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Oskar Lafontaine - der abtrünnige Genosse

Bernd Gräßler18. Juli 2005

Für die einen ist er Demagoge und Populist, für die anderen einer, der verschütt gegangene einfache Wahrheiten wieder ausspricht. Oskar Lafontaine will wieder in den Bundestag - das passt den anderen Parteien gar nicht.

Konkurrenz von Links für die SPD: Oskar LafontaineBild: dpa

Im leichten Sommeranzug, den Kragen des karierten Hemdes geöffnet, tritt Oskar Lafontaine am liebsten vor die Kameras. Schon die legere Anzugsordnung soll wohl Abkehr signalisieren von den etablierten Parteien, denen der 61-jährige Verrat am einfachen Volk vorwirft. "Über die Köpfe des Volkes hinweg" und unter dem Motto, "die Oberen werden entlastet und die Unteren werden immer stärker belastet" seien die Sozialreformen beschlossen worden, wettert Lafontaine und ruft: "Ihr müsst aber sagen: Wir sind das Volk!"


Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine im sächsischen Chemnitz vor rund 1.000 Demonstranten unter dem Motto "Wer sich nicht wehrt - lebt verkehrt".Bild: dpa


So rief er es zum Beispiel Zehntausenden zu, die auf dem Leipziger Augustusplatz gegen die Arbeitsmarktreformen protestierten, die Regierung und Opposition gemeinsam beschlossen haben. Vor den Delegierten der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), die ihn zum Spitzenkandidaten in Nordrhein- Westfalen wählen, stellte der einstige Ministerpräsident, Finanzminister und SPD-Vorsitzende fest: "Das gab es noch nie in dieser Form, dass die Parteien des Deutschen Bundestages alle die Politik der Wirtschaftsverbände machen."

Stimme der Enttäuschten

Lafontaine hat Ende Mai dieses Jahres die SPD verlassen, in die er 1966 als Physikstudent eingetreten war. Geächtet von den meisten einstigen politischen Weggefährten, angefeindet und verspottet vom bürgerlichen Lager, sucht er heute die Nähe der Enttäuschten, Frustrierten, die vom "neoliberalen mainstream" an den Rand gespült wurden. Seine Auftritte sind selbstbewusst und selbstgerecht. Er, Lafontaine, habe gewusst, wie es enden würde mit Gerhard Schröder, dem er - gegen seine innere Überzeugung, aus Parteiräson - 1998 die Kanzlerschaft überließ.

Nach seiner Wahl zum Bundeskanzler wird Gerhard Schröder am 27.10.1998 im Bundestag von Bonn vom SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine (M) umarmtBild: dpa

Seine Flucht aus den Ämtern des Finanzministers und SPD-Parteivorsitzenden im März 1999 - nach dem Bruch mit Schröder - hält Lafontaine nun für in der Sache gerechtfertigt, auch wenn sie politisch ein Fehler gewesen sei. Nicht viele im politischen Berlin sehen das so. Eine der wenigen ist die Grünen-Mitbegründerin und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die in der Berliner Tageszeitung "taz" so zitiert wird: Mit Lafontaine habe Rot-Grün ein besseres Ende genommen, als mit den "Machos" Schröder und Fischer. Laut Vollmer ist Oskar Lafontaine kein "rücksichtloser Populist", den Rachegefühle und persönlicher Ehrgeiz trieben und kein "Charakterschwein", das die SPD spalten wolle.

Offene Feindschaft mit Schröder

Die meisten im rot-grünen Lager behandeln Lafontaine dagegen wie einen Aussätzigen, der einstige Männerfreund Gerhard Schröder will dessen Namen nicht mehr in den Mund nehmen. Als Grund, die SPD zu verlassen, nennt Lafontaine vor allem Schröders erneute Spitzenkandidatur, mit der sich die Hoffnung auf einen baldigen Kurswechsel zerschlage. Nachdem er jahrelang in Vorträgen, Büchern und Kolumnen im Boulevardblatt Bild das politische Berlin piesackte, sagt Lafontaine dem Rest der deutschen Politik nun mit einem neuen Linksbündnis den Kampf an: "Nichts ist wirkungsmächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist", sagt er.



Neue Allianz: Gregor Gysi und Oskar LafontaineBild: dpa

Gemeinsam mit PDS-Politstar Gregor Gysi will Lafontaine die Idee zur materiellen Gewalt machen, was laut Marx dann geschieht, wenn sie die Massen ergreift. In einer neuen Linkspartei aus ostdeutscher PDS und westdeutscher WASG sieht der "Weltökonom" aus dem Saarland Mehrheiten für seine Rezepte, die dem neoliberalen Zeitgeist entgegenstehen: Über höhere Löhne die Nachfrage anzukurbeln und Wachstum zu schaffen, die Steuerquote zu erhöhen, um den Sozialstaat zu retten, europäische Geldpolitik für Beschäftigung zu machen. Hier findet er Beifall für seine Ablehnung von Kriegen, wie sie von der NATO in Ex-Jugoslawien geführt wurden.

Fischen am rechten Rand

Nicht nur Feind, auch Freund irritierte er allerdings mit der öffentlichen Warnung, zu viele "Fremdarbeiter" könnten die raren Arbeitsplätze in Deutschland besetzen. Lafontaine fische Wählerstimmen am rechten Rand, so der Vorwurf aus Politik und Medien. Der Gescholtene streitet ab, dass Fremdarbeiter ein Begriff aus dem Nazi-Jargon sei. Den Vorwurf, um rechte Wähler zu werben, weist er aber nicht zurück: "Was das Bemühen um Wähler der NPD angeht, da hoffe ich doch, dass dies alle Parteien machen. Es wäre ja geradezu verantwortungslos, in einer Demokratie, froh darüber zu sein, dass Menschen aus Protest NPD wählen. Ich freue mich, dass solche Menschen jetzt wieder eine Wahlalternative haben, nämlich uns."

Zweifel bleiben, ob die Wortwahl nur ein Ausrutscher war, oder ob mit Lafontaine nicht nur die neue Linke, sondern auch ein neuer Linksnationalismus Einzug hält. Fest steht nur: Lafontaine tut, was er schon oft getan hat, er polarisiert.