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Palantir: Wie gefährlich ist die US-Software in Deutschland?

30. Juli 2025

KI gegen Kriminalität und Terror: Polizei und Geheimdienste sind begeistert, Bürgerrechtler und Datenschützer entsetzt. Palantir ist schon lange umstritten - und landet erneut vor dem Bundesverfassungsgericht.

Das Logo der Firma Palantir - ein Kreis, darunter eine leicht gespreizte Linie - ist links vor dem Namen des Unternehmens in weißer Farbe platziert. Im Hintergrund sind endlose sogenannte Computer-Binärcodes aus blauen Nullen und Einsen eingeblendet.
Die auch von deutschen Polizei-Behörden genutzte Überwachungssoftware des US-Unternehmens Palantir ist weltweit umstrittenBild: Jakub Porzycki/NurPhoto/IMAGO

Diese Software ist anscheinend eine Alleskönnerin: Gigantische Datenmengen werden rasend schnell miteinander verknüpft. Nur wenige Sekunden dauert es, um polizeitypische Neugier auf einen Schlag zu stillen: Name, Alter, Adresse, Bußgelder, Vorstrafen. In Kombination mit ausgelesenen Mobiltelefonen und den Inhalten gescannter Social-Media-Kanäle lassen sich in Windeseile von jedem Menschen Profile erstellen.

Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) kann man dabei in ganz neue Dimensionen vordringen. Das Überwachungsprogramm der US-amerikanischen Technologie-Firma Palantir lässt Träume von Polizei und Geheimdiensten wahr werden. In drei von 16 deutschen Bundesländern ist das schon der Fall: Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen. Ein Problem aus Sicht von Datenschützern und Bürgerrechtsorganisationen: Neben verdächtigen Personen können auch Unbescholtene betroffen sein.

Verfassungsbeschwerde gegen Bayern

Die gemeinnützige Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) will das verhindern, ist aber auch grundsätzlich gegen die Nutzung von Programmen wie Palantir. Deshalb hat sie Verfassungsbeschwerde gegen die massenhafte Datenauswertung in Bayern erhoben. "Schon wer eine Anzeige erstattet, Opfer einer Straftat wird oder auch einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann durch die Software ins Visier geraten", bemängelt die GFF-Juristin Franziska Görlitz.

Aus Sicht der in Berlin ansässigen Organisation verstößt die unbegrenzte Auswertung von Daten gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das in der deutschen Verfassung garantierte Fernmeldegeheimnis.

Wer durch das sogenannte Data Mining auf dem Radar der Polizei auftaucht, erfährt nichts davon. Nach geltendem Recht darf die Polizei in Bayern Palantir sogar einsetzen, wenn keine konkrete Gefahr besteht. Damit werden dort Standards ignoriert, die in Hessen nach einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde der GFF seit 2023 gelten.      

Über eine vergleichbare Klage gegen Nordrhein-Westfalen, wo die Behörden ebenfalls Palantir einsetzen, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden.

Chaos Computer Club hält die Software für undurchschaubar

Der Verfassungsbeschwerde gegen Bayern hat sich der Chaos Computer Club (CCC) angeschlossen. Dessen Sprecherin Constanze Kurz spricht von einer "Palantir-Rasterfahndung". Dabei verknüpfe die Polizei zu sehr unterschiedlichen Zwecken getrennt gespeicherte Daten.

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club spricht mit Blick auf Palantir von einer "absichtlich undurchschaubaren Software" Bild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

"Schon allein deshalb darf die automatisierte Massenanalyse nicht zum Polizeialltag werden. Aber die zusammengeführten Daten landen auch noch in einer absichtlich undurchschaubaren Software des US-Konzerns Palantir, von der sich die Polizei auf Jahre abhängig macht", kritisiert Kurz. Beides seien klare Ausschlusskriterien für Palantir.

In Bayern kommt die Software des US-Milliardärs Peter Thiel seit 2024 zum Einsatz, in Hessen schon seit 2017. Der Unternehmer mit deutschen Wurzeln steht im Ruf, autoritäre Ziele zu verfolgen und enge Kontakte mit Präsident Donald Trump und seinem politischen Umfeld zu pflegen. Amerikanische Geheimdienste und das Militär arbeiten schon lange mit dem Palantir-Programm, das in den USA "Gotham" heißt.

Das von Peter Thiel 2003 gegründete Unternehmen Palantir wird an der Börse im Juli 2025 auf rund 363 Milliarden US-Dollar taxiert Bild: Brendan McDermid/REUTERS

Palantir heißt in Deutschland auch "VeRA" oder "HessenData"

Bayern hat die Software auf den Namen "VeRA" getauft. Die Abkürzung steht für "Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform". Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung (SZ), Norddeutschem Rundfunk (NDR) und Westdeutschem Rundfunk (WDR) wurde VeRA alias Palantir von der Polizei bis Mai 2025 in rund einhundert Fällen eingesetzt. Darunter soll der Anschlag auf das israelische Generalkonsulat in München im September 2024 gewesen sein.

Dem Bericht zufolge hat das US-Unternehmen uneingeschränkten Zugriff auf die Datenbestände der bayerischen Polizei erhalten, um die Systeme zusammenzuführen. Der Computer-Quellcode soll auf Servern in Deutschland liegen. Aber eine Garantie, dass keine Kopien in den USA landeten, gebe es nicht. "Man muss darauf vertrauen", zitieren die drei Medien einen Beamten.

Palantir: Der digitale Übergriff

13:25

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Bundesregierung: "Digitalpolitik ist Machtpolitik"

Die offensichtliche und eher größer gewordene Abhängigkeit von ausländischen Technologie-Giganten wie Palantir passt überhaupt nicht zum Anspruch Deutschlands. Darüber scheinen sich die regierenden Unionsparteien (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) im Klaren zu sein. "Digitalpolitik ist Machtpolitik", steht in ihrem Koalitionsvertrag.

Darin sind anspruchsvolle Ziele formuliert: "Wir wollen ein digital souveränes Deutschland. Dazu werden wir digitale Abhängigkeiten abbauen, indem wir Schlüsseltechnologien entwickeln, Standards sichern, digitale Infrastrukturen schützen und ausbauen. Wir schaffen europäisch integrierte und resiliente Wertschöpfungsketten für Schlüsselindustrien, von Rohstoffen über Chips bis zu Hard- und Software."

Ex-Innenministerin Nancy Faeser hat Palantir abgelehnt

Trotzdem hält sich der für die innere Sicherheit zuständige Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) anscheinend ein Hintertürchen offen, denn bislang schließt er den Kauf von Palantir-Software für das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei nicht explizit aus. Seine Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) hingegen hatte den Einsatz dieser Programme 2023 untersagt.

Wie Staaten KI-Gesichtserkennung zur Überwachung nutzen

01:55

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BKA-Präsident Holger Münch hofft, so schnell wie möglich eine mit Palantir vergleichbare Software zu bekommen. "Wir brauchen ein solches System dringend", sagte er der Frankfurter Rundschau. Angesichts der geopolitischen Entwicklung wäre ihm allerdings eine deutsche oder europäische Lösung des Problems lieber. "Wir dürfen uns nicht abhängig machen von Partnern, von denen wir nicht wissen, wie sie morgen oder übermorgen mit uns umgehen", betonte Münch.

Auch in den Bundesländern gibt es Gegner und Befürworter von Palantir. Auf der Innenministerkonferenz im Juni versuchte Bayern vergeblich durchsetzen, dass alle seinem Beispiel folgen und die Software sofort kaufen. Das geschah wohl auch unter dem Eindruck mehrerer schwerer Anschläge, darunter ein mutmaßlich islamistisches Attentat mit mehreren Toten in Aschaffenburg.

Die Unterstützer argumentieren, mit Palantir ließen sich mögliche Gefahren frühzeitig erkennen, indem man aus Bergen von getrennten Daten verdächtige Personen herausfiltere. Der tödliche Anschlag in Aschaffenburg konnte nicht verhindert werden, obwohl die bayrische Polizei das Programm nutzt.

In NRW läuft die Palantir-Lizenz bald aus

In Nordrhein-Westfalen (NRW) muss die Koalition aus CDU und Grünen bis zum Jahresende entscheiden, wie es nach 2025 weitergeht. Der Grund: Die Palantir-Lizenz läuft aus. Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) will einem Bericht der Rheinischen Post zufolge nur so lange mit der US-Software arbeiten, "bis wir eine Alternative haben".

Neu im Kreis der Palantir-Nutzer ist das Land Baden-Württemberg, wo mit Winfried Kretschmann der erste und einzige Regierungschef der Grünen eine Koalition mit der CDU anführt. Nach längerem Streit haben sich die beiden Parteien auf die Anschaffung des Programms geeinigt.

Die Grünen haben ein gespaltenes Verhältnis zu Palantir

Auffällig ist das widersprüchliche Verhalten der Grünen gegenüber Palantir. Als Hessen die Software 2017 als erstes Bundesland einführte, war die Partei Koalitionspartnerin der CDU. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg billigt sie die Nutzung aktuell als Teil der jeweiligen Regierung. Anders sieht es aber auf Bundesebene aus, wo die Grünen nach der Bundestagswahl im Februar 2025 in der Opposition gelandet sind und Palantir kategorisch ablehnen.

Medien-Berichte, Innenminister Alexander Dobrindt erwäge den Einsatz der Software bei Sicherheitsbehörden des Bundes, kommentierten die Grünen ablehnend. "Offenkundig sieht er sich als Lobbyist eines hochumstrittenen US-Unternehmens", sagte der Abgeordnete Konstantin von Notz dem Magazin Stern.

Geheimdienst-Kontrolleur will sich nicht auf US-Regierung verlassen

Eine Kooperation mit einem Unternehmen wie Palantir verbiete sich gerade in Zeiten, in denen immer weniger Verlass auf die US-Regierung sei, sagte von Notz. Der Sicherheitsexperte ist der einzige Oppositionspolitiker im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Geheimdienste des Bundes überwacht: Bundesnachrichtendienst (BND), Verfassungsschutz (BfV) und Militärischen Abschirmdienst (MAD).          

Dass die Gesellschaft für Freiheitsrechte mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen den Einsatz von Palantir starken Rückhalt in der Bevölkerung hat, zeigt ein Blick auf die Online-Petitionsplattform Campact: Der dort veröffentlichte Appell an die Politik, die Software in Deutschland zu stoppen, wurde innerhalb einer Woche von mehr als 264.000 Menschen unterzeichnet (Stand: 30.07.2025).

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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