Der Wunsch nach einer "Kirche ohne Angst"
25. Januar 2022"Den ganzen Tag über gab es eine Welle an Aufmerksamkeit", sagt Burkhard Hose. Der katholische Würzburger Hochschulpfarrer berichtet der Deutschen Welle von "sehr persönlichen Zuschriften" per Mail und auf Facebook: "Sie haben mich gerührt". Darunter Absender, die er gar nicht kenne. "Da schreiben auch Leute, die in Kirche arbeiten und sich noch nicht trauen, offen zu ihrer Homosexualität zu stehen. Ich wünsche mir, dass gerade sie sich von diesem Film getragen fühlen."
Pfarrer Hose wirkte mit in dem Fernsehfilm "Wie Gott uns schuf" und an dem Manifest der 125 der katholischen Queer-Kampagne "#OutInChurch". Beides hat das Zeug dazu, ein in der katholischen Kirche gerne verdrängtes und verschwiegenes Thema ins öffentliche Bewusstsein zu rücken - und der Kirche Druck zu machen. Denn bislang macht sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit gleichgeschlechtlicher Lebensweise oft Schwierigkeiten, bis hin zur Entlassung.
In einer beispiellosen Aktion outen sich 125 Menschen, die in der katholischen Kirche arbeiten, als nicht-heterosexuell und fordern ein Ende ihrer Diskriminierung durch ihre Kirche. Darunter sind Priester und Ordensleute, Gemeinde- und Pastoralreferentinnen, Religionslehrer und Religionslehrerinnen, aber auch Verwaltungsmitarbeiter.
Und wichtig ist: Es sind viele. Bisher sind es in aller Regel einzelne, die dann unter Druck stehen. Denn die katholische Kirche verbietet Geistlichen, homosexuell zu sein (auch wenn sie sich an das Zölibat halten und kein Sexualleben haben). Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter respektiert sie, solange diese ihre Homosexualität nicht offen leben, nicht thematisieren, keine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft eingehen. Diese Vorgaben sind mehr als deutlich.
Gegen die Verdammung
Nun fordern 125 nicht-heterosexuelle Katholikinnen und Katholiken, von ihrer Kirche angenommen und nicht verdammt zu werden. Die meisten von ihnen zeigen ihr Gesicht, einzelne bleiben anonym. Sie wehren sich gegen die bislang geltende Lehrmeinung der katholischen Kirche, wonach gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht in der Schöpfung Gottes vorgesehen seien. Im Manifest der 125 heißt es, ihnen gehe es um "eine Kirche ohne Angst".
Sie fordern eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts, so dass die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität künftig kein Kündigungsgrund mehr sind. Außerdem sollen diffamierende Aussagen zu Geschlechtlichkeit und Sexualität aus der kirchlichen Lehre gestrichen werden. Der Zugang zu den katholischen Sakramenten und zu allen Berufsfeldern der Kirche dürfe ihnen nicht mehr vorenthalten werden.
Dabei hatte der Vatikan im vergangenen März mal wieder klargestellt, dass homosexuelle Partnerschaften nicht den Plänen Gottes entsprächen. Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm, der 2021 bereits bundesweite Segnungsgottesdienste für homosexuelle Paare mit initiiert hatte, sagte, die Aktion sei durch das Coming-Out - also das Öffentlichmachen der sexuellen Orientierung oder Identität - von 185 Schauspielerinnen und Schauspielern im vergangenen Jahr inspiriert worden. Die damaligen Unterzeichner hatten kritisiert, dass sich viele nicht offen zu ihrem Anderssein bekennen könnten, ohne berufliche Nachteile befürchten zu müssen.
Die Bischöfe
Im Film selbst kam ein einziger Bischof zu Wort, Helmut Dieser aus Aachen. Kein anderer von insgesamt 27 angefragten deutschen Bischöfen, erläutert Filmemacher Hajo Seppelt, habe sich zu einem Interview bereit gefunden. Eine ganze Reihe habe gar nicht geantwortet. Bischof Dieser erklärte, er habe bei dem Thema "dazugelernt", das könne er offen sagen. Und er plädierte für ein Nachdenken über die bisherige kirchliche Haltung. Niemand dürfe Angst haben, wegen seiner Homosexualität seine Arbeit in der Kirche zu verlieren.
Seit Ausstrahlung des Films und Veröffentlichung des Manifests äußerten sich einige weitere Bischöfe. "Eine Kirche, in der man sich wegen seiner sexuellen Orientierung verstecken muss, kann nach meinem Dafürhalten nicht im Sinne Jesu sein", erklärte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Am deutlichsten wurde der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der um Respekt warb für "Liebe in partnerschaftlicher Verantwortung".
Umdenken ist möglich
Das Beispiel von Bischof Overbeck zeigt, dass Entwicklung und geistige Öffnung möglich sind. Im Frühjahr 2010 nannte der damals 45-Jährige in einer deutschen TV-Talkshow Homosexualität "eine Sünde. Das widerspricht der Natur von Mann und Frau". Das empörte viele Menschen, einige suchten das Gespräch mit ihm.
Der Bischof ist bei dem Thema heute nachdenklicher und fortschrittlicher. Im Bistum Essen gibt es keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen mehr, wenn sich kirchliche Angestellte offen zur Homosexualität bekennen. Einer derer, die sich bei "#OutInChurch" im Film offen zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen, ist Rainer Teuber, Leiter Museumspädagogik und Besucherservice der Essener Domschatzkammer.
Dass Bischöfe auffallen, die das heute in Deutschland Selbstverständliche zum Umgang mit Homosexualität sagen, liegt auch an der offiziellen kirchlichen Lehre. Denn der Weltkatechismus und die Repräsentanten des Vatikans wenden sich immer wieder gegen gelebte Homosexualität und gegen jede Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften.
Auch wenn die Kirche offiziell jede "Diffamierung homosexuell veranlagter Menschen" ablehnt, zeigt sie bislang eine harte Linie bei gelebtem homosexuellem Leben. Daran ändern auch einzelne Aussagen von Papst Franziskus nichts.
Der Druck der Basis
Rückenwind oder eher Druck bekommen die Bischöfe von den wichtigsten Verbänden innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Knapp 30 Organisationen, darunter die beiden großen Frauenverbände, der Jugend-Dachverband, die Katholischen Arbeitnehmer, die Bewegung Maria 2.0 und das Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken nennen das Engagement der 125 "mutig".
Sie werben angesichts der Aktion für "eine glaubwürdige und angstfreie Kirche, in der alle Christ*innen willkommen sind". Niemand dürfe wegen der eigenen sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität "diskriminiert oder ausgeschlossen werden". So müssten Diskriminierungen und Ausgrenzungen, "besonders im kirchlichen Arbeitsrecht, grundsätzlich unterbunden werden".
Dabei trifft die Aktion eine katholische Kirche, die von immer neuen Nachrichten zum Umgang der Kirchenleitungen mit Missbrauch zerrissen, verunsichert, wütend ist. Hunderttausende verließen im vergangenen Jahr die katholische Kirche. Der Trend hält nach Einschätzung von Experten an.
Seit Jahren versuchen Vertreter des Laienkatholizismus und die Mehrzahl der katholischen Bischöfe, beim sogenannten Synodalen Weg Reformen festzuklopfen. Dazu gehören auch der Umgang mit nicht-heterosexuellen Lebensformen und das kirchliche Arbeitsrecht. Bei den bisherigen Plenarversammlungen wandten sich mehrmals gleichgeschlechtliche Teilnehmende an das Plenum und pochten auf eine nicht-ausgrenzende, offene Kirche. Anfang Februar steht das nächste Plenum des "Synodalen Weges" in Frankfurt/Main an. Das "Manifest der 125" wird dort sicher eine Rolle spielen.
Und weltkirchlich?
Schlussendlich geht es - wie bei fast allen "heißen Eisen" der katholischen Kirche - um eine Frage, die die Kirche als Weltkirche angeht. Weltweit gibt es ganz unterschiedliche Sichtweisen auf Homosexualität. Erst vor wenigen Tagen nannte der Bischof der spanischen Ferieninsel Teneriffa, Bernardo Álvarez, Homosexualität eine "Todsünde" und verglich sie mit Alkoholismus. Tausende forderten danach seinen Rücktritt, eine Gewerkschaft wollte ihn wegen "Hassverbrechen" anzeigen.
Letztlich spiegelt Bischof Álvarez, was in den Zeiten strenger vatikanischer Glaubenshüter im Vatikan die vorherrschende Meinung war. Zum Bischof machte ihn 2005 Papst Benedikt XVI., wenige Monate nach seinem Amtsantritt. Ob dessen 2013 gewählter Nachfolger Papst Franziskus beim Umgang mit Homosexualität irgendwann mehr entscheidet, als nur zeichenhaft zu reden oder Menschen zu begegnen, bezweifeln viele Beobachter angesichts vieler konservativer Widerstände.
Der deutsche Hochschulpfarrer Hose sieht das Anliegen der Bewegung auf jeden Fall gestärkt durch die öffentliche Aufmerksamkeit: "Hoffen wir, dass die Menschen, um die es geht, sich getragen fühlen. Dass sie merken: Wir sind viele, und es ist gut so, wie sie sind."
Für ihn, sagt er, sei in dem Film "etwas Heilendes, Befreiendes, Tröstliches passiert". Da sei nichts Bloßstellendes oder Beschämendes gewesen." Hey, so kann Kirche sein", sagt er und fügt hinzu: "Das wäre doch eigentlich Kirche."
Dieser Artikel wurde erstmals am 24.01.2022 veröffentlicht und zuletzt am 25.01.2022 aktualisiert.