1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pädophilie-Vorwürfe gegen Grünen-Gründergeneration

Michael Gessat3. Mai 2013

Der Politiker Daniel Cohn-Bendit kämpft gegen Pädophilie-Vorwürfe. In den Gründerjahren der Grünen wurde eifrig über "freie Sexualität" mit Kindern diskutiert - hat die Partei nun ein Problem mit ihrer Geschichte?

Daniel Cohn-Bendit spricht am 20.04.2013 während der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises (Foto: Marijan Murat/dpa)
Theodor-Heuss-Preis für Daniel Cohn-BenditBild: picture-alliance/dpa

Er ist 68 Jahre alt, seit 1994 sitzt er abwechselnd für die deutsche und die französische Grünen-Partei im Europaparlament: Daniel Cohn-Bendit ist ein europäischer Politiker von Format. Er sei ein "Brückenbauer zwischen den Nationen", so formulierte es der Publizist Roger de Weck in seiner Laudatio bei der Verleihung des renommierten Theodor-Heuss-Preises an den Grünen-Politiker.

Echte Feierstimmung wollte aber am 20. April in Stuttgart nicht aufkommen: Vor dem Gebäude protestierten Demonstranten mit Plakaten, Buhrufen und Pfeifkonzerten. Der ursprünglich als Festredner vorgesehene Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hatte abgesagt. Etliche andere geladene Gäste waren seinem Beispiel gefolgt.

Pädophilie-Vorwürfe

Die Regierungsparteien CDU und FDP hatten zum Boykott der Veranstaltung aufgerufen, und der Grund dafür lag nicht etwa in den politisch radikalen Positionen, die Cohn-Bendit in den frühen Jahren seiner Biografie vertreten hatte - damals war er zweifellos jemand, der konservativ denkenden Menschen als "Revoluzzer" galt. Aber das trifft auch auf andere deutsche Spitzenpolitiker zu: Der langjährige Bundesaußenminister Joschka Fischer etwa gehörte in den 70er Jahren genauso wie Cohn-Bendit zur linksradikalen, militanten Gruppe "Revolutionärer Kampf". Die aktuellen Vorwürfe zielen in eine andere Richtung: Cohn-Bendit habe Sex mit Kindern gutgeheißen - oder sei womöglich selbst ein pädophiler Täter.

Fiktion oder Realität?

Mit der Kritik war Cohn-Bendit schon öfters konfrontiert worden: 1975 hatte er in dem Buch "Der große Basar" über seine Zeit als Erzieher in einem anti-autoritären Kindergarten berichtet: "Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Das stellte mich vor Probleme." Zu einem tatsächlichen Missbrauch soll es aber damals nicht gekommen sein, beteuerte Cohn-Bendit in Interviews und auch wieder bei der Preisverleihung in Stuttgart - seine Äußerungen seien keine Beschreibung realer Vorkommnisse gewesen, sondern eine aus heutiger Sicht "unerträgliche Provokation", die so nicht "hätten geschrieben werden dürfen".

Zweifel an Cohn-Bendits Position

Nicht alle Beobachter nehmen Cohn-Bendit diese Darstellung ab. Nach Recherchen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sind zum Beispiel frühere Zeugenaussagen, die Cohn-Bendit in diesem Sinne hatten entlasten sollen, zweifelhaft - eine Mutter etwa, die ihm zunächst bescheinigt hatte, er hätte sich ihrem Kind niemals unsittlich genähert, räumte nun ein, dass ihr Sohn seinerzeit gar nicht in der von Cohn-Bendit betreuten Gruppe gewesen war. Zudem tauchte eine Aufnahme aus dem französischen Fernsehen auf, in der Cohn-Bendit 1982 über ein "wahnsinnig erotisches Spiel" mit einem fünfjährigen Mädchen spricht. Marcus Bocklet von den hessischen Grünen hingegen bewertet in einem Interview mit dem Fernsehsender "n-tv" auch diese Äußerungen seines Parteifreundes zwar als "unsäglichen Mist" - aber man müsse Cohn-Bendits Beteuerung, das sei fiktionaler Unsinn und Provokation gewesen, glauben: "Man kann Menschen nur als Täter beschimpfen, wenn man Beweise hat - und die gibt es nicht."

Grünen-Chefin Claudia Roth begrüßt eine wissenschaftliche Aufarbeitung der ParteigeschichteBild: picture-alliance/dpa

Die Grünen wollen unabhängige Untersuchung

Auf den Deutsch-Französischen Medienpreis jedenfalls, der ihm am 4. Juli ebenfalls hätte verliehen werden sollen, verzichtete Daniel Cohn-Bendit nun. Weitere Proteste, Absagen und schlechte Presse wären programmiert gewesen - und das relativ kurz vor den Bundestagswahlen. Der Rummel bereitet mittlerweile auch den Grünen Kopfzerbrechen, die Diskussion um Cohn-Bendit droht der Partei zu schaden: Die Grünen - in den Gründerjahren ein Sammelbecken für Kinderschänder? Parteichefin Claudia Roth stellte denn auch im Interview bei "Spiegel Online" klar, den Pädophilie-Vorwürfen gegen Parteimitglieder aus der Gründungszeit solle nachgegangen werden. Gruppen, die sich für Pädophilie einsetzten, seien bei den Grünen aber niemals mehrheitsfähig gewesen. "Der Bundesvorstand begrüßt es, wenn unabhängige Wissenschaftler die Schriften und Aktivitäten bestimmter gesellschaftlicher Gruppen aus den Achtziger Jahren untersuchen."

Arbeitsgruppe "Schwule und Päderasten"

Tatsächlich gab es im breiten politischen Spektrum in den Anfangsjahren der deutschen Grünenpartei Gruppierungen, die sich ganz offen für die Liberalisierung und Entkriminalisierung von Sex mit Kindern einsetzten - die "Stadtindianer" stellten immer wieder entsprechende Anträge bei Grünen-Parteitagen, ebenso wie die "Arbeitsgruppe Schwule und Päderasten" (SchwuP). Einen Einfluss auf das Programm der Grünen hätten diese Gruppen aber nie gehabt, sagt der Berliner Politologe Gero Neugebauer im Gespräch mit der Deutschen Welle und verweist auf Parallelen bei der Gründung neuerer Parteien in Deutschland wie etwa die "Piraten": "In allen neuen Parteien tauchen Leute auf, die entweder bisher keine politische Organisation für sich gefunden haben, oder in anderen gescheitert sind, und die versuchen auf das politische Podium dieser Partei zu gelangen."

Gero Neugebauer, Politologe an der Freien Universität BerlinBild: Privat

"Affäre ist irrelevant"

Die Grünen hätten aber - wie andere Parteien auch - schon seit langem extreme, nicht mehrheitsfähige Randpositionen von Mitgliedern "herausgemendelt", also aus der Partei entfernt. Die Affäre um Cohn-Bendit sei also für den Wahlerfolg der Grünen irrelevant, die Splittergruppe der Pädophilie-Befürworter von vor Jahrzehnten hätte mit dem heutigen politischen Programm der Partei nichts mehr zu tun: "Es ist für die Wahrnehmung der Grünen in den Medien ein Problem, aber es bestätigt eher Vorurteile bei denen, die die Grünen ohnehin nicht mögen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen