In der 94-jährigen Oscar-Geschichte wurden nur zwei Frauen mit dem begehrten Regie-Oscar geehrt. Wieso haben es Frauen in dieser Männerdomäne so schwer? Ist ein Wendepunkt in Sicht?
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"Well, the time has come…" ("Nun, die Zeit ist reif…") verkündet Barbra Streisand, als sie die Gewinnerin des Regie-Oscars aus dem Briefumschlag im Jahr 2010 zieht. Zum ersten Mal in der damals 81-jährigen Geschichte der Academy Awards gewinnt eine Frau eine der wichtigsten Kategorie. Die Überraschung in Kathryn Bigelows Augen ist groß. Sie setzte sich mit ihrem Film "The Hurt Locker" gegen James Cameron und Quentin Tarantino durch.
Bis 2010 gab es in dieser prestigeträchtigen Kategorie überhaupt nur vier weibliche Nominierungen: Lina Wertmüller (1977), Jane Campion (1994), Sofia Coppola (2004), Kathryn Bigelow (2010). Vergangenes Jahr dann die Sensation: Zum ersten Mal in der Geschichte der Oscars wurden zwei Frauen nominiert - Chloé Zhao und Emerald Fennell. Mit "Nomadland" gewann Zhao die begehrte Trophäe. Auch in diesem Jahr gibt es einen Präzedenzfall - Jane Campion ist die erste Filmemacherin, die zum zweiten Mal in der Kategorie "Beste Regie" nominiert wurde. Ist die Academy diverser geworden?
"Ich zögere, dies als Fortschritt zu bezeichnen. Ich denke, es wäre treffender, es als ein Nachgeben gegenüber den anhaltenden Einwänden aus der Gemeinschaft zu bezeichnen, dass etwas ernsthaft nicht stimmt, wenn Jahr für Jahr keine Frauen nominiert werden", sagt Martha Lauzen, Direktorin am Center for the Study of Women in Television & Film an der San Diego State University. "Der routinemäßige Ausschluss von Frauen in einer der prestigeträchtigsten Kategorien durch die Academy war einfach nicht mehr tragbar oder zu rechtfertigen."
Das Ungleichgewicht in der Filmindustrie
Schritt für Schritt betreten selbstbewusste Frauen die stark von Männern dominierten Gewerke in der Filmbranche. Laut dem aktuellen Celluloid Ceiling Report, der seit 24 Jahren jährlich erscheint und die Beschäftigung von Frauen in den 250 umsatzstärksten US-Filmen erforscht, geht das allerdings nur sehr langsam voran - mit einem erneuten Rückschlag, wie der diesjährige Report zeigt.
Nach einem historischen Höchststand im Jahr 2020 saßen ein Jahr später wieder weniger Frauen auf dem Regiestuhl. So sank der Anteil der Regisseurinnen an den 250 besten Filmen von 18 auf 17 Prozent. Der Anteil der Regisseurinnen, die an den Top-100-Filmen arbeiten, sank von 16 Prozent auf 12 Prozent. Auch in anderen Filmberufen sind Frauen stark unterrepräsentiert: Im Jahr 2021 hatten 94 Prozent der 250 besten US-Filme keine weiblichen Kameraleute, 92 Prozent keine Filmkomponistinnen, 82 Prozent keine Regisseurinnen, 73 Prozent keine Cutterinnen und 72 Prozent keine Drehbuchautorinnen.
Keine Vorschusslorbeeren
"Die Akademie spiegelt die Einstellungen und Vorurteile der größeren Mainstream-Filmgemeinschaft wider. Diese Vorurteile benachteiligen Frauen, die Regie führen. Dazu gehört auch der unbegründete Gedanke, dass Frauen nicht die nötige Vision und Interesse hätten, um große Studiofilme zu leiten", so Martha Lauzen. "Während Studios und Finanziers bereit waren, viel Geld in aufstrebende männliche Regisseure zu investieren, waren sie weniger bereit, in vielversprechende weibliche Regisseure zu investieren, die in der Regel als 'riskante Kandidaten' galten."
Einer der bekanntesten Profiteure dieser Voreingenommenheit sei Colin Trevorrow. Bevor er bei "Jurassic World" Regie führte, habe Trevorrow nur einen kleinen unabhängigen Film gedreht. "Man erzählt sich, dass Trevorrow Steven Spielberg an sein jüngeres Ich erinnert habe und deswegen den Job bekam. Spielberg war bereit, einem relativ unerprobten Regisseur eine Chance zu geben. Bei Frauen, die Regie führen, ist es viel unwahrscheinlicher, dass sie von dieser Art Voreingenommenheit profitieren", sagt Martha Lauzen.
Wendepunkt für Frauen?
Lange Zeit war die Filmbranche eine reine Männerdomäne, doch die Kontroverse um mangelnde Vielfalt kocht bei Hollywoods höchsten Filmpreisen immer wieder hoch. In den vergangenen Jahren gab es eine Welle von Kritik, mal unter dem Hashtag #OscarsSoMale, mal unter #OscarsSoWhite, als schwarze Talente und andere Minderheiten übergangen wurden. Im Zuge der "Black Lives Matter"-Debatte nach dem Mord an George Floyd und den "MeToo"-Protesten hat die Academy zaghafte Reformen angekündigt. Schließlich ist Diversität in der Filmszene schon längst ein beliebtes Buzzword.
So wurde der Anteil der Frauen des 54-köpfigen Board of Governors von 26 auf 31 aufgestockt. Auch in der Kategorie "Bester Film" wurden Reformen angekündigt. Nominiert und dementsprechend ausgezeichnet werden können ab 2024 nur noch diejenigen Filme, die zwei Diversitätskriterien erfüllen - und zwar in den vier Bereichen Schauspiel, Produktions- und Kreativteam, Ausbildung, Marketing und Vertrieb. Beispielsweise könnte eine Hauptdarstellerin oder Hauptdarsteller einer Minderheit angehören, etwa afroamerikanischer, asiatischer, hispanischer oder indigener Abstammung sein. Als ein weiteres Kriterium führt die Filmakademie inhaltliche Aspekte an: Filmbeiträge sollten demnach ein Thema behandeln, das sich um Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderungen oder LGBT-Inhalte dreht - also Lesben, Schwule, bisexuelle und Trans-Menschen.
Zudem wollte sich die Academy in jüngster Zeit auch für das Publikum öffnen, denn die Organisatoren verzeichnen drastisch sinkende Publikumszahlen bei der Preisverleihung. Bei der Zeremonie im vergangenen Jahr schalteten nur noch rund zehn Millionen Menschen zu - weniger als die Hälfte der TV-Zuschauer von 2020. Nun haben die Organisatoren der Oscar-Verleihung einen Publikumspreis eingeführt, bei dem die Filmfans im Internet abstimmen können.
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Die Filmbranche in Deutschland
Auch in Deutschland wird längst über die Herausforderungen von Frauen in der Filmbranche und die notwendigen Reformen diskutiert. Folgendes Beispiel macht die Diskrepanz sehr anschaulich: Es gibt deutlich mehr Absolventinnen an den Filmhochschulen als anschließend Frauen im Filmgeschäft. Bei den männlichen Absolventen und Berufstätigen sind die Zahlen genau umgekehrt.
"Zwar sind Frauen mit 25 Prozent in der Regie mittlerweile etwas häufiger vertreten als noch vor ein paar Jahren - nach wie vor müssen aber Regisseurinnen deutlich mehr Hürden überspringen als ihre männlichen Kollegen. Durchhaltevermögen, Durchsetzungskraft und Flexibilität zählen bei der Regie zu den Erfolgsfaktoren, und dieses Rüstzeug wird immer noch eher Männern zugetraut als Frauen", sagt Sarah Duve-Schmid, Stellvertreterin des Vorstands und Leiterin Förderung bei der Filmförderungsanstalt (FFA). "Hohe Arbeitsbelastung, lange häusliche Abwesenheiten, aber auch häufig fehlende Betreuungsinfrastrukturen und eine schlechtere Bezahlung, das sind Faktoren, die sich nach wie vor schwierig gestalten und dazu führen, dass sich Frauen nach der Filmhochschule oder später beruflich anders orientieren, temporär aus ihrem Beruf aussteigen und der Branche verloren gehen", so Sarah Duve-Schmid.
Es gebe durchaus eine neue Aufmerksamkeit für Filme von Frauen, eine besondere Neugier, eine verstärkte Wahrnehmung und gerade in letzter Zeit auch viel Anerkennung. Es habe sich schon sehr viel verändert, da insgesamt in der Gesellschaft eine Sensibilität für das Thema Gleichberechtigung geschaffen wurde, die es vorher so nicht gegeben habe, sagt Duve-Schmid. "Was die Förderung von Projekten unter weiblicher Regie betrifft, findet bei der FFA ein regelmäßiges Monitoring der eingereichten Projekte und Förderzusagen statt. Es lässt sich feststellen: Seit einigen Jahren gibt es deutlich mehr Anträge für Kinoprojekte mit weiblicher Regie - und diese werden auch proportional öfter gefördert. In jedem Fall gibt es in unseren Fördergremien eine ausgeprägte Aufmerksamkeit darauf, die Projekte von Frauen zu prüfen und auch Produktionsfirmen darin zu bestärken, Projekte von Frauen einzureichen."
Und Regisseurinnen in Deutschland wie Karoline Herfurth, Jutta Brückner, Nina Grosse, Katja von Garnier, Anika Decker, Caroline Link, Nicolette Krebitz, Julia von Heinz und viele mehr betreten zunehmend selbstbewusster den roten Teppich - und fordern sich ihren Platz in der Branche ein.
"I Am Not Your Negro": Hollywood und der Rassismus
In den letzten Jahren hat sich Hollywood oft mit Rassismus beschäftigt. Vor allem Spike Lee tat sich hervor. Doch auch in früheren Jahren zeigten die Regisseure die Konflikte innerhalb einer zerrissenen Nation auf.
Kämpfer für die Rechte der Afro-Amerikaner: der Regisseur Spike Lee
Spike Lee ist in den vergangenen Jahren zum führenden afro-amerikanischen US-Regisseur geworden. Lee (l.), hier bei Dreharbeiten zu seinem neuen Film "Da 5 Bloods", debütierte Mitte der 1980er Jahre als Regisseur. Rassismus in den USA wurde zu seinem Thema, mal emotional und berührend, manchmal auch eher unterhaltsam. In "Da 5 Bloods" behandelt er das Schicksal von vier schwarzen Vietnam-Soldaten.
Bild: picture-alliance/Everett Collection/Netflix/D. Lee
Amerikanische Rassismus-Historie: "Selma"
Der Blick der afro-amerikanischen Regisseurin Ava DuVernay richtete sich 2014 auf einen Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung 1965. Die Regisseurin zeichnete den Marsch von Bürgerrechtlern und Einwohnern von Selma nach Montgomery im US-Bundesstaat Alabama nach. Um den Film gab es gerade Streit. Wurde er bei den Oscars übergangen, weil sich Schauspieler für die Rechte von Schwarzen eingesetzt hatten?
Bild: picture-alliance/dpa/A. Nishijima
Rassismus-Kritik weichgespült? "Green Book"
Es ist nicht so, dass Hollywood das Thema Rassismus in jüngster Zeit aus den Augen verloren hätte. Peter Farrellys "Green Book" gewann 2019 sogar den Oscar. Doch die auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte eines weißen Chauffeurs (Viggo Mortensen, l.) und eines schwarzen Pianisten (Mahershala Ali) galt vielen Kritikern als weichgespült: Kritik am Rassismus, die nicht weh tut - so der Vorwurf.
Bild: picture alliance/AP/Universal/P. Perret
Oscar für große Filmkunst: "Moonlight"
Zwei Jahre zuvor hatte "Moonlight" von Regisseur Barry Jenkins den Oscar gewonnen. Doch das war ein ganz anderer Film. Vielleicht lag es daran, dass Jenkins Afro-Amerikaner ist. Der Regisseur erzählt die Geschichte eines afro-amerikanischen, homosexuellen Mannes. "Moonlight" überzeugte ästhetisch, verzichtete auf Kitsch und Melodramatik und setzte seine Story differenziert und hintergründig um.
Bild: picture alliance/AP Photo/D. Bornfriend
Großes Kino von Steve McQueen: "12 Years a Slave"
Und auch dafür gab es einen Oscar: Der 2013 in den Kinos angelaufene und ein Jahr später mit der Trophäe ausgezeichnete "12 Years a Slave" blickt tief zurück in die Anfänge des Sklaventums in den USA. Der Film des schwarzen Regisseurs Steve McQueen, der zuvor schon als Künstler Erfolg gehabt hatte, inszenierte das Rassismus-Drama mit prominenten Schauspielern und einer packenden Dramaturgie.
Auch dafür steht das "schwarze Kino" heute: Popularität, Genre-Nähe und eine damit einhergehende "unterhaltsame", nur angedeutete Rassismus-Kritik. Die Marvel-Verfilmung "Black Panther" stellte 2018 erstmals einen schwarzen Superhelden in den Mittelpunkt. Die weißen Comic-Autoren Stan Lee und Jack Kirby hatten die Figuren in den 60er Jahren auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung erfunden.
Bild: picture alliance/AP Photo/Disney
Originell und überraschend: "Get Out"
Sicher einer der eigenwilligsten Beiträge zum Thema Rassismus im Kino war 2017 der Film "Get Out". Anders als so viele gut gemeinte, dabei oft aber auch rührselige Hollywood-Filme, setzte der afro-amerikanische Regisseur Jordan Peele auf eine Genre-Geschichte. Rassismus wird hier mit Horror- und Comedy-Elementen präsentiert - das Ergebnis ist ein überaus origineller und überzeugender Genre-Mix.
Vor vier Jahren überraschte US-Regisseur Jeff Nichols das Publikum mit dem feinfühligen Drama "Loving". Auch das war ein Film, der sich eines historischen Kapitels des nordamerikanischen Rassismus annahm. Der Film thematisiert den Kampf eines Paares, das sich gegen das Gesetz verbotener Mischehen auflehnt und damit vor Gericht Erfolg hat - eine wahre Geschichte.
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com/Focus Features
Stilvoller Genre-Mix: "Queen & Slim"
2019 brachte die griechisch-amerikanische Regisseurin Melina Matsoukas ihr Spielfilmdebüt "Queen & Slim" in die Kinos, eine Art Bonnie & Clyde-Variante im heutigen Amerika, in dem Rassismus unter der Oberfläche gärt. "Queen & Slim" setzt auf Sozial- und Gesellschaftskritik, ist aber auch Melodrama und Road-Movie. Melina Matsoukas hatte zuvor Musikvideos inszeniert, u.a. für Rihanna und Beyoncé.
Das Thema Rassismus gab es im US-Kino bereits in früheren Jahren. Inszeniert wurden die Filme fast ausschließlich von weißen Regisseuren. "Die zwölf Geschworenen" (1957) war einer der ersten Filme, der Rassismus thematisierte. Das Debüt von Sidney Lumet war ein Justizthriller, der sich mit Vorurteilen weißer Geschworener beschäftigte: Sie sollen ein Urteil gegen einen Puerto Ricaner fällen.
Bild: picture-alliance/United Archives
Authentisches frühes Kino von John Cassavetes: "Shadows"
Auch John Cassavetes war ein weißer US-Regisseur, auch er hatte, wie Melina Matsoukas, griechische Vorfahren. Cassavetes gelang 1959 mit dem Debüt "Shadows" etwas ganz Besonderes. "Shadows" erzählt die Geschichte von drei afro-amerikanischen Geschwistern in der New Yorker Musikszene, authentisch und einfühlsam. Wohl kein anderer US-Regisseur kam dem Lebensgefühl seiner Protagonisten damals näher.
Bild: picture-alliance/United Archives/IFTN
Sidney Poitier in "In der Hitze der Nacht"
In den 60er Jahren fasste das Thema Rassismus auch Fuß im Mainstream-Kino. Sidney Poitier hieß der erste große afro-amerikanische Filmstar in Hollywood. Im Drama "In der Hitze der Nacht" (1967) spielt Poitier einen aus dem Norden stammenden Polizisten, der im Süden der USA einen Fall aufklären will und dabei auf abgrundtiefen Hass von Rassisten stößt. Der Film wurde mit fünf Oscars ausgezeichnet.
Bild: picture-alliance/United Archiv/TBM
Tabubrecher "Mississippi Burning"
20 Jahre später inszenierte der Brite Alan Parker "Mississippi Burning". Der Rassismus-Thriller rief ein zwiespältiges Echo hervor: "Parkers effekthascherische Regie (tut) so ziemlich alles, um 'Mississippi Burning' in den Abklatsch eines Gangsterfilms zu verwandeln. Dennoch durchbricht der Film ein Tabu: Er setzt eine ganze Schicht weißer amerikanischer Spießer ins Unrecht", so ein Kritiker.
Bild: ORION PICTURES CORPORATION
In the Ghetto: "Boyz n the Hood"
Eine andere Richtung schlug der afroamerikanische Regisseur John Singleton 1991 ein. Sein Debüt "Boyz n the Hood" gilt als erster Film, der ein authentisches Bild vom Leben der schwarzen Bevölkerung in einem Problemviertel in einer US-Großstadt zeichnet. Kein klassischer Film über Rassismus und die Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß - aber ein Meilenstein des "New Black Cinema".
Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Hollywood-Blick: Rassismus außerhalb der USA
Der Blick weißer Hollywood-Stars auf Rassismus wird auch gern auf Schauplätze außerhalb der USA verlegt. In dem Sportdrama "Invictus" erzählt Clint Eastwood die aufsehenerregende Geschichte der südafrikanischen Rugby-Nationalmannschaft. Eastwood blickte nach Südafrika in die Jahre nach dem Apartheid-System. Morgan Freeman spielte damals Nelson Mandela.
Bild: AP
Dokumentarisch: "I Am Not Your Negro"
Neben den Spielfilmen, die das US-Kino in den letzten Jahrzehnten zum Thema beisteuerte, gab es auch Dokumentationen. Überzeugend geriet 2016 "I Am Not Your Negro" des aus Haiti stammenden Regisseurs Raoul Peck, der sich bei seiner Rückschau auf Rassismus in den USA auf Texte des Schriftstellers James Baldwin stützte. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in den USA ein sehr aktueller Film.