Klimawandel, Plastikmüll, Fischfang und Radioaktivität belasten die Weltmeere. Das Ökosystem ist in Not, Arten sterben im verborgenen. Können Schutzzonen helfen?
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Es klingt irrwitzig, verrückt: Vor Australien haben Forscher Wolken aufgehellt, um das Meerwasser abzukühlen, den Klimawandel einzudämmen und das Great Barrier Reef zu regenerieren. Die Wissenschaftler derSouthern Cross University und des Meereswissenschaftlichen Instituts in Sydney entzogen dem Meer Salz und schossen die Salzkristalle in die Luft. Die erhellten Wolken reflektierten die Sonnenstrahlen besser ins All.
Was das einzigartige 2300 Kilometer lange Riff angeht, so gibt eine andere Studie Anlass zu großer Sorge. Denn Untersuchungen hatten zuvor ergeben, dass die Unterwasserwelt mit den einst farbenprächtigen Korallen unter der schlimmsten Bleiche aller Zeiten leidet.
Die aktuelle Bleiche ist die dritte Beschädigung des Weltnaturerbes vor Australien in den letzten fünf Jahren. Die Vereinten Nationen prophezeien ein Absterben nahezu aller Korallen, sollten die globalen Temperaturen um 1.5 Grad ansteigen.
Artensterben im Verborgenen
"Das Artensterben im Meer läuft für die meisten im Verborgenen ab", sagt der Biologe Ulrich Karlowski, der sich als Autor und bei der Deutsche Stiftung Meeresschutz (DSM) intensiv mit den Problemen auf und unter Wasser beschäftigt. "Unzählige Arten verschwinden, ohne dass wir sie überhaupt jemals zu Gesicht bekommen haben."
Die Liste durch Belastungen, die das größte zusammenhängende Ökosystem bedrohen, ist immens lang: Überfischung, ungewollter Beifang, Plastikmüll, Gifte, radioaktive Stoffe, Munition, Öl- und Gasförderung, Jagd auf Rohstoffe, Schifffahrt mit Dieselmotoren, Sand- und Kiesabbau, Salzgewinnung, Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, Tourismus, Offshore-Windkraft, Tiefseebergbau, temporäre Umweltkatastrophen, der Klimawandel mit seinen Auswirkungen wie Anstieg der Meeresspiegel, Überflutungen, Versauerung der Ozeane.
Schutzzonen für unser Meer
Greenpeace-Meeresschutz-Experte Thilo Maack hat die Liebe zum Meer mit in die Wiege gelegt bekommen: an der Küste aufgewachsen, verbrachte er während des Meeresbiologiestudiums viel Zeit auf und in der See. Zwei Jahre lang, so Maack, habe Greenpeace mit Wissenschaftlern der Universitäten von York und Oxford zusammengearbeitet und einen und einen Schutzgebietsvorschlag vorgelegt, der 30 Prozent der Ozeane umfasst.
"Wenn man diese 30 Prozent der Meere unter Schutz stellt, haben unsere Ozeane eine Chance, zu überleben," sagt Maack.
Ozeane: geheimnisvolle Quelle des Lebens und bedrohter Lebensraum
Ozeane bedecken den größten Teil unseres Planeten und regulieren unser Klima. Die Auswirkungen des Klimawandels beeinträchtigen schon jetzt die Meere. Ein Grossteil der Meeresgebiete sind bis heute unerforscht.
Unser blauer Planet
Der Ozean bedeckt 71% der Erdoberfläche, er ist die Heimat von 90% der Ökosysteme auf der Erde. Meere sind für das Leben wesentlich - sie produzieren zwischen 50% und 80% des Sauerstoffs auf dem Planeten, und sind damit ein wichtiger Teil des Kohlenstoffkreislaufs. Man geht davon aus, dass die Meere vor 4.4 Milliarden Jahren entstanden sind und die Entstehung früher Lebensformen möglich machten.
Bild: NASA
Mysterien der Tiefsee
Abgesehen von seiner enormen Größe, wissen wir tatsächlich sehr wenig über den Ozean. Mehr als 80% der Unterwassergebiete sind nicht kartographiert. Wissenschafter arbeiten daran die Geheimnisse der Meere zu enthüllen. Es ist wichtig, Veränderungen der Ökosysteme besser zu verstehen, um mit den lebenswichtigen Ressourcen des Ozeans in Zeiten des Klimawandels besser umgehen zu können.
Bild: Colourbox/S. Dmytro
Die Klimaanlage des Planeten
Der Ozean spielt eine Hauptrolle bei der Regulierung des Erdklimas, indem er Sonnenstrahlung absorbiert, Wärme verteilt und damit die Wetterlage bestimmt. Der Klimawandel hat begonnen, diese Balance zu stören. Das beeinflusst die Regulierung der Ökosysteme des Planeten, eine der Schlüsselaufgaben des Ozeans. Dazu gehört auch seine Funktion als Kohlenstoffspeicher und Sauerstoffproduzent.
Es wimmelt vor Leben
Die Meere beheimaten mindestens 230.000 unbekannte Tier-und Pflanzenarten. Korallenriffe auf dem Meeresgrund sind ein sicherer Hafen für Fische und wirbellose Tiere wie Krebse. Das Leben der Pflanzen blüht besonder in flacheren Gewässern, während größere Tierarten wie Haie, Wale und Delfine sich im offenen Wasser tummeln.
Bild: picture-alliance/blickwinkel
Komische und wundervolle Kreaturen
Mehr als zwei Drittel aller Lebensformen in den Meeren sind bisher noch unbekannt vermuten Meeresbiologen. Jedes Jahr werden neue Arten endeckt – und viele sind anders als alle bislang erforschten Tiere oder Pflanzen. So wie dieser ‚Tintenfischwurm‘, den man 2007 in der Celebesee im westlichen Pazifik fand. Was sich wohl sonst noch in den geheimnisvollen Tiefen verbirgt?
Bild: Laurence Madin, WHOI
Alarmsignale
Der Ozean ist unter Druck. Ein Beispiel ist das zunehmende Ausbleichen von Korallenriffen. Gesunde Riffe sind überzogen von einer speziellen Algenart, sie ermöglichen Wachstum und Fortpflanzung der Korallen. Höhere Temperaturen und Umweltverschmutzung stressen die Korallen, sie stoßen die Algenschicht ab. Zurück bleibt ein weißes Skelett. Das Risiko, das Riffe sterben, wächst weltweit.
Bild: XL Catlin Seaview Survey
Keine Zuflucht
Das Leben in den Meeren wird durch den Klimwandel deutlich bedroht. Neue Studien zeigen, dass manche Fischpopulationen, Weichtiere und Krebse doppelt so schnell aussterben wie Arten an Land. Extreme Temperaturen sind der Hauptgrund dafür. Denn es gibt im Ozean kaum Orte, wo sich Tiere vor steigenden Temperaturen schützen können.
Das größe Schmelzen
In der Kryosphäre – den Eisgebieten der Erde - führt die Erwärmung der Atmosphäre zum Schmelzen von Eis, Schnee und der Gletscher. Das bereits geschmolzene Eis trägt schon heute zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Durch das Schmelzen des arktischen Permafrosts wird außerdem Methan freigesetzt. Das könnte langfristig zu einer Übersäuerung der Ozeane führen.
Bild: Getty Images/M. Tama
Verlorener Rettungsanker
Menschen sind untrennbar mit dem Ozean verbunden. Seit Tausenden von Jahren siedeln Völker entlang der Küsten, das Meer ernährte sie und war Grundlage für ihr Leben und ihre Kulturen. Heute leben eine Milliarde Menschen in Küstengebieten, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht werden.
Bild: imago
Verschwindende Wildnis
Nur 13% der Meere sind komplett frei von menschlichem Einfluss. Entlang der Küsten gibt es kaum noch unberührte Gebiete. Die Fischerei beeinträchtigt immer mehr Regionen auch in der Hochsee. Der Technologische Fortschritt berührt selbst entlegensten Orte in der Antarktis und der Tiefsee. Die noch verbleibende Wildnis zu schützen wird eine Herausforderung für kommenden Generationen.
Bild: picture-alliance/dpa
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Mit Petitionen, die millionenfach unterzeichnet werden, setze Greenpeace die politischen Entscheider unter Druck, ergänzt Maack. "Das Ziel der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie zum Beispiel, besagt, bis 2020 die europäischen Meere inklusive Nord- und Ostsee in einen guten Umweltzustand zu bringen. Die Zustandsbewertung beider Meere durch das Umweltminsterium 2018 belegt, dass man von diesem Ziel noch sehr weit entfernt ist."
Auch das EU-Ziel der gemeinsamen Fischereipolitik, die Speisefischbestände bis 2020 in einen Zustand zu bringen, der einen maximal nachhaltigen Dauerertrag erlaubt, wurde verfehlt, so Maack. Die Gründe dafür lägen in den notwendigen Ressortabstimmungen. Bei umweltschutzrelevanten Entscheidungen müssen das Wirtschaftsministerium, das Verkehrsministerium und das Landwirtschaftsministerium mit einbezogen werden. "Und dabei haben Wirtschaftsinteressen offensichtlich Vorrang vor den Meeresschutzinteressen", kritisiert Maack.
Auch Biologe Karlowski hält die Meeresschutzpolitik Deutschlands und der EU für unzureichend: "Deutschland erlaubt zum Beispiel auch den Einsatz von Stellnetzen in unseren sehr wenigen Meeresschutzgebieten, sogar im einzigen Walschutzgebiet vor Sylt, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen." Im Nationalpark Wattenmeer richten Bodenschleppnetze Schäden an.
Ozeane brauchen Wildnisbereiche, unberührte Zonen zur Regeneration
Knapp 600 Abkommen zum Meeresschutz gibt es. Doch scheiterten viele an Bürgerkriegen, fehlender technischer Ausstattung und den Mitteln zur Kontrolle der Einhaltung der Ziele. Deutschland hat sich gerade erst im Mai der freiwilligen Allianz zum Schutz der Meere, Global Ocean Alliance, angeschlossen, die bis 2030 ein Drittel der Weltmeere unter Schutz stellen will. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) begründete den Beitritt damit, "die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten verringern, die Fischbestände besser erhalten und die Widerstandsfähigkeit der Meere gegen den Klimawandel erhöhen" zu wollen.
"Dazu braucht es nun einen globalen, rechtsverbindlichen Ozeanvertrag, vergleichbar mit dem Parisabkommen für den Klimaschutz", sagt Maack angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Gewässern meist um internationale Hoheitsgebiete handelt.
"Aktuell gibt es Verhandlungen dazu auf Ebene der Vereinten Nationen. Angesicht der Corona-Pandemie wurden Treffen allerdings auf das nächste Jahr verschoben", erklärt Maack. "Mit dem Ozeanvertrag werden unter anderem auch Modalitäten festgelegt, wie Schutzgebiete im Bereich jenseits der nationalen Hoheitsgewässer ausgewiesen, gemanaged und kontrolliert werden sollen."
Ein Riesenschritt in die richtige Richtung sei das. Allerdings müssten Länder wie Russland, Norwegen und die USA noch überzeugt werden, einem solchen Vertrag zuzustimmen. In den geschützten Bereichen dürfen weder Fische gefangen, noch Rohstoffe abgebaut oder andere industrielle Eingriffe durchgeführt werden.
Maack glaubt, dass die Erholung der Meere und seiner Bewohner gelingen kann. "Es gibt Beispiele, bei denen sich Fischbestände binnen weniger Jahre in den Schutzgebieten so zahlreich vermehrt haben, dass die Fische aus den Schutzgebieten ausgewandert sind und dort der Fischerei zur Verfügung stehen." Belegt sei, so Maack, dass entlang der Schutzgebietsgrenzen größere Fische unterschiedlicheren Arten gefangen werden als anderswo.
Was bewirkt die Erwärmung der Meere?
Durch den Klimawandel heizen sich die Meere rasant auf. Das hat nicht nur dramatische Folgen für die Meeresbewohner. Es wird auch mehr Wetterextreme wie Wirbelstürme, Überschwemmungen und Waldbrände geben.
Bild: NGDC
Antarktis so warm wie Los Angeles
18,3 Grad Celsius wurden am 6. Februar an der argentinischen Forschungsstation Esperanza Base im Norden der Antarktis gemessen, der höchste jemals dort gemessene Wert, so die US-Raumfahrtbehörde NASA. Es ist nach November und Januar bereits die dritte Hitzewelle in der Antarktis in nur wenigen Monaten. Auf Satellitenbilder ist gut zu erkennen, dass bereits große Schneemassen geschmolzen sind.
Bild: Earth Observatory/ NASA
Häufigere und stärkere Stürme
Die Intensität tropischer Wirbelstürme folgt der Oberflächentemperatur des Meeres. Die Hurrikan- oder Taifunsaison wird immer länger andauern, es wird vor allem im Nordatlantik und im Nordostpazifik deutlich mehr Wirbelstürme geben und sie werden auch an Intensität weiter zunehmen. Durch Extremwetterlagen wird es künftig auch in bislang verschonten Regionen äußerst zerstörerische Stürme geben.
Bild: AFP/Rammb/Noaa/Ho
Steigende Meeresspiegel und Sturmfluten
Die Meere erwärmen sich zeitverzögert mit den steigenden Temperaturen der Erdatmosphäre. Dadurch kommt es zu einer thermischen Ausdehnung der Wassermassen, wodurch der Meeresspiegel weiter ansteigt. Lebensräume und Erwerbsgrundlagen zahlreicher Küstenbewohner – vor allem in ärmeren Regionen – werden verloren gehen.
Während es an manchen Orten punktuell heftige Niederschläge und Überschwemmungen geben wird, sorgen die Extremwetterlagen anderswo für extreme Trockenphasen. Ernteausfälle und verheerende Waldbrände sind die Folge. Die Feuersaison wird vielerorts viel länger andauern und die Zahl der Brände wird drastisch zunehmen.
Bild: Reuters/AAP Image/D.
Verschiebung der Ökosysteme
Durch die Erwärmung der Meere verschieben sich die Artenvorkommen und damit auch die marinen Ökosysteme. Fische und Meeressäuger wandern ähnlich den Landtieren polwärts. Die Populationen des Kabeljaus in der Nordsee etwa schrumpfen stärker, als es allein mit Überfischung erklärt werden kann. Nördlich gelegene Fischfang-Regionen könnten von dieser Entwicklung profitieren.
Bild: by-nc-sa/Joachim S. Müller
Versauerte Meere
Durch die Erwärmung kommt es zu einer direkten Lösung von CO2 im Oberflächenwasser, der pH-Wert des Meerwassers nimmt ab, das Wasser "versauert". Muscheln, Seesterne, Korallen, Krebse und Seeigel verlieren dadurch ihre Fähigkeit, Exo- bzw. Endoskelette zu bilden. Damit fallen sie nicht nur als Schadstofffilter, sondern auch als Futter für andere Meeresbewohner aus.
Weniger Plankton als Nahrung
Mit sinkendem pH-Wert können die kleinen Algen auch weniger Eisen aufnehmen. Aber Plankton braucht das Mineral für ein kräftiges Wachstum. Da viele Phytoplanktonarten zudem ebenfalls Kalkskelette ausbilden, sind sie von versauertem Wasser doppelt betroffen.
Bild: picture alliance / dpa
Abnahme des Sauerstoffgehalts
Wärmeres Wasser kann weniger Sauerstoff speichern, sodass die Erwärmung der Meere zur Ausdehnung sauerstoffarmer Bereiche führt. In vielen Meeresgebieten existieren schon jetzt sauerstoffarme "Todeszonen“, in denen keine Tiere mehr leben können, weil zu wenig Sauerstoff im Wasser gelöst ist.
Bild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt
Explosionsartige Algenblüte
Im warmen, sauerstoffarmen Wasser können sich giftige Algenblüten explosionsartig vermehren. Ihr Gift tötet Fische und andere Meereslebewesen. Schon jetzt bedrohen Algenteppiche vielerorts die Fischereiwirtschaft und den Tourismus. Hier Bilder von Chiles Küste, wo Rotalgen tausende Fische mit ihrem Nervengift töteten.
Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Marquez
Fortschreitende Korallenbleiche
Weiße Kalkskelette ohne Leben. Der Korallenstock verliert durch eine schwere Korallenbleiche nicht nur seine Farbe, sondern auch seine Fortpflanzungsfähigkeit. Die Korallenriffe sterben ab und bieten keinen Schutz, keine Nahrung und keine Jagdgründe mehr für zahlreiche Meereslebewesen.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Naupold
Veränderung der Meeresströmungen
Sollte der Nordatlantikstrom durch die Meereserwärmung unterbrochen werden, hätte dies einen starken Kälteeinbruch in ganz West- und Nordeuropa zur Folge. Denn er sorgt für eine andauernde Zirkulation des Meerwassers, indem dichtes Oberflächenwasser in tiefere, kühle Schichten absinkt. Auch die übrigen ozeanischen Strömungen wären von einer Unterbrechung betroffen.