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"Die Welt wird niemals perfekt sein"

Naomi Conrad25. April 2014

Es werde immer neue Herausforderungen in der Entwicklungspolitik geben, sagt Babatunde Osotimehin, Chef des UN-Bevölkerungsfonds, der DW. Nachhaltiges Wachstum funktioniere auch nur, wenn in Menschen investiert werde.

Babatunde Osotimehin (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Osotimehin, derzeit diskutieren Regierungen darüber, wie es nach dem Auslaufen der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) im kommenden Jahr weitergehen soll. Werden wir diese Ziele überhaupt erreichen?

Babatunde Osotimehin: Die MDGs sind nationale Ziele, also müssen wir sie auch so betrachten. Ein paar Länder sind auf dem richtigen Weg, andere Länder werden sie wohl nicht erreichen können. Die Gründe sind vielfältig: Ungleichheiten, Armut, ungleicher Zugang zu Bildung und so weiter. Das sind die Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Die MDGs sind keine abgeschlossene Sache. Wir müssen daran arbeiten, dass die MDGs, die noch nicht umgesetzt sind, jetzt einen Platz finden. Dazu gehören auch die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen.

Glauben Sie, dass wir jemals an den Punkt gelangen, an dem wir sagen können: Jetzt haben wir genügend Fortschritte gemacht?

Die Millenniumsziele der UN

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Jedes Mal, wenn wir eine Herausforderung überwinden, dann öffnet sich doch eine Tür, hinter der eine weitere Herausforderung steht. Entwicklung muss kontinuierlich nachjustiert werden, damit Menschen wirklich ein würdevolles Leben führen können. Ich glaube nicht, dass die Welt jemals perfekt sein wird, weil es doch immer neue Herausforderungen für die Entwicklung geben wird.

"Wir brauchen unbedingt ein größeres Investment in junge Menschen"

Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), dem Sie vorstehen, möchte in den kommenden Monaten die Rolle von jungen Menschen hervorheben. Glauben Sie denn, dass diese in der Entwicklungspolitik bislang nicht ausreichend beachtet wurden?

Ja, das glaube ich schon. Ihre Energie ist noch nicht genutzt worden. Wir brauchen unbedingt ein größeres Investment in junge Menschen, damit sie eine größere Rolle in der Politik spielen. Wir müssen Politikern klar machen: Wenn ihr wirklich nachhaltiges Wachstum und Entwicklung wollt, dann müsst ihr in junge Leute investieren. Wenn ihr in Menschen investiert, vor allem in Frauen und Mädchen, dann werdet ihr nachhaltiges Wachstum schaffen, das alle Erwartungen weit übertrifft.

Ich habe vor Kurzem mit einer äthiopischen Parlamentarierin gesprochen, die sagte, dass es unmöglich sei, eine offene Debatte über Abtreibung in ihrem Land zu führen - dafür seien die Menschen viel zu religiös. Glauben Sie, dass Religion manchmal Fortschritt verhindert?

Der UNFPA respektiert die Entscheidung von Nationalstaaten, was Abtreibungen angeht. Wir fordern lediglich, dass Länder, die sich für die Legalisierung von Abtreibungen entscheiden, sicherstellen, dass diese sicher durchgeführt werden - und dass Länder, in denen Abtreibung illegal ist, trotzdem Mitgefühl und Empathie zeigen. Denn Abtreibungen wird es immer geben.

Aber Sie haben nach dem Zusammenhang zwischen Religion und Entwicklung gefragt: Ja, in manchen Gesellschaften hat Konservatismus durchaus einen Einfluss auf gewisse Entwicklungsfragen. Aber ich kenne auch sehr religiöse Gesellschaften, die durchaus ihr Leben selbst bestimmen und sich entwickelt haben. Religion an sich schreckt mich nicht ab. Religion ist in vielen Aspekten Teil der Menschheit und muss als solches auch akzeptiert werden.

"Wenn ihr in Menschen investiert, vor allem in Frauen und Mädchen, dann werdet ihr nachhaltiges Wachstum schaffen"Bild: picture-alliance/dpa

"Wir müssen eine flächendeckende sexuelle Aufklärung vorantreiben"

Schweden ist eines der Länder, in dem die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen am weitesten fortgeschritten ist. Trotzdem berichten Aktivisten dort, dass fast 40 Prozent aller Frauen häusliche Gewalt erlebt haben. Was kann mehr getan werden, um Frauen vor Gewalt zu schützen?

Sie wollen meine ehrliche Meinung? Wir müssen alle Männer abschaffen! Nein, ich sage es Ihnen: Wir müssen eine flächendeckende sexuelle Aufklärung vorantreiben. Jungen und Mädchen müssen sich gegenseitig respektieren lernen. Vor allem Jungen müssen verstehen, dass Mädchen und Frauen gleichwertige Partner sind. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was wir tun können. Gleichzeitig brauchen wir natürlich auch einen Justizapparat, der sicherstellt, dass Täter sehr schnell verurteilt werden. Wenn weitgehende Straffreiheit herrscht, dann animiert das doch die Täter. Aber es gibt auch zu viele Frauen, die schweigen. Ich habe Frauen getroffen, die in gewalttätigen Beziehungen bleiben. Die müssen lernen, dass es auch ein Leben außerhalb dieser Beziehungen gibt. Wir müssen sicherstellen, dass Mädchen und Frauen eine Ausbildung erhalten. Denn wer sich selber ernähren kann, für den ist es leichter, eine gewalttätige Beziehung zu verlassen.

Die Industrieländer haben sich verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Entwicklungshilfe aufzubringen. Deutschland hat eine Quote von 0,38 Prozent. Halten Sie es für kritikwürdig, dass Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, so wenig aufbringt?

Ich bin froh, dass zumindest Großbritannien die Quote von 0,7 Prozent aufbringt.

Was würden Sie deutschen Politikern sagen?

Ich fordere alle OECD-Länder auf, die 0,7 Prozent aufzubringen, zu der sie sich verpflichtet haben.

Babatunde Osotimehin ist seit 2011 Exekutivdirektor des UNFPA. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen setzt sich für Gleichberechtigung, Bildung und gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder ein.

Das Interview führte Naomi Conrad.

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