Oskar aus der Kiste
10. Juni 2005
Das gab es noch nie in der Geschichte des Landes: Ein früherer Parteivorsitzender und Ex-Kanzlerkandidat, ein ehemaliger Finanzminister und Ministerpräsident, eine Politfigur der allerersten Garde, der Superminister der ersten rot-grünen Monate damals 1998, wechselt die Seiten und fordert seine Freunde von einst heraus. Seit 1999, seit er im Zorn über Kanzler Schröders Politik zurücktrat von allen Ämtern, war er der nörgelnde Zwangspensionär aus Saarbrücken. Jetzt genoss er den Medienauftritt in allen Fernsehkanälen.
Dem Parteiaustritt vor wenigen Tagen folgte die Ankündigung, für das neue Linksbündnis aus PDS und Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit für den Bundestag zu kandidieren. Mit guten Aussichten, fragt man die Meinungsforscher. Zum programmatischen Angriff von links gegen den Kanzler, der die Sozialsysteme umbaute, kommt die persönliche Abrechnung: Schröder wurde 1998, was Lafontaine gern geworden wäre – und wohl bis heute hält er sich für den Besseren.
Um Schröder wird es derweil merkwürdig still. In den Tagen nach seinem Überraschungscoup, die Vertrauensfrage stellen zu wollen und Neuwahlen anzustreben, spekulierten die Journalisten in Berlin noch eifrig über seine Motive. Jetzt wird jede Äußerung eines Spitzenvertreters von Union und FDP als mögliche künftige Regierungsstimme bewertet. Der Kanzler macht währenddessen seine Alltagsarbeiten, quasi wie ein geschäftsführender Regierungschef.
Eigentlich, so eine anerkannte Kommentatorin diese Woche, ist Gerhard Schröder bereits zurückgetreten. Kein Umfrageinstitut räumt ihm eine Chance ein am 18. September. Wenn da nicht das Fünkchen Hoffnung für die SPD wäre, das eigentlich fast schon verloren hat, wer den Wahlkämpfer Gerhard Schröder unterschätzt. Aber das ist in der Tat nur ein Fünckchen. Und würde Schröder überhaupt wollen, wenn es denn langte? Auch das weiß momentan keiner so genau. Ein journalistisches Sommerloch jedenfalls, so viel steht fest, wird es im Jahre 2005 in Berlin nicht geben.