ist ein Roadmovie, das einen Mann zeigt, der eine Anhalterin mitnimmt. Die beiden durchqueren Nord-Frankreich. Im Autoradio hören sie immer wieder Nachrichten über einen gefährlichen, aus dem Zuchthaus ausgebrochenen Mörder, genannt "der Sadist". Der Zuschauer wird bis zum Schluss darüber im Unklaren gelassen, ob es sich bei dem Autofahrer um eben jenen Ausbrecher handelt.
Lelouchs erste Filme waren experimentierfreudig
Sieht man Lelouchs frühen Schwarz-Weiß-Film heute wieder an, so sollte man ihn durchaus zu den Nouvelle-Vague-Filmen jener Zeit rechnen. Es ist eine unprätentiös erzählte Geschichte voller filmischer Spielereien mit den typischen Ingredienzien der Nouvelle Vague. Die Haupthandlung wird immer wieder von Nebenschauplätzen unterbrochen, reflektiert so welthistorische Ereignisse der Zeit. Die offene Erzählweise, Montage und Kameraperspektiven, stehen für Experimentierfreude und Lust am unkonventionellen Erzählen. Warum also wird Lelouch heute nicht zu den Mitbegründern der legendären Erneuerungsbewegung des französischen Kinos gezählt?
Die Beantwortung dieser Frage führt zu Lelouchs größtem Erfolg "Ein Mann und eine Frau". Der Film wurde damals zum Mittelpunkt einer harschen Auseinandersetzung, die die ideologischen Grabenkämpfe um Kunst und Politik jener Epoche widerspiegelt. Jean-Louis Comolli, einflussreicher Kritiker und Chefredakteur der ebenso einflussreichen Zeitschrift "Cahiers du Cinema", brandmarkte Lelouchs Film, der beim Publikum sehr erfolgreich war, als Beispiel für angeblich niveauloses Unterhaltungskino.
Lelouch geriet ins Zentrum einer ideologisch geführten Debatte
Lelouch zählte sich damals durchaus selbst zum Nouvelle-Vague-Umkreis, weil er wie seine Kollegen seine Filme selbst schrieb, produzierte und inszenierte. Er handelte also, nach der Doktrin der künstlerischen Moralhüter, als eigenständiger und unabhängiger Autor - im Gegensatz zu den nur ausführenden Regisseuren des kommerziellen europäischen Films oder Hollywoods. Das sah Comelli freilich anders und fuhr schwere Geschütze auf.
Comelli klassifizierte "Ein Mann und eine Frau" als billiges Unterhaltungsprodukt, das dem "Champs-Elysée-Publikum ein reines Gewissen" gab: "eine risikolose Anwendung formaler Manierismen des modernen Kinos, ein Flitterwerk der Moderne, dem die Seele abhanden gekommen ist." Comellis Suada gipfelte in den Worten, Lelouchs Ästhetik sei "eine Krankheit des Kinos, ein Krebs".
Claude Lelouch wird noch immer unterschätzt
Mag sein, dass die harte Beurteilung von Lelouchs frühen Filmen mit dazu beigetragen hat, dass sich der Regisseur später tatsächlich eher kommerziellen Vorgaben des Unterhaltungskinos zugewandt hat - uninteressant sind die meisten seiner späteren Filme deshalb nicht. Im Übrigen haben auch Regisseure wie Chabrol misslungene Filme abgeliefert, Godard hat vieles gedreht, was schon zur Zeit seiner Entstehung nur für ein paar hartgesottene linke Film-Ideologen "genießbar" war.
Schauen wir auf zwei spätere Werke Lelouchs. In "Mariage" von 1974 erzählt der Regisseur in vier Episoden vom Niedergang einer Ehe. Angesiedelt sind die einzelnen Sequenzen jeweils am (Jahres-)Tag der Befreiung von den deutschen Truppen in der Normandie. "Mariage" ist ein wehmütiger Film über das Fortschreiten der Zeit, über den Verlust von Liebe und die Zerstörung von Lebensträumen. Brillant besetzt mit dem Duo Bulle Ogier und Rufus, ist "Mariage" auch eine Art Geschichtskino abseits großer politischer Ereignisse, gespiegelt im Leben eines Paares.
Kriminalfilme mit Pfiff
Ein Jahr später inszenierte Claude Lelouch eines jener Werke, die ihn als zuverlässigen und handwerklich versierten Regisseur des französischen Kriminalfilms etablieren sollte: "Le chat et la souris" ("Eine Katze jagt die Maus"). Hier untersucht ein Inspektor (Serge Reggiani) den Mord an einem reichen Geschäftsmann. Im Verdacht steht seine attraktive Witwe, gespielt von Michèle Morgan.
Interessanter als die konventionelle, wenn auch nicht überraschungsarme Krimihandlung, sind die Nebenerzählstränge. Der Regisseur, seit Beginn seiner Karriere ein großer Liebhaber des Motorsports, frönt seinem Hobby auch in diesem Film: Um zu beweisen, dass die Witwe möglicherweise ihren Mann ermordet hat, fahren Lechat und sein Assistent die Straßen und Wege aus dem Herzen der Stadt Paris bis zur Vorstadtvilla des Ermordeten ab.
Radikale filmische Experimente auch später noch
Lelouch zeigt das aus subjektiver Perspektive, fast ohne Schnitt und Kommentar, in ganzer Länge. Und weil es so schön ist, gleich noch einmal, diesmal nicht aus dem Fenster eines Automobils, sondern vom Motorrad aus. Zwei völlig ungewöhnliche Sequenzen innerhalb eines konventionellen Spielfilms: Radikal in ihrer Länge wirken diese Kamerafahrten wie ein Ausblick in das Zeitalter des Videospiels.
Allein für solch überraschende formale Spielereien lohnt ein Blick auf die weniger bekannten Werke dieses zu Unrecht unterschätzten französischen Regisseurs.
Die Filme von Claude Lelouch sind in 5 Boxen beim Anbieter "Studio Hamburg Enterprises" erschienen.