Was bewirkt die Anerkennung Palästinas als Staat?
Veröffentlicht 21. September 2025Zuletzt aktualisiert 21. September 2025
Großbritannien und Kanada haben als erste große westliche Wirtschaftsnationen die Anerkennung eines Palästinenserstaates beschlossen. Das gaben die Premierminister Keir Starmer und Mark Carney kurz vor Beginn der New Yorker UN-Generaldebatte bekannt. Dort wollen weitere westliche Nationen wie Frankreich und Belgien nachziehen - trotz Warnungen Israels. Australien und Portugal gingen bereits am Sonntag den Schritt.
Auslöser dafür, Palästina jetzt als Staat anzuerkennen, ist für die meisten Länder die Militäroffensive Israels im Gazastreifen, bei der nach palästinensischen Angaben bislang schon mehr als 65.000 Menschen getötet wurden. Manche Forschende gehen sogar davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer noch höher ist.
Vergangenen Montag veröffentlichte eine unabhängige UN-Untersuchungskommission einen Bericht, in dem sie zu dem Schluss kam, dass Israel in Gaza einen Völkermord begehe. Israel und sein engster Verbündeter USA wiesen diesen sowie weitere Berichte, die zu dem gleichen Ergebnis kamen, zurück und verurteilten alle Pläne, Palästina als unabhängigen Staat anzuerkennen. Ein solcher Schritt käme einer "Belohnung für Terror" gleich.
Der von der radikalislamischen Hamas ausgeführte Großangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 forderte rund 1200 Todesopfer, etwa 250 Menschen wurden damals entführt. Dieser Angriff ging der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen voraus. Die Hamas wird von Israel, den USA und etlichen anderen Staaten, darunter Deutschland, als Terrororganisation eingestuft.
Westen setzt "auf symbolische Gesten"
Manche Unterstützer der Palästinenser befürchten, dass die Anerkennung Palästinas als Staat unzureichend sein könnte, wenn sie nicht mit konkreten Maßnahmen verbunden ist.
"Westliche Staaten setzen nur auf symbolische Gesten, während die Palästinenser weiterhin ohne Gerechtigkeit oder einen eigenen Staat leben, sondern sich einer wachsenden Kluft zwischen gelebter Realität und internationaler Inszenierung gegenüber sehen", schrieb Ines Abdel Razek im August in einem Text für die palästinensische Denkfabrik Al Shabaka. Abdel Razek arbeitet für das Palestine Institute for Public Diplomacy in Ramallah im besetzten Westjordanland.
Guardian-Autor Owen Jones betonte vor einigen Tagen, "jede gegen Israel ergriffene Maßnahme hatte lediglich symbolischen Charakter und diente dazu, Aufrufe zum Handeln aus der Gesellschaft zu beschwichtigen".
Wie wird Israel reagieren?
"Die mögliche Reaktion Israels auf eine neue Welle von Anerkennungen bereitet Sorgen", schrieb Richard Gowan von der Denkfabrik International Crisis Group in der US-amerikanischen Zeitschrift "Just Security". "Ein Szenario (...) wäre die Ankündigung von Plänen, Teile der palästinensischen Gebiete formell zu annektieren."
Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir forderte als Reaktion auf die Erklärungen von Großbritannien, Kanada und Australien eine sofortige Annexion des Westjordanlands. Außerdem müsse die Palästinensische Autonomiebehörde, die er als "Terrorbehörde" bezeichnete, komplett zerschlagen werden, schrieb Ben-Gvir in einem Post auf der Online-Plattform X. Er werde bei der nächsten Regierungssitzung einen Vorschlag zur "Ausweitung der (israelischen) Souveränität" vorlegen.
Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte einen Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland an. Und er fügte hinzu: "Ich habe eine klare Botschaft: Kein Palästinenserstaat wird westlich des Jordans errichtet werden."
Bringt eine Anerkennung den Frieden?
Klar ist, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates allein nicht den Krieg im Gazastreifen beenden wird.
"Anerkennung ist ein irreführender Ersatz für Boykotte und Strafmaßnahmen, die gegen ein Land ergriffen werden sollten, das Völkermord begeht", argumentierte der Autor Gideon Levy im August in der israelischen Zeitung "Haaretz". "Anerkennung ist ein Lippenbekenntnis ohne Bedeutung. Es wird den Völkermord nicht stoppen. Dieser kann nur gestoppt werden, wenn die internationale Gemeinschaft praktische Schritte unternimmt."
Es handle sich um zwei verschiedene Sachverhalte, betonen Rechtsexperten. Unabhängig davon, ob es sich bei Palästina um einen unabhängigen Staat handelt oder nicht, verpflichtet das Völkerrecht andere Staaten bereits jetzt dazu, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um einen mutmaßlichen Völkermord zu verhindern.
Mit politischer Aufwertung verbunden
Die Anerkennung Palästinas als Staat könnte allerdings innerhalb bestehender diplomatischer, bürokratischer und rechtlicher Strukturen stärkere Argumente für einen Waffenstillstand liefern.
In der Herbstausgabe 2025 der vierteljährlich erscheinenden Fachzeitschrift "The Cairo Review of Global Affairs" wies der ägyptische politische Analyst Omar auf einen Vorfall aus dem Jahr 1989 hin. Palästinensische Vertreter wollten damals der Genfer Konvention beitreten, waren jedoch von der Schweiz zurückgewiesen worden, weil "Ungewissheit" bezüglich der Existenz eines palästinensischen Staates bestehe.
Im August betonte Nomi Bar-Yaacov, Friedensunterhändlerin am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP), gegenüber der DW, eine Anerkennung "verändert unmittelbar nichts, aber es gibt den Palästinensern eine deutlich stärkere Position in Verhandlungen. Denn wenn ein Staat mit einem Staat verhandelt, ist das nicht das Gleiche wie Verhandlungen zwischen einem Staat und einem nicht anerkannten Staat oder einer bloßen Entität."
Eine bilaterale Anerkennung kann als eine Form der diplomatischen Aufwertung verstanden werden. Die Länder, die eine solche Anerkennung aussprechen, müssen ihre Beziehungen zu Palästina und ihre rechtlichen Verpflichtungen diesem Staat gegenüber überdenken. Darum könnte eine Anerkennung auch dazu führen, dass die Beziehungen zu Israel neu gedacht werden.
Doch Anerkennung ist nur ein erster Schritt. "Anerkennung ist kein Programm, es ist ein Anfang. Die wirkliche Arbeit beginnt am Tag danach", schrieb Anas Iqtait, Dozent für politische Ökonomie des Nahen Ostens an der Australian National University, im August in "Akfar", einer Veröffentlichung des Middle East Council on Global Affairs in Doha.
Symbolischer Schritt, aber wichtig
Die Anerkennung sei in der Tat symbolisch, sagt auch Hugh Lovatt, Nahostexperte beim European Council on Foreign Relations (ECFR), zur DW. "Doch Symbolpolitik ist nicht immer schlecht. In Anbetracht der Länder, die die Anerkennung aussprechen - insbesondere Frankreich und Großbritannien - handelt es sich um eine wichtige Bestätigung palästinensischer Rechte und der Selbstbestimmung der Palästinenser, ihres Rechts auf ein Leben ohne Besatzung, ihres Rechts auf einen eigenen Staat und so weiter." Symbolische Gesten müssten aber von praktischen Maßnahmen begleitet werden, insistiert Lovatt.
Auf einer Pressekonferenz in Brüssel ermutigte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am vergangenen Mittwoch die EU-Mitgliedsstaaten, Zölle auf bestimmte israelische Waren zu erhöhen und Sanktionen gegen Siedler und zwei führende israelische Politiker auszusprechen. Es handelt sich dabei um Maßnahmen, die der ECFR zuvor empfohlen hatte.
Zahlreiche Maßnahmen würden im Moment gleichzeitig vorangetrieben, stellt Nahost-Experte Lovatt fest. Das spiegle wider, wie sehr sich die öffentliche Meinung über das gesamte politische Spektrum hinweg seit 2023 verändert habe. "Anerkennung sollte als Reise gesehen werden", so Lovatt. "Wir kommen vielleicht nicht morgen ans Ziel, aber der Weg ist klar."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.