Osteuropa plant Minenteppich gegen Putin
27. Juni 2025
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 gibt es kaum eine drängendere Frage für die NATO als die, wie sie ihre Ostflanke besser verteidigen kann. Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen sind fünf von insgesamt sechs NATO-Staaten, die eine Grenze zu Russland und/oder Belarus besitzen. Schon seit 2022 haben diese Staaten viel investiert, um diese Grenzen besser zu sichern - etwa durch Zäune und Überwachungsanlagen. Nun kommt ein neuer Plan hinzu: Landminen.
Ausstieg aus Ottawa-Abkommen
In den letzten Monaten haben die fünf NATO-Länder nach und nach ihren Ausstieg aus der sogenannten Ottawa-Konvention angekündigt - der 1997 geschlossene und zwei Jahre später in Kraft getretene Vertrag ächtet Antipersonenminen weltweit und verbietet ihren Einsatz, die Produktion sowie die Weitergabe dieser Waffen. Diese Minen sind unter anderem deshalb hochumstritten, weil sie wahllos sowohl Soldaten als auch Zivilisten treffen können. Zudem bleiben nicht geräumte Minen auch nach dem Ende eines Konflikts eine langjährige Bedrohung. Allein 2023 wurden weltweit fast 6000 Menschen durch Landminen getötet oder verletzt - 80 Prozent der Opfer waren Zivilisten, darunter viele Kinder. Die Räumung der Sprengkörper ist gefährlich, teuer und extrem zeitaufwändig.
Offiziell gemacht werden soll der Austritt der fünf NATO-Staaten noch in diesem Juni - lediglich Norwegen, das ebenfalls eine knapp 200 Kilometer lange Grenze zu Russland besitzt, will in dem Abkommen verbleiben. Ab Ende des Jahres könnten die fünf ausgetretenen NATO-Länder dann erneut mit der Produktion und der grenznahen Lagerung von Antipersonenminen beginnen - die im Ernstfall dann schnell und massenhaft zum Einsatz kommen sollen.
Weltweit haben insgesamt 164 Staaten die Ottawa-Konvention unterzeichnet, 33 jedoch nicht. Dazu gehört neben den Großmächten USA und China auch Russland. Tatsächlich sitzt der Kreml auf den weltweit mit Abstand größten Beständen an Antipersonenminen weltweit - schätzungsweise 26 Millionen Stück soll Russland besitzen. Viele davon kommen schon jetzt in der Ukraine zum Einsatz.
Millionen Minen in Waldgebieten?
Bis heute sind nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Handicap International 58 Länder und andere Gebiete mit Landminen verseucht - selbst wenn die zugrunde liegenden Konflikte teils Jahrzehnte zurückliegen.
Und doch könnten schlimmstenfalls schon in wenigen Jahren weitere große Landstriche hinzukommen. Denn insgesamt - vom finnischen Lappland im Norden bis zur polnischen Provinz Lublin im Süden - ist die Grenze der fünf NATO-Staaten zu Russland und Belarus rund 3500 Kilometer lang. Ein Großteil dieser Gebiete ist nur spärlich bewohnt und dicht bewaldet, die lückenlose Überwachung des Grenzstreifens schwierig.
Doch die Sorge vor einem möglichen russischen Angriff auf NATO-Gebiet ist groß. So groß, dass diese Länder nun auf Waffen zurückgreifen könnten, die die Welt eigentlich ächten und abschaffen wollte. Dazu analysieren laut einem Bericht des britischen Telegraph bereits jetzt NATO-Experten, welche Gebiete genau für eine eventuelle Verminung in Frage kämen. Das Ziel der NATO-Länder lautet maximale Abschreckung: Zusammen mit anderen grenzsichernden Maßnahmen soll dieser Minenteppich im Falle eines russischen Angriffs dem anrückenden Feind innerhalb kürzester Zeit so schwere Verluste zufügen, dass Moskau von einem längeren Krieg absieht.
Neuer "Eiserner Vorhang"
Nur: Um diesen langen Grenzstrich wirklich effektiv schützen zu können, wären wohl mehrere Millionen Minen und Sprengfallen nötig. Große Gebiete würden auf Jahrzehnte hinaus unbewohnbar, mögliche Schäden für Mensch und Umwelt wären kaum abzusehen.
Von einem neuen, explosiven "Eisernen Vorhang" sprach bereits David Blair, Auslandskorrespondent des "Telegraph" - in Anspielung auf die schwer bewachte Grenze zwischen der NATO und den Warschauer Pakt-Staaten während des Kalten Krieges. Denn parallel zu einer möglichen Minenverlegung haben die osteuropäischen NATO-Staaten viele weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. So wurden bereits Grenzzäune und -mauern errichtet oder verstärkt, moderne Überwachungs- und Frühwarnsysteme installiert und Truppenkontingente verstärkt. Einige der Anrainerstaaten planen entlang der Grenze auch den Einsatz von Drohnenabwehranlagen, die Vertiefung von Bewässerungsanlagen, um diese im Notfall als Schützengräben nutzen zu können oder das Pflanzen von Bäumen an wichtigen Straßen - als Sichtschutz für Zivilisten und Soldaten.
Notwendig oder unverantwortlich?
Einer der besonders verwundbaren Staaten entlang der NATO-Ostgrenze ist Litauen. Hier, zwischen der russischen Exklave Kaliningrad im Westen und Belarus im Osten, verläuft die sogenannte Suwalki-Lücke, eine nur rund 65 Kilometer enge Landverbindung zwischen dem Baltikum und dem Rest des NATO-Gebietes. Die Sorge, dass ein eventueller russischer Angriff zuerst hier stattfinden könnte, ist besonders groß. Allein Litauen will deshalb in den kommenden Jahren rund 800 Millionen Euro in die Produktion neuer Minen investieren. Litauens Verteidigungsministerin Dowile Šakalienė verteidigte die Minen-Pläne und sprach von einer "existenziellen Gefahr" für ihr Land. Zudem habe Russland in der jüngeren Vergangenheit mehr und mehr Landminen produziert, während Europa unter den Auflagen der Ottawa-Konvention seine eigenen Bestände zerstört habe.
Eva Maria Fischer, Leiterin Advocacy bei Handicap International Deutschland, sprach gegenüber der DW hingegen von einer gefährlichen und besorgniserregenden Entwicklung. "Klar mögen die Sicherheitsbedenken der osteuropäischen Staaten im gegenwärtigen instabilen internationalen Kontext berechtigt sein", sagte Fischer bereits im März, als die ersten der fünf NATO-Staaten ihre Austrittspläne öffentlich machten. "Dauerhafte Sicherheit kann jedoch nicht auf Waffen aufgebaut werden, die wahllos töten, lange nach Konfliktende im Boden bleiben, weiterhin Zivilisten verstümmeln und Lebensgrundlagen zerstören."
"Es gibt Alternativen zur Verteidigung eines Landes", so Fischer. "Diese mögen zwar teurer erscheinen - sind es aber nicht, wenn man die enormen Folgekosten eines Einsatzes von Antipersonenminen berücksichtigt."