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Gesellschaft

Pakistan: Tabu-Thema Transgender als TV-Serie

Esther Felden | Beenish Javed
22. November 2016

Seichte Themen, viel Liebe, Intrigen und Herzschmerz - so sieht eine typische pakistanische Fernsehserie aus. Jetzt aber gibt es eine, die so gar nicht in das übliche Muster reinpasst.

Screenshot der pakistanischen TV-Serie Khuda Mera Bhi Hai
Bild: A. Nabeel

Ein junges Paar bekommt Nachwuchs. Doch anstatt das ersehnte Familienglück mit Baby in vollen Zügen genießen zu können, sehen die Eltern sich mit einem Schock konfrontiert: Ihr Kind ist intersexuell - und damit qua Geburt etwas, was keinen Platz in der streng konservativen Gesellschaft Pakistans hat. Im realen Leben werden Kinder, die weder eindeutig Junge noch Mädchen sind, in dem südasiatischen Land von ihren Familien oft aus Scham im Verborgenen groß gezogen. Niemand soll mitbekommen, dass da "etwas nicht stimmt". Genau darum geht es in der neuen Serie "Khuda Mera Bhi Hai", die der Sender ARY digital seit Ende Oktober wöchentlich ausstrahlt. Es ist das erste Mal, dass sich ein Fernsehformat in Pakistan an ein solches Tabu-Thema heranwagt. "Gott ist auch für mich da" - bedeutet der Name auf deutsch.

Dabei wird ungewöhnlich offen und schonungslos die Situation dargestellt, mit der intersexuelle Menschen und ihre Angehörigen im Alltag konfrontiert sind.  Was bedeutet ein solches Schicksal für eine Familie? Wie unterschiedlich gehen ein Vater und eine Mutter damit um? Wie stehen die Verwandten zu ihnen? Dass die Serie ein Plädoyer ist für mehr Offenheit und Toleranz, dass lässt schon der Titel erahnen.

Autorin Asma Nabeel hofft, mit ihrer Serie im Land etwas verändern zu könnenBild: A. Nabeel

Geschrieben wurde das Drehbuch "Khuda Mera Bhi Hai" von Asma Nabeel. Für die Autorin eine Premiere. "Das ist meine erste Fernsehserie", erzählt sie der DW. "Ich wollte etwas schreiben, was wirklich einen Effekt auf das Leben der Menschen haben würde." Ihrer Meinung nach sollten die Medien eine Vorbildfunktion einnehmen, auch und gerade bei einem Thema wie diesem. Sie möchte mit Hilfe des Fernsehens einen Beitrag dazu leisten, dass Intersexualität enttabuisiert wird. Davon sei das Land derzeit noch weit entfernt. "Wenn Eltern ein intersexuelles Kind bekommen, kommt es oft vor, dass sie gar nicht darüber sprechen." In der Serie wird zwar gesprochen. Aber es wird auch klar, wie schwierig der Umgang mit dem Thema ist. Und wie unterschiedlich die Familienmitglieder reagieren.

Ein Junge, der keiner ist - und keiner sein will

Zentrale Figur der Serie ist die Mutter. Sie liebt ihr Kind und kämpft dafür, dass es so akzeptiert wird, wie es ist. Doch damit stößt sie bereits in ihrem engsten Umfeld an ihre Grenzen. "Sie bekommt von ihrer Familie und sogar von ihrem Mann sehr viel Druck", erklärt Autorin Nabeel. Nach der Geburt des Kindes wird im Krankenhaus festgestellt, dass ihr Baby intersexuell ist. Die Schwiegermutter bedrängt ihren Sohn, es wegzugeben. Er lässt sich von ihr überzeugen. Aus dem Krankenhaus fahren Vater, Mutter und Kind zu einem Haus, in dem Transgender-Frauen zusammenleben - Frauen, die als Männer geboren wurden und sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren konnten. Bei ihnen geben sie das Baby ab. Die Mutter steht zu diesem Zeitpunkt unter Schock und lässt es geschehen.

Seit Ende Oktober läuft die Serie wöchentlich bei ARY digitalBild: Six sigma plus/next level productions

Dass das nicht das Ende der Geschichte ist, macht schon der Vorspann der Serie klar. Dort sind auch Bilder eingebaut, auf denen aus dem Baby ein Kind geworden ist, das bei seinen Eltern lebt.  Als Junge erzogen und angezogen. Aber man weiß sofort, dass er sich in dieser angedachten Rolle nicht wohl fühlt - und eigentlich ein Mädchen sein möchte. In einer Szene sieht man das Kind vor dem Spiegel, es trägt Lippenstift auf, will sich mit einem Tuch schmücken, das die Mutter ihm schnell wegreißt.

Damit  greift die Serie "Khuda Mera Bhi Hai" auch die Transgender-Identität auf. Ein Thema, das in der pakistanischen Gesellschaft oft totgeschwiegen wird. "Offizielle Statistiken gibt es nicht. Die pakistanische Regierung geht davon aus, dass es rund eine halbe Million Transgender im Land gibt. Aber wir glauben, dass es tatsächlich mehr als doppelt so viele sind", sagt Menschenrechtsaktivist Qamar Naseem von der Transgender-Organisation Trans Action Alliance (TAA).

Gefeiert auf der Bühne, im Alltag im Abseits

Als Tänzer auf Hochzeiten sind Transgender gern gesehen. Im Alltag aber stehen sie am Rand der Gesellschaft, sind kaum akzeptiert - obwohl sie seit einem Urteil des Obersten Gerichts seit sieben Jahren offiziell als drittes Geschlecht anerkannt sind. "In unserer Gesellschaft ist es sehr hart für diese Menschen", sagt Asma Nabeel. "Selbst über sie zu reden ist schon verpönt."

In Pakistan leben hunderttausende Transgender-Menschen - meist am Rande der GesellschaftBild: picture-alliance/AP/Muhammed Muheisen

Deshalb wüssten viele Leute gar nichts über das Thema und die Probleme, die diese Menschen tagtäglich haben. Immer wieder werden Transgender in Pakistan auch Opfer von Gewaltverbrechen, werden erniedrigt, geschlagen, vergewaltigt. Oder sogar getötet . "Zwischen Januar 2015 und Mai 2016 wurden 46 Transgender-Menschen allein in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa umgebracht", so Qamar Naseem. Außerdem habe es im gleichen Zeitraum mehr als 300 tätliche Angriffe oder Vergewaltigungen gegeben.

Ein Opfer erzählt

Erst im November sorgte ein Fall über Pakistan hinaus für Schlagzeilen. Im Internet hatte sich ein Video verbreitet, auf dem zu sehen ist, wie eine Transgender-Frau vor laufender Kamera gequält und mit einem Ledergürtel ausgepeitscht wird. Der Haupttäter stellt ihr den Fuß in den Nacken, verdreht ihren Arm, während er auf das entblößte Gesäß einschlägt.

Opfer Shaniya (im roten Kleid) bei einer Protestveranstaltung in Islamabad für besseren Schutz von Transgender-Menschen Bild: Urooj Raza

Bei den Tätern handelt es sich um Mitglieder einer kriminellen Gang. Alle waren unmaskiert und  konnten von der Polizei identifiziert und festgenommen werden. Das Opfer, Shaniya, überlebte – und sprach nach der Tat mit der DW über die durchlittenen Qualen. "Ich war in die Provinz Punjab gefahren, um dort auf mehreren Hochzeiten aufzutreten", sagt sie. Als sie an einem Abend nach dem Tanzen nach Hause gekommen sei, habe es an ihrer Tür geklopft. Eine Gruppe von Männern sei  in ihr Zimmer vorgedrungen. "Ich wurde geschlagen. Sie zwangen mich, Urin zu trinken, und stahlen meinen Schmuck." Die Männer ließen sie leben. Aber Shaniya ist gezeichnet. "Ich bin natürlich froh, dass die Täter gefasst sind. Aber ich habe Angst, dass sie bald wieder frei kommen und mich dann verfolgen könnten."

Das ist nach Einschätzung der Initiative "Forum der Würde" nicht so unwahrscheinlich. Allein in diesem Jahr sei so etwas bereits zweimal passiert, sagt Uzma Yaqoob, die Sprecherin der NGO. "Die Täter wurden festgenommen, aber kurz darauf wieder freigelassen. Das System hat einfach Mängel." Pakistan müsse für Transgender wie Shaniya Schutzrichtlinien erarbeiten.

Kann die Serie die öffentliche Meinung verändern?

Um die Akzeptanz gegenüber intersexuellen Menschen und Transgendern zu erhöhen, brauche es insgesamt ein Umdenken in der pakistanischen Gesellschaft, ist Qamar Naseem von der Trans Action Alliance überzeugt. Eine Fernsehserie wie "Khuda Mera Bhi Hai" allein reiche nicht aus. Trotzdem, so meint Naseem, "ist die Fernsehserie eine gute Initiative, um die pakistanische Gesellschaft insgesamt mehr für die Themen Intersexualität und Transgender zu sensibilisieren". 

Nach dem ersten Schock will die Mutter zu ihrem Kind stehen und für es kämpfenBild: A. Nabeel

Wie es mit dem Jungen aus "Khuda Mera Bhi Hai" weitergeht? Das wissen die Zuschauer der Serie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Fünf Episoden wurden bislang ausgestrahlt. In der bislang letzten Folge wird die Mutter von ihrem schlechten Gewissen geplagt. Sie weiß jetzt für sich, dass es ein schrecklicher Fehler war, ihr Kind wegzugeben. Und sie möchte es zurückhaben. In der Vorschau zur nächsten Episode trifft die Mutter  in einem Park auf eine Frau mit behindertem Kind. Sie fragt sie, ob es nicht schwierig sei, so ein Kind groß zu ziehen und zu lieben. Die Frau antwortet: "Nein, nicht für eine Mutter. Gott gibt einer Mutter immer die Fähigkeit dazu."

Auch die Protagonistin spürt, dass sie diese Fähigkeit in sich trägt und möchte so schnell wie möglich ihr Kind zurück. Als sie aber bei dem Haus ankommt, wo die Transdender-Frauen leben, bei denen das Baby nun lebt, wird ihr mitgeteilt, dass Kinder, die einmal dort aufgenommen wurden, nicht einfach wieder herausgegeben werden. Das Entsetzen in den Augen der Mutter ist der emotionale Cliffhanger für Folge sechs.