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Politik

Osteuropa: Demokratische Prinzipien auf der Kippe

Thomas Roser
29. Dezember 2017

In den ex-sozialistischen Staaten in Ost- und Südosteuropa gerät der Rechtsstaat zunehmend unter Druck - fast drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Was sind die Gründe?

Rumänien Bukarest Proteste Korruption Gesetz
Proteste in Rumänien: auf den Schildern steht "Alle für die Justiz" Bild: picture-alliance/AP/V. Ghirda

Die EU leitet gegen Polen ein Strafverfahren ein. In Rumänien demonstrieren Zehntausende gegen die Aushöhlung des Rechtsstaats. Doch ob in Budapest, Bukarest oder Warschau: Trotz aller Proteste machen sich Regierungen daran, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen und die Gewaltenteilung aufzuweichen: Fast drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs scheinen demokratische Grundprinzipien im Osten wieder auf der Kippe zu stehen.    

Inwiefern steht der Rechtsstaat in einigen ex-sozialistischen Staaten unter Druck?

Ob in Polen, Ungarn oder nun in Rumänien: Es ist der teilweise bereits realisierte Versuch von Regierungen, die Justiz unter ihre direkte Kontrolle zu bringen, der deren Unabhängigkeit aushöhlt - und damit die Gewaltenteilung und das Gleichgewicht der Kräfte im Staat bedroht.

Das Ziel ist eine Justiz nach Maß für die Macht. In Rumänien will die Regierung mehr Einfluss auf die Staatsanwaltschaft, um lästige Korruptionsermittlungen zu verhindern. In Polen soll das Justizministerium Gerichtspräsidenten nach Belieben abberufen können. In Ungarn sind die Rechte des Verfassungsgerichts bereits seit der Verabschiedung der neuen Verfassung 2011 kräftig beschnitten. Gleichzeitig hat die Absenkung des Rentenalters für Richter und Staatsanwälte den Austausch unliebsamer Staatsdiener erleichtert.

Welche Schwierigkeiten plagen die Opposition und unabhängige Aufsichtsorgane?

"The winner takes it all" - oder anders gesagt: die Mehrheit kann schalten und walten, wie sie will, scheint das Grundprinzip vieler Machthaber. Entweder werden lästige Kontrollorgane wie Ombudsmänner, Datenschutzbeauftragte oder Rundfunkräte negiert - oder mit hörigen Gefolgsleuten besetzt. Der Opposition werden notfalls Mikrofone abgedreht, der Zugang zu den vom Staat kontrollierten Medien beschränkt - oder Untersuchungsausschüsse verweigert.

Proteste für eine unabhängige Justiz in Polen Bild: Reuters/Agencja Gazeta/J. Rusek

Wie ist es um die Presse- und Meinungsfreiheit bestellt?

Eher schlecht. Ob bei EU-Anwärtern wie Montenegro und Serbien oder EU-Mitgliedern wie Bulgarien, Polen und Ungarn: Die Kontrollbegehrlichkeiten der Macht gehen längst über die von den Regierungen gleichgeschalteten öffentlich-rechtlichen TV-Stationen oder staatlichen Nachrichten-Agenturen hinaus. Mit dem Entzug staatlicher Anzeigenaufträge wird die ohnehin schwächelnde Presse gefügig gemacht, mit Lizenzvergaben und Übernahmen durch regierungsnahe Investoren selbst einstige Oppositionssender auf Linie gebracht. Respektlose Karikaturisten verschwinden von Titelseiten, Qualitätsblätter von den Auslagen der Kioske, kritische Reporter von den Bildschirmen, unbequeme Sendungen aus dem Äther.

Wie steht es um den Schutz der Minderheiten?

Flüchtlinge, aber auch nationale Minderheiten haben in den Staaten Ost- und Südosteuropas einen schweren Stand. Ungarns Regierung initiiert zum Wohle des eigenen Ratings sogar regelmäßig gezielte PR-Kampagnen gegen die ungewollten Immigranten.

Als größte Minderheit sind Roma in der ganzen Region offener Diskriminierung ausgesetzt. Die Folgen der Jugoslawien-Kriege bekommen die jeweiligen Minderheiten der Nachfolgestaaten am härtesten zu spüren: So klagen Albaner oder muslimische Bosniaken in Serbien genauso über Anfeindungen wie Serben in Kroatien oder Kosovo. Umgekehrt liegt Ungarn wegen seines sehr aggressiven Einsatzes für die Landsleute in der Diaspora vor allem mit den Nachbarn Rumänien und Slowakei regelmäßig im Clinch.

Ist der in den ex-sozialistischen Staaten zu beobachtende Trend eine Ausnahme in Europa?

Ja und nein. "Jeder hat seinen Wilders", konstatiert die kroatische Schriftstellerin Dubravka Ugresic. Tatsächlich sind in ganz Europa populistische Parteien im Aufwind - und rutschen wie nun in Österreich immer häufiger auf die Regierungsbank.

Ostspezifische Eigenheiten sind jedoch sehr starke Regierungsparteien und sehr schwache Staatsinstitutionen. Häufig werden Jobs und Führungspositionen fast ausschließlich nach Parteibuch und kaum nach Qualifikation vergeben. Die Bekenntnisse zu demokratischen Grundwerten wirken bei manchen Machthabern wie ein Lippenbekenntnis: Einige zeichnet gar ein bolschewistischer Drang zum absoluten Gewaltmonopol aus.

Was ist die Motivation der post-sozialistischen Führungseliten?

Einheitlich ist das Bild nicht. Doch ob rechtspopulistische Ex-Dissidenten wie Ungarns Premier Viktor Orban oder die postkommunistischen Erben von Rumäniens Ex-Autokrat Nicolae Ceausescu: Der unbedingte Wille zur absoluten Macht scheint - zumindest unbewusst - auch von der politischen Sozialisierung im Einparteienstaat gespeist. Selbst der huldvolle Satellitenblick zum großen Bruder im Kreml ist bei manchen der zu EU-Skeptikern mutierten Freiheitskämpfern wieder populär.

Wie reagiert die EU?

Auf die fortgesetzten Verstöße Budapests und Warschaus gegen EU-Prinzipien reagiert Brüssel wie ein beleidigt-besorgter, aber überforderter Oberlehrer: Empörte Warnungen sind mit eher hilflosen und jahrelangen Strafverfahren gepaart. Denn die nun gegen Polen angedrohte Höchststrafe, den Klassen- oder Schulrauswurf in Form des Verlusts des EU-Stimmrechts, vermag Brüssel kaum zu vollziehen. Zum einen können sich die beiden EU-Störenfriede ihrer gegenseitigen Veto-Hilfe sicher sein. Zum anderen kann Orban noch immer auf den Rückhalt konservativer Schwesterparteien in den Reihen der EVP bauen.

Orban kann immer noch auf die konservativen Schwesterparteien im EVP zählen Bild: Reuters/D. Pignatelli

Wer einmal im EU-Club ist, hat kaum etwas zu befürchten, so die folgerichtige Erkenntnis in Warschau und Budapest. Etwas nachdrücklicher, aber auch nicht sonderlich konsequent tritt die EU in ihrem Wartesaal auf. Machtpolitische Erwägungen wie die Frage, wie Moskaus Einfluss zu begrenzen sei, scheinen den opportunistischen EU-Umgang mit den Beitrittskandidaten eher zu prägen als die gerne gepredigten europäischen Werte.    

Wie reagiert die Bevölkerung?

Der Hang zum starken Mann und ein eher autoritäres Politikverständnis sind im Osten und Südosten Europas noch immer fest verwurzelt. Der potenzielle Motor gesellschaftlicher Veränderungen - die städtische Intelligenz und junge, gut ausgebildete Fachkräfte - wird hingegen durch die Emigration geschwächt: Die Zahl junger Bulgaren, Kroaten oder Ungarn, die im Westen ihr Arbeitsglück suchen, scheint sich eher zu mehren als zu mindern.

Gibt es dennoch Hoffnung auf eine Umkehr dieser Entwicklungen?

Die demokratische Aufbruchstimmung von 1989 ist in Mittel- und Osteuropa völlig verflogen, auch wenn Polen oder die Slowakei heute über einen Entwicklungsstand verfügen, der selbst beim EU-Beitritt 2004 kaum möglich schien. Das heftige Tauziehen um die beabsichtigte Zähmung der rumänischen Justiz und die Massendemonstrationen zu Jahresbeginn sind jedoch auch ein Indiz, dass viele Rumänen keineswegs mehr zum Parteienfilz und in den Korruptionssumpf der 1990er und 2000er Jahre zurückkehren wollen. 

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