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Politik

Pakistans Leid mit dem Extremismus

Hans Spross
31. Oktober 2016

Kann Pakistan den Kampf gegen den selbstgezüchteten Terrorismus gewinnen und als Staat bestehen? Die Frage stellt sich erneut angesichts des jüngsten blutigen Anschlags auf eine Polizeischule in Quetta.

Helfer bringen einen Verletzten nach Anschlag in einen Krankenwagen (Foto: Picture-Alliance/AP Photo/A. Butt)
Bild: Picture-Alliance/AP Photo/A. Butt

Zum wievielten Mal hat ein pakistanischer Staatsführer nicht bereits den baldigen Sieg über Militanz und Terrorismus verkündet, und dass alle nötigen Schritte unternommen würden, damit Pakistan ein sicherer Ort für jedermann sein werde, egal welcher religiösen und ethnischen Zugehörigkeit? Genau dies versprach Premier Nawaz Sharif nach dem Angriff auf eine Versammlung von Rechtsanwälten mit über 70 Toten in Quetta im vergangenen August. Nur wenige Monate später schlugen Extremisten erneut in Quetta zu. (Artikelbild) Diesmal traf es eine Polizeischule mit über 60 Toten.  Als Täter kommen bei beiden Massakern sunnitische Extremisten der Lakshar-i Janghvi, Rekruten des IS, pakistanische Taliban, beziehungsweise eine Allianz dieser Gruppierungen in Frage.

Laut offiziellen Angaben sind bei Attacken durch Extremisten und Separatisten in Pakistan seit Anfang der 2000er Jahre mehr als 60.000 Menschen ums Leben gekommen.

"Übliche Erklärungen und Ausreden nicht mehr haltbar"

"Wenn Pakistan nicht zum Ziel massiven Drucks der Außenwelt werden will, muss es sich von innen heraus ändern", sagte Husain Haqqani, ehemaliger pakistanischer Botschafter in den USA am Wochenende auf einem Londoner Forum über die Zukunft Pakistans. Die gängigen Erklärungsmuster der militärischen und zivilen Führung Pakistans (die vor allem Indien und Afghanistan für den Terrorismus auf Pakistans Boden verantwortlich machen - Red.) sind unhaltbar." Ähnlich schrieb auch die Zeitung "The News" nach dem jüngsten Anschlag: "Die Vermutung ist sicherlich nicht weit hergeholt, dass die Militanten in Pakistan von jenseits der Grenzen unterstützt werden. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Kräfte bei uns in Pakistan ihre Wurzeln haben, und dass diese seit Jahrzehnten gewachsen sind."

Unter Pervez Musharraf wurde die Politik "gute" gegen "böse" Militante institutionalisiertBild: picture-alliance/dpa

Pakistan, Islamisten und die USA

Ein kurzer historischer Rückblick: In den 1980er Jahren hatte Pakistan mit Unterstützung Washingtons die anti-sowjetischen, islamistischen Mudschahidin-Kämpfer in Afghanistan unterstützt, gleichzeitig im Innern (unter dem Militärherrscher Zia-ul Haq) eine Islamisierung der Gesellschaft mit saudischer Unterstützung betrieben.

Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan und dem anschließenden Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Mudschahidin-Gruppen übernahmen 1996 die Taliban mit Unterstützung Pakistans die Macht. Dann kam der Anschlag auf das World Trade Center vom 11. September 2001, und der damalige Militärherrscher Pervez Musharraf schlug sich unter massivem Druck Washingtons auf die Seite der USA im Anti-Terror-Kampf.

"Kontrolle" über islamistische Gruppen als gefährliche Illusion

Das beinhaltete den Bruch mit den Taliban, theoretisch. Tatsächlich ging Pakistan sehr selektiv gegen die islamistischen  Gruppen vor. Solche Gruppen, die es als "strategische Verbündete" im Kampf gegen Indien in Kaschmir gebrauchen konnte, und auch in Afghanistan, um Druck auf Kabul ausüben zu können, wurden verschont beziehungsweise von Islamabad "geführt".

Der Massenmord an Schülern in Peshawar im Dezember 2014 führte in Pakistan zum Umdenken Bild: privat

Eben diese Politik ist einer der Hauptgründe für die pakistanische Malaise, wie Südasien-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit der DW erläutert: "Die langjährige Unterteilung in gute und schlechte Terroristen hat sich als kontraproduktiv erwiesen. Es ist eben nicht möglich, diese Netzwerke, die von Armee und Geheimdienst unterstützt und aufgebaut wurden, dauerhaft zu kontrollieren. Hier hat es in den vergangenen Jahren immer wieder Abspaltungen gegeben, die sich dann gegen den pakistanischen Staat gerichtet haben. Die pakistanischen Taliban sind dafür das beste Beispiel. Diese Politik ist gescheitert, was sich auch darin zeigt, dass Pakistan die größten Opfer im Kampf gegen den Terrorismus aufzuweisen hat."

"Armee muss auch gegen Kaschmir-Extremisten vorgehen"

Manche Beobachter konstatieren, dass es spätestens nach dem verheerenden Anschlag auf eine von der Armee geführte Schule in Peshawar im Dezember 2014 mit mehr als 130 getöteten Kindern und Lehrern eine Abkehr von dieser Politik gab, zwischen "guten" und "schlechten" Taliban zu unterscheiden. Auch Armee und Geheimdienst hätten endlich die Lehre aus dem Blutbad gezogen.

Der Kaschmir-Konflikt nährt weiterhin den Extremismus auch in Pakistan - mit Billigung der ArmeeBild: Imago/Hindustan Times

Tatsächlich hat die Armee in den vergangenen Jahren in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan eine Reihe von Erfolgen erzielt und kontrolliert inzwischen bis auf sehr wenige Flecken die Region, wie Wagner erläutert. Allerdings sei damit noch kein nachhaltiger Erfolg verbunden, denn: "Die militanten Gruppen haben sich nach Afghanistan zurückgezogen und operieren von dort aus. Zum zweiten kommt hinzu, dass eine Reihe von diesen islamistischen Gruppen ihre Netzwerke und Lager  und Unterstützung auch in großen Provinzen wie Punjab finden. Hier ist es den Sicherheitskräften noch nicht gelungen, im gleichen Maße gegen militante Gruppen wie Lashkar-i Janghvi vorzugehen."

Erbitterter Widerstand der Minderheit gegen Reformen

Hinzu komme, dass die Armee weiterhin Gruppen wie Lashkar-i Toiba oder Jaish-i Mohammed unterstützt, die sich vor allem dem Dschihad gegen Indien verschrieben haben. Pakistan habe also mit dem Kampf gegen die pakistanischen Taliban (TTP) sicher einen "wichtigen ersten Schritt" gemacht, sagt Südasien-Experte Wagner. "Es bleibt aber noch der zweite Schritt zu tun, nämlich gegen Gruppen in Kaschmir vorzugehen, die immer wieder für Anschläge in Indien verantwortlich gemacht werden. Letztere sind Werkzeuge von Armee und Geheimdienst, aber sie rekrutieren auch in Pakistan, indem sie zum Dschihad gegen Indien aufrufen, und auch das fördert islamistisches Gedankengut."

Anhänger des hingerichteten Mörders eines liberalen Provinzgouverneurs, der die umstrittenen Blasphemiegesetze ändern wollteBild: Reuters/F. Aziz

Dabei ist es keineswegs so, dass dieses Gedankengut die pakistanische Gesellschaft dominieren würde. Wagner verweist darauf, dass religiöse Parteien bei Wahlen nur drei bis sechs Prozent erreichen: "Die große Mehrheit der pakistanischen Muslime hat eigentlich mit diesen radikalen Ideen nichts am Hut. Aber jede Gesetzgebung, die auf eine Abschwächung etwa von Blasphemie-Gesetzen abzielt, führt sofort zu Protesten konservativer oder noch radikalerer Kräfte, die dann wiederum Militante hervorlocken, die mit Gewalt gegen die Befürworter solcher Gesetzesvorschläge vorgehen." Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass "die Regierung von solchen Reformen die Finger lässt." Man versucht stattdessen sehr viel stärker, die Koranschulen zu kontrollieren, auch die zahlreichen nicht-registrierten Koranschulen, und auf die Lehrpläne Einfluss zu nehmen. "Es gibt über verschieden Kanäle den Versuch, einen gemäßigten Islam zu propagieren, aber es ist extrem schwer, gegen die radikalen Gruppen vorzugehen. Das ist noch ein langer Prozess", sagt Pakistan-Experte Wagner voraus.

Insbesondere Pakistans atomare Kurzstreckenraketen stellen nach Ansicht von Experten angesichts des extremistischen Umfelds ein Risiko darBild: picture alliance / dpa

Armee, Islamismus und Atomwaffen

Bei der Frage, ob nicht die Armee selbst in Gefahr steht, islamistisch unterwandert zu werden, gibt Christian Wagner Entwarnung: "Das war vor einigen Jahren vielleicht ein größeres Problem. Spätestens seit der Militäroperation 2014 wird die Armee größeren Wert darauf legen, dass islamistisch orientierte Kommandeure oder Offiziere keine größeren Karrieren machen. Mittlerweile würde ich davon ausgehen, dass sich die Armee dieses Problems mehr als bewusst ist und dass man einen großen Konsens hat, gegen Gruppen wie die pakistanischen Taliban vorzugehen."

Allerdings gibt es Rüstungsfachleute, die in der Kombination von Islamismus und Atombewaffnung in Pakistan ein Risiko sehen. Insbesondere Pakistans wachsendes Arsenal an taktischen Atomwaffen, darunter die atomwaffenfähige Kurzstreckenrakete "Nasr" mit einer Reichweite von nur 60 Kilometern, gibt Anlass zur Sorge. Sie wurde 2011 erstmals getestet und soll die Abschreckung gegen Indien verbessern und die Unterlegenheit Pakistans auf konventionellem Gebiet kompensieren. "Angesichts der in Pakistan operierenden extremistischen Gruppierungen und diverser mit diesen Gruppen sympathisierenden pakistanischen Militärs erscheinen die Risiken (eines Diebstahls oder nicht-autorisierten Einsatzes solcher Waffen) erheblich", schreibt Jonas Schneider  von der ETH Zürich.

Das Risiko bestehe aber nicht nur in einem direkten Zugriff extremistischer Kräfte auf solche taktischen Atomwaffen. Vielmehr sei folgendes Szenario vorstellbar: Von Pakistan aus operierende Kräfte führen einen Angriff auf Einrichtungen im indischen Kaschmir aus. Indien rückt daraufhin auf pakistanisches Territorium vor, Pakistan antwortet mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen und setzt eine Eskalationsspirale in Gang. Eine Horrorvision, die unter anderem der Grund für bislang erfolglose Initiativen der Obama-Regierung war, Pakistan enger in die internationale Nuklear-Ordnung einzubinden, etwa durch eine Mitgliedschaft in der Nuclear Suppliers Group. Dafür müsste Pakistan allerdings seine taktischen Nuklearwaffen einmotten, wozu es bislang nicht bereit ist.

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