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Politik

Ostukraine: "Gulags mit Moskaus Billigung"

13. Juli 2017

In der Ostukraine haben seit 2014 Separatisten und Angehörige des russischen Militärs das Sagen. Ihren Krieg finanzieren sie angeblich über Zwangsarbeit in Straflagern. Die Zustände sollen an sowjetische Gulags erinnern.

Symbolbild Lager & Stacheldraht
Bild: picture-alliance/dpa/A. Halada

Nach Informationen des Deutschlandfunks befinden sich rund 10.000 Gefängnisinsassen in den Straflagern der beiden von den Separatisten ausgerufenen Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Sie würden dort zu harter Schwerstarbeit gezwungen und als billige Arbeitskräfte missbraucht. Bei seinen Recherchen stützt sich der Sender auf Angaben der Ostukrainischen Menschenrechtsgruppe von Pawel Lisjanskij. Er habe 74 Interviews mit Häftlingen, Angehörigen und Augenzeugen geführt. Sie hätten ihm von massiven Menschenrechtsverletzungen berichtet.

"Gulags mit Moskaus Billigung"

Der Menschenrechtsaktivist wirft den neuen Machthabern im besetzten Donbass vor, ein Netz von Zwangsarbeitslagern zu betreiben und spricht von Gulags mit Moskaus Billigung. "Mitten in Europa haben wir es mit Sklavenstaaten zu tun", beklagte er gegenüber einer Reporterin des Deutschlandfunks. Sie hatte selbst Gelegenheit, mit einem Gefangenen ein Telefoninterview zu führen. Der 37-Jährige berichtete ihr darin von mehrmonatiger Einzelhaft, mit der Gefangene zur Zwangsarbeit gezwungen würden.  

So wie der Interviewte hätten viele Gefangene ihre Haftstrafe verbüßt oder seien von der Regierung in Kiew begnadigt worden. Trotzdem werden sie weiterhin gegen ihren Willen festgehalten. Denn der juristische Arm Kiews reicht den Angaben zur Folge längst nicht mehr in die besetzten Gebiete der Ukraine. Den Insassen dieser Straflager wurde die militärische Besetzung der Ostukraine zum Verhängnis. Überproportional viele Gefängnisse, wo Verurteilte normalerweise ihre Haftstrafen verbüßen und die jetzt als Arbeitslager fungieren, lägen im Osten des Landes und stünden damit unter der Kontrolle von Separatisten, heißt es in dem Bericht.

Hundertausende Euro im Monat durch Zwangsarbeit

Den Gewinn für die nun unbezahlte Arbeit der Häftlinge streichen die Volksrepubliken ein. Die Einnahmen, die allein die Luhansker Machthaber aus der Arbeit in den Strafkolonien erzielen, schätzt die Ostukrainische Menschenrechtsgruppe auf 300.000 bis 500.000 Euro pro Monat. Insgesamt hätten sich inzwischen über 100 betroffene Personen an die Organisation gewandt und um Hilfe gebeten. Die Aussicht, dass eine umfassende Lösung gefunden werde, sei bislang gering, denn selbst hochrangige Politiker in Kiew wüssten angeblich nichts von der Zwangsarbeit, mit denen sich die besetzten Gebiete finanzierten.

Der Menschenrechtler Pawel Lisjanskij vermisst ein ernsthaftes Engagement Kiews für die vergessenen Häftlinge. Sie seien eben gewöhnliche Kriminelle, Straftäter, hätten keine Lobby, anders als zum Beispiel Kriegsgefangene.

Die Bitte des Deutschlandfunks an die Administrationen der sogenannten Regierungen von Luhansk und Donezk Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen, blieb unbeantwortet. 

Reaktionen auf Berichterstattung

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, äußerte sich nach Veröffentlichung der Recherche im Deutschlandfunk. Er sagte sein Land habe seit drei Jahren keinen Zugang zu den umkämpften Gebieten in der Ostukraine und somit auch nicht zu den Gefängnissen. Deren Existenz erinnere an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, als über zwei Millionen Ukrainer als Ostarbeiter ausgebeutet worden seien.

Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" sprach von einem Versagen der internationalen Staatengemeinschaft. Länder mit Einfluss auf Russland müssten sich "viel mehr stark machen", sagte der Direktor des deutschen HRW-Büros, Wenzel Michalski, im Deutschlandfunk Kultur. Deutschland und Frankreich verhandeln im sogenannten Normandie-Format mit Russland und der Ukraine über eine Beilegung des Konflikts. Mit Blick auf die Minsker Friedensgespräche kritisierte Michalski, dass es bei den Verhandlungen "sehr selten um die Menschenrechte" gehe, sondern die Diskussionen "immer nur geopolitisch gehalten" seien. Russland warf er vor, die Rebellen in der Ostukraine bei Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen. 

bri, djo (dlf,afp)