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Politik

Osmani: "Im Dialogprozess keinen Schritt zurück"

Bekim Shehu
11. November 2020

Bevor Kosovo die Gespräche mit Serbien fortführt, muss das Land eine breit legitimierte, einheitliche Position zum Dialog finden, fordert die kommissarische Staatspräsidentin Vjosa Osmani im DW-Interview.

DW-Interview mit der amtierenden Präsidentin Kosovos, Vjosa Osmani
Kosovos amtierende Präsidentin Vjosa Osmani im DW-InterviewBild: Bekim Shehu/DW

DW: Frau Osmani, der Präsident Kosovos, Hashim Thaçi, trat zurück, weil er sich vor dem Kosovo-Sondertribunal in Den Haag verantworten muss. Droht dem Land damit eine institutionelle Instabilität? Oder ist gar das Funktionieren des kosovarischen Staates in Gefahr?

Vjosa Osmani: Der Rücktritt des Präsidenten und sein Gerichtsverfahren in Den Haag sind eine außergewöhnliche und keine einfache Zeit für Kosovo, weder für unsere Bürger, noch für unsere Institutionen. Trotz dieser Entwicklung dürfen wir nicht zögern, weiter zu wiederholen, was tatsächlich in unserem Land passiert ist: Die Wahrheit ist, dass Serbien in Kosovo grausame Verbrechen begangen hat, vom versuchten Völkermord bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Diese Verbrechen zogen sich über einen langen Zeitraum hin und wurden von einem Regime begangen, das einem Apartheidregime glich. Für diese Verbrechen wurde Serbien leider noch nicht vor Gericht gestellt, mit Ausnahme einiger Fälle vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ICTY. Die Mehrheit der Verbrechen bleibt weiterhin ungeahndet.

Es gibt viele Stimmen in Kosovo, die sagen, dass das Sondertribunal einseitig sei und die Angeklagten nach ethnischen Kriterien aussuche, da es nur um Verbrechen auf kosovarischer Seite gehe.

Als das kosovarische Parlament über das Sondergericht debattierte, wurde auch die Frage diskutiert, ob dieses Gericht nur für eine ethnische Gruppe zuständig sein wird. Die damalige Regierung, bestehend aus LDK und PDK, eine Koalition der Parteien von Hashim Thaçi und Isa Mustafa, haben darauf bestanden, dass das Sondergericht in dieser Weise gebildet werden sollte, weil sonst, wie man uns Abgeordneten damals gesagt hatte, die andere Option viel schrecklicher wäre - also die Gründung eines Sondergerichts seitens der UNO, das sich nicht an die Gesetze Kosovos zu halten hätte. Das würde eine Rückkehr in die Zeit von UNMIK bedeuten (vor der staatlichen Souveränität Kosovos, Anm. der Redaktion), und die UNO würde durch dieses Gericht zusätzliche Kompetenzen im Bereich der Rechtsprechung bekommen. Nach der Erklärung der Unabhängigkeit 2008 haben jedoch wir diese Zuständigkeit bekommen. Es wurde also gesagt, dass es ein Angriff auf die Staatlichkeit Kosovos wäre, wenn wir ein solches UNO-Gericht zulassen würden. Deshalb haben die meisten Abgeordneten, darunter auch ich, für die jetzige Option gestimmt. Es war also der Wille und die Entscheidung Kosovos, dieses Sondergericht zu einem Teil unserer Verfassung und unseres Rechtssystems zu machen.

"Gemeinsame Position des gesamten politischen Spektrums"

Sie sind derzeit kommissarische Staatspräsidentin. Das Parlament muss nun einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin wählen. Würden Sie das Amt auch in den kommenden fünf Jahren ausüben, wenn das Parlament Ihnen das anbietet?

Ich glaube nicht, dass ich zu den Personen gehören werde, die Teil des politischen Kalküls im gegenwärtigen Parlament sein werden.

Sie sagten, Kosovo befinde sich in einer schwierigen Situation. Wie soll Ihrer Meinung nach der Dialog mit Serbien fortgesetzt werden?

Ich denke, dass es aufgrund der aktuellen Entwicklungen nicht angebracht ist, den Dialog mit Serbien sofort fortzusetzen. Die Institutionen Kosovos sollten sich etwas Zeit nehmen, sich beraten und eine einheitlichere Haltung zum Dialog entwickeln. Es ist notwendig, dass jeder, der im Namen Kosovos über das Schicksal Kosovos verhandelt, eine gemeinsame Haltung des gesamten politischen Spektrums vertritt, anstatt nur die der jeweiligen Koalition, die er oder sie repräsentiert. Ich werde diesbezüglich meinen größtmöglichen Beitrag leisten, um gemeinsam mit allen zu erörtern, welche Positionen Kosovo einnehmen sollte. Aber ich glaube, dass jetzt für Kosovo nicht der richtige Moment ist, weiterzumachen, als wäre nichts passiert.

Auf der anderen Seite haben wir als Parlament Kosovos, um nun in meiner Eigenschaft als Parlamentspräsidentin zu sprechen, der Regierung klar gemacht, welche die roten Linien in Bezug auf die Themen sind, die nicht diskutiert werden sollten. Diese haben nicht nur mit der Souveränität und der territorialen Integrität des Landes zu tun, sondern auch mit der Art und Weise, wie die internen Regeln in Kosovo festgelegt werden. Wir sollten nicht die Fehler früherer Verhandlungen wiederholen.

Einigkeit ist notwendig, aber wir dürfen im Dialogprozess keinen Schritt zurück machen, insbesondere nicht nach den jüngsten Erklärungen des EU-Sonderbeauftragten für den Dialog zwischen Serbien und Kosovo, Miroslav Lajčák. Er hat Kosovo gebeten, die Verfassungsänderungen in der Frage des Zusammenschlusses der serbischen Kommunen voranzutreiben. Die politischen und institutionellen Führer Kosovos sollten sich daher zusammensetzen, um ihre Positionen zu diesen Themen im Detail zu bekräftigen, statt nur allgemein zu sagen, dass die Verfassung der Leitfaden ist.

Wir dürfen nicht ständig Zugeständnisse machen in der Hoffnung, dass Serbien uns angeblich anerkennen wird, wenn es sich am Ende doch so verhalten wird wie 2007, 2008. Sieht man sich die letzten Vereinbarungen an, glaube ich, dass sie der falsche Ansatz sind. Serbien kann man einfach nicht vertrauen.

"Joe Biden war unsere Stimme, als wir keine eigene hatten"

Was erwarten Sie von der neuen US-Regierung?

John Bolton, der ehemalige nationale Sicherheitsberater des noch amtierenden US-Präsidenten Trump, hat die Idee von Grenzänderungen und eines Gebietstausches zwischen Serbien und Kosovo unterstützt. Das ist eine der historisch gefährlichsten Ideen für unsere Region. Diese Idee brachte Kosovo in eine sehr unangenehme Situation, in der der frühere Premierminister Ramush Haradinaj gezwungen war, Zölle auf serbische Waren zu erheben, um so ein zusätzliches Hindernis gegen dieses Thema zu schaffen.

Da Joe Biden die Vergangenheit Kosovos und den regionalen Kontext sehr gut kennt, habe ich große Erwartungen. Biden weiß sehr gut, dass Serbien die schrecklichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in unserem Land begangen hat, einschließlich des Völkermords. Und er war einer der Menschen, die Kosovo zur Seite standen, als nur wenige Diplomaten oder Politiker ihre Stimme für uns erhoben. Er war wirklich unsere Stimme in einer Zeit, in der wir keine eigene Stimme hatten.

"Wir wünschen uns eine Stärkere Rolle Deutschlands"

Der deutsche Botschafter in Kosovo, Jörn Rohde, hat in einem Interview mit der DW gesagt, dass Deutschland ein rechtsverbindliches Abkommen zwischen Serbien und Kosovo will, das alle Probleme, einschließlich der gegenseitigen Anerkennung, löst. Was erwarten Sie von Deutschland?

Ich denke, dass eine klare Aussage Deutschlands wie die des Botschafters in diesem Prozess äußerst notwendig ist, denn während es für Deutschland klar ist, gibt es Staaten und bestimmte EU-Beamte, die die Dinge nicht beim richtigen Namen nennen. Das heißt beispielsweise, dass Normalisierung zwischen Serbien und Kosovo die gegenseitige Anerkennung bedeutet, auch wenn sie es Normalisierung nennen. Natürlich führt Kosovo einen Dialog zur gegenseitigen Anerkennung. Das bedeutet aber auch die Anerkennung innerhalb der aktuellen Grenzen und ohne Veränderungen der internen staatlichen Regulierung entsprechend der gegenwärtigen Verfassung Kosovos.

Es muss daher sichergestellt werden, dass dieser Ansatz Deutschlands umfassender wird und von anderen Ländern der Europäischen Union als Mechanismus akzeptiert wird. Deutschland hat eine entscheidende Rolle gespielt, gefährliche Abenteuer wie Grenzänderungen zu verhindern. Dafür sind wir als Staat Deutschland auf ewig dankbar und hoffen sehr, dass sich unsere Zusammenarbeit künftig noch weiter entwickelt. Denn Deutschland ist nicht nur das mächtigste Land in der Europäischen Union, sondern es ist auch das Land, das Kosovo am meisten unterstützt hat, vor und nach dem Krieg wie auch beim Aufbau der Staatlichkeit. Während des Dialogs mit Serbien erwarten wir daher eine stärkere Rolle Deutschlands. Wir wünschen uns einerseits, dass Berlin Katastrophen wie die Idee einer Grenzänderung verhindert, möchten aber auch Ratschläge, Ideen und Unterstützung erhalten, die wir benötigen, um den Dialogprozess voranzutreiben und, wie der deutsche Botschafter in Kosovo selbst sagte, ihn mit einer Vereinbarung abzuschließen, die alle Fragen, einschließlich der gegenseitigen Anerkennung, endgültig behandelt.

Vjosa Osmani, Jahrgang 1982, ist Parlamentspräsidentin Kosovos und eine der angesehensten Politikerinnen ihres Landes. Sie studierte Jura und ist Expertin für internationales Recht. Als Politikerin und Parlamentsabgeordnete war Osmani viele Jahre in der "Demokratischen Liga Kosovos" (LDK) aktiv, trat jedoch in diesem Jahr aus Protest gegen die Rolle ihrer Partei beim Sturz der Koalitionsregierung unter Albin Kurti aus der LDK aus. Nach dem Rücktritt des Staatschefs Hashim Thaçi übernahm sie verfassungsgemäß auch das kommissarische Amt der Staatspräsidentin.