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PolitikPakistan

Pakistan: Immer mehr Angriffe militanter Gruppen

Haroon Janjua
15. September 2024

Immer stärker sind zwei pakistanische Regionen an der Grenze zu Afghanistan Angriffen militanter Gruppen ausgesetzt. Experten sehen einen Teil der Verantwortung bei den Taliban.

Trauer: Angehörige liefern den Leichnam eines von militanten Kämpfern getöteten Angehörigen im Krankenhaus ab, Quetta, August 2024
Trauer: Angehörige liefern den Leichnam eines von militanten Kämpfern getöteten Angehörigen im Krankenhaus ab, Quetta, August 2024Bild: Banaras Khan/AFP

757 Todesopfer innerhalb der ersten sieben Monate des Jahres, dazu doppelt so viele Verletzte: Daten des Pakistan Institute for Conflict and Security Studies (PICSS) zufolge sieht sich Pakistan einer tödlichen Eskalation militanter Gewalt gegenüber. Analysten zufolge wurden allein im August 254 Menschen getötet. Darunter befanden sich 92 Zivilisten und 52 Sicherheitsbeamte. Damit ist der August der Monat mit den höchsten Verlusten an Menschenleben seit sechs Jahren.

Militante Kämpfer sind vor allem in den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan aktiv, die beide an Afghanistan grenzen. Die Regierung in Islamabad hat die  Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP), eine Allianz extremistischer Gruppen, deren Führer Noor Wali Mehsud den Taliban in Afghanistan öffentlich Treue bekundet hat, wiederholt beschuldigt, Operationen auf pakistanischem Staatsgebiet durchzuführen. Das Taliban-Regime in Kabul bestreitet diese Behauptungen. 

Militante Belutschen im Bergland der Region, April 2024Bild: Abdul Ghani Kakkar/DW

Als erhebliche Bedrohung hat sich zudem eine weitere aufständische Gruppe, die Baloch Liberation Army (BLA), erwiesen. Die BLA strebt die Unabhängigkeit der rohstoffreichen Provinz Belutschistan an. Sie richtet sich zudem gegen von China geführte Projekte in der Region, darunter ein Hafen sowie eine Gold- und Kupfermine.

Drastische Auswirkungen

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist Pakistan von Jahr zu Jahr unsicherer geworden. Im vergangenen Monat hat sich die Zahl der gewalttätigen Zwischenfälle in Belutschistan sogar nahezu verdreifacht. Bei koordinierten Angriffen auf Polizeistationen, Bahnlinien und Autobahnen in der Provinz fielen den Separatisten mindestens 74 Menschen zum Opfer. Es ist die verheerendste und größte Angriffswelle lokaler ethnischer Kämpfer seit Jahren. Diese könnte drastische Auswirkungen auf Sicherheit, Wirtschaft und andere Aspekte der Gesellschaft haben, warnen Beobachter.

Der zentrale Faktor sei die Nachlässigkeit des Staates, sagt Ihsanullah Tipu Mehsud, Mitbegründer der überparteilichen, von Journalisten betriebenen Plattform Khorasan-Tagebuch, im DW-Gespräch. Der Staat habe es versäumt, die nach der Vertreibung der Kämpfer aus dem Land durch militärische Operationen erzielten Fortschritte in Sicherheitsfragen zu konsolidieren.

"Während der Regierung von Ashraf Ghani wurden keinerlei Mechanismen mit Afghanistan geschaffen. So erhielt die TTP eine Atempause und konnte sich wieder erholen", so Mehsud.

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Sie nehme an, dass das Taliban-Regime nicht gegen die Gewalt vorgegangen sei, sagt die ehemalige pakistanische Diplomatin und Außenpolitikerin Maleeha Lodhi. Es gebe mehrere Gründe für den Anstieg der militanten Angriffe in Pakistan. "Einer der wichtigsten ist die Weigerung der Taliban-Behörden, die TTP einzuhegen. So verübt sie von Afghanistan aus weiterhin Angriffe auf pakistanischem Gebiet. Die jüngste Zunahme gewalttätiger Zwischenfälle in Belutschistan scheint ein von außen unterstützter Versuch zu sein, Pakistan zu destabilisieren", so Lodhi zur DW.

Islamabad: abgelenkt durch "Partisanengezänk"

Im Juli bezeichnete ein Report der Vereinten Nationen die TTP als "größte Terrorgruppe" in Afghanistan. Sie erhalte von den Taliban in Kabul enorme Unterstützung, um grenzüberschreitende Anschläge in Pakistan durchzuführen, so der Report.

Ähnlich sieht es Madiha Afzal, Mitarbeiterin der Brookings Institution. Das Taliban-Regime biete der TTP einen "logistischen Raum" für terroristische Zwecke. Allerdings wirft sie zugleich der pakistanischen Regierung vor, sie sei "durch Parteienstreitigkeiten und ein hartes Durchgreifen gegen die politische Opposition abgelenkt."

Zerstörte Fahrzeuge nach einem Angriff einer militanten Gruppe nahe der Ortschaft Mach in BelutschistanBild: Abdul Ghani Kakkar/DW

Analysten sind der Ansicht, die Regierung solle einen widerstandsfähigeren Ansatz zur Eindämmung der Militanz verfolgen. Dieser sei auf Unterstützung durch die Öffentlichkeit angewiesen und müsse alle Beteiligten einbeziehen. "Durch die zahlreichen militanten Angriffe in zwei Provinzen hat sich die Sicherheitsdynamik verändert", sagt Mehsud vom Khorasan Diary. Es sei besorgniserregend, dass die Militäroperation in der Bevölkerung kaum Unterstützung finde. "Die Einheimischen fordern die Vertreibung der Kämpfer ebenso wie die des Militärs. Das sozioökonomische Leben ist gestört, es mangelt an Vertrauen. Die Aufständischen nutzen diese Missstände für ihre Zwecke aus."

Unterstützung durch Bevölkerung unverzichtbar

Dem jüngsten Bericht des Global Terrorism Index (GTI) zufolge liegt Pakistan auf Platz vier der am stärksten von Terrorismus und Militanz betroffenen Länder. Der Report stützt sich auf Indikatoren wie Vorfälle, Todesopfer, Verletzte und Geiseln. 

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Der Schlüssel zur Eindämmung der Militanz ist in beiden Provinzen die Unterstützung durch die Öffentlichkeit", sagt Mehsud. Die Kapazitäten für den Antiterrorkampf müssten erneuert und besser mit Technologie ausgestattet werden, da auch die Militanten über moderne Waffen verfügten. "Auch der Einsatz von Drohnen könnte bei der Beseitigung der Terroristen wirksam sein." 

Pakistan könne sich "keine weitere Front in Belutschistan leisten", warnt die Ex-Diplomatin Lodhi. Das Land habe bereits mit zwei instabilen Grenzen zu kämpfen - die eine sei die zu Indien, die andere die zu Afghanistan. "Um mit diesen Sicherheitsbedrohungen umzugehen, braucht Pakistan eine kohärente Strategie zur Terrorismusbekämpfung. Diese sollte auf einem umfassenden Ansatz der Regierung, auf der Unterstützung der Öffentlichkeit und der aktiven Mitarbeit der lokalen Gemeinschaften in den Krisengebieten beruhen."

Madiha Afzal von der Brookings Institution fordert die Regierung zudem auf, die Probleme der pakistanischen Bürger in Belutschistan zur Kenntnis zu nehmen. "Um den Aufstand der Belutschen in den Griff zu bekommen, muss der Staat die Ursachen dieses Aufstands und die jahrzehntelangen Missstände in Belutschistan gründlich aufarbeiten."  

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.