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Mehr als 11 Millionen Syrer brauchen Hilfe

Sarah Berning12. März 2015

Völliges Versagen in der Syrien-Krise werfen Hilfsorganisationen dem UN-Sicherheitsrat vor. "Failing Syria" heißt ihr Bericht. Im DW-Interview beschreibt Robert Lindner von Oxfam, wie schwierig die Lage der Syrer ist.

Zerstörtes syrisches Stadtviertel (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Mohammed Badra

Deutsche Welle: Vor vier Jahren begannen die Proteste gegen das Assad-Regime in Syrien, wenig später der Bürgerkrieg dort. Die dramatische Lage der Menschen hat sich nun noch einmal verschlechtert - warum?

Robert Lindner: In Syrien nehmen die Kämpfe kein Ende - im Gegenteil, immer mehr Menschen sind zwischen den Fronten gefangen und können kaum mit humanitärer Hilfe erreicht werden. In einigen Nachbarländern gibt es zunehmend Spannungen zwischen der dortigen Bevölkerung und den Flüchtlingen, die um Jobs und den Zugang zu Gesundheitsfürsorge und Bildung konkurrieren - wie zum Beispiel in Jordanien, wo etwa jeder vierte Einwohner ein syrischer Flüchtling ist. Dort sind als Folge der enormen Zuwanderung die Wirtschaft und die sozialen Sicherungssysteme extrem unter Druck. Auch viele Einheimische leiden unter Not und Armut. Leider beobachten wir, dass manche Länder wie der Libanon, Jordanien oder die Türkei ihre Grenzen immer weiter dicht machen und viele Flüchtlinge gar nicht mehr ins Land lassen. Diese Menschen sind besonders gefährdet, da sie schutzlos Angriffen ausgesetzt sind und auch nur wenig Nothilfe bekommen.

Wieso kommen die Hilfsgüter nicht dort an, wo sie ankommen sollen?

Robert Lindner von Oxfam DeutschlandBild: privat

Zum Glück erreichen unsere Hilfsgüter in der Regel diejenigen, die sie am meisten brauchen - zum Beispiel Anlagen zur Trinkwasser-Versorgung, Latrinen, Duschen, Hygieneartikel. Oer auch - besonders außerhalb der großen Flüchtlingscamps in Jordanien oder im Libanon - Geld für Nahrung oder Unterkunft. In Syrien selbst behindern jedoch vor allem die grassierende Unsicherheit, Gewalt und willkürliche Angriffe - auch auf humanitäre Helfer und Helferinnen - die Hilfsmaßnahmen. Immer wieder werden Hilfsgüter von extremistischen Kämpfern beschlagnahmt. Dazu kommt manchmal überbordende Bürokratie der Behörden, zum Beispiel, was die Einreise und Bewegungsfreiheit von Helfern nach und innerhalb Syriens oder den Transport von Hilfsgütern betrifft.

Wie viele Menschen sind direkt betroffen vom Krieg?

Flüchtlinge in einem Lager in Idlib im Nordwesten SyriensBild: Reuters/K. Ashawi

Mehr als 11 Millionen Menschen - über die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist insgesamt auf humanitäre Hilfe angewiesen. Etwa 7,6 Millionen sind im eigenen Land auf der Flucht vor der Gewalt, 3,7 Millionen sind ins Ausland geflohen.In Syrien selbst lebten Ende 2013 rund drei Viertel der dort verbliebenen Bevölkerung in Armut. 200.000 Menschen leben in belagerten Städten und leiden Hunger und haben kaum Zugang zu ausreichend Nahrung und Trinkwasser.

Sehen Sie eine Lösung für die Konflikte in Syrien?

Bisher sind alle internationalen Friedensinitiativen im Sand verlaufen, wie die Genfer Gespräche, die im Februar 2014 gescheitert sind. Doch in Syrien sehnt sich die große Mehrheit der Menschen nach Frieden. Ein hoffnungsvoller Ansatz dafür könnten örtlich begrenzte Waffenstillstände sein, von denen es aktuell einige gibt und die es auch in den letzten Jahren gegeben hat. Leider haben viele dieser Abkommen nicht lange gehalten - oft auch deshalb, weil es zu wenig internationale Unterstützung dafür gegeben hat, zum Beispiel durch unabhängige Vermittler und Kontrolleure. Auch wurde in vielen Fällen die örtliche Zivilgesellschaft, also die ganz normalen Bürgerinnen und Bürger, nicht ausreichend einbezogen. Positiv ist die Initiative des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura für begrenzte humanitäre Waffenruhen.

Die Lage der Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak in den Nachbarländern, aber auch in Lagern in Europa, hat sich eindeutig verschlechtert - vermutlich wegen der stetig wachsenden Flüchtlingsströme. Muss man den Aufnahmeländern mehr Hilfe zusichern für die Unterbringung dieser Menschen?

Ja, unbedingt. Es sind bereits mehr als 3,7 Millionen Syrerinnen und Syrer ins Ausland geflohen - es verwundert nicht, dass Nachbarländer wie Jordanien, der Libanon und die Türkei große Probleme haben, so viele Menschen in ihren Ländern unterzubringen. Verglichen mit der Last, die zum Beispiel ein winziges Land wie der Libanon zu tragen hat, haben reiche Staaten zum Beispiel in Europa viel zu wenig syrische Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Oxfam und andere Nichtregierungsorganisationen fordern deshalb reiche Länder außerhalb der Region auf, fünf Prozent aller registrierten syrischen Flüchtlinge humanitäre Aufnahme zu gewähren. Deutschland hat innerhalb Europas - gemessen an der Größe und Wirtschaftskraft – die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen, doch es sollten noch viel mehr sein. Deutschland hat früher während der Balkankriege bewiesen, dass es dazu auch in der Lage wäre.

Robert Lindner ist Referent für Humanitäre Krisen bei der Hilfsorganisation Oxfam Deutschland.

Das Interview führte Sarah Berning.

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