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Politik

Pandemischer Populismus

26. April 2020

Im Schlepptau des Coronavirus haben Verschwörungstheorien gerade Hochkonjunktur. Vor allem rechte Aktivisten versuchen, Hass gegen Politiker und das demokratische System zu schüren, warnt eine aktuelle Studie.

Symbolbild Falschinformation in einem sozialen Netzwerk
Bild: Imago Images/C. Ohde

Seinen Anfang nimmt das Gerücht in einer wahren Nachricht: Angela Merkel ist weg. Am 22. März 2020 verschwindet die deutsche Kanzlerin aus der Öffentlichkeit – und zwar ganz offiziell und verkündet durch ihren Sprecher: Angela Merkel muss sich für vierzehn Tage in Corona-Quarantäne begeben, weil sie sich bei ihrem Arzt angesteckt haben könnte. Es ist in allen Medien die Top-Nachricht des Tages. Während aber die etablierten Zeitungen und Nachrichtensendungen fragen, wie denn eine Regierung mit Kanzlerin im "home office" so arbeitet, beginnen rechte Verschwörungstheoretiker zu raunen und zu spekulieren. Der sächsische AfD-Funktionär Andreas Albrecht Harlaß mutmaßt in den sozialen Medien, Merkel sei nicht nur weg, sie komme auch nie wieder. Die Quarantäne sei quasi vorgeschoben. Einige seiner Anhänger wollen sogar Näheres wissen: Wahrscheinlich verstecke sich die deutsche Bundeskanzlerin in einem Schutzbunker auf ihrem Landsitz. Den habe sie schon vor Jahren in Paraguay erworben.

Merkel abgetaucht in Paraguay?

Nun ist die Kanzlerin mittlerweile zurück aus der Quarantäne und sehr offensichtlich nicht in Paraguay gewesen. Aber das beeindruckt Verschwörungstheoretiker nicht sonderlich. Das Spekulieren geht in großem Umfang weiter.

Hat sich die Kanzlerin nach Paraguay abgesetzt? Offensichtlich nichtBild: Reuters/B. von Jutrczenka

Wissenschaftler der Universität Münster haben sich genauer angeschaut, wie rechte Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona-Pandemie funktionieren. Von Januar bis März 2020 untersuchten sie rund 120.000 Facebook-Posts verschiedener deutscher Medien. Fazit: Mit der umfangreichen Corona-Berichterstattung der etablierten Zeitungen und Rundfunkanstalten wuchs auch die Zahl der Beiträge in den sogenannten "alternativen Medien", also in rechten Publikationen, die sich gezielt von etablierten Medien und den politischen Eliten abgrenzen wollen.

Das Interessante: Die "alternativen Medien" berichten im Kern über dieselben, nachprüfbaren Sachverhalte, aber sie verknüpfen ihre Berichte mit Spekulationen. Zum Beispiel, dass das Virus in einem Labor erzeugt worden oder weniger gefährlich sei als allgemein dargestellt. "Die alternativen Medien verbreiten ihre Botschaften subtil in einer harmlos wirkenden Kommunikationsstrategie. Offensichtliche Falschmeldungen passen nicht zu dieser Vorgehensweise", sagt Thorsten Quandt, der Leiter der Studie von der Universität Münster. Man habe jedoch populistische Tendenzen in den Beiträgen festgestellt. "Pandemischen Populismus" nennen die Wissenschaftler diese Strategie: Verschwörungstheoretiker vermischen die Pandemie mit bereits etablierten Themen: Klimawandel, Flüchtlingsfragen und Weltuntergangsphantasien wandern in einen Topf mit dem Coronavirus. Angela Merkel, Greta Thunberg, Flüchtlinge und Corona – am Ende hänge eben alles irgendwie mit allem zusammen.

Fake-News schüren Ängste

05:19

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Auch wenn dieser "pandemische Populismus" nur einen Bruchteil der allgemeinen Berichterstattung ausmacht, ist es den "alternativen Medien" gelungen, damit ein eigenes Referenzsystem aufzubauen: "Wir fanden mehrere Fälle, in denen ihre Aussagen an anderer Stelle aufgriffen wurden, beispielsweise in den YouTube-Kanälen von Verschwörungstheoretikern, die als sekundäres Verbreitungssystem dienen. Sie bezeichnen die Botschaften der alternativen Nachrichtenmedien als glaubhaft", sagt Thorsten Quandt. Dadurch gelinge es ihnen, die eigenen, unbelegten Thesen größer und etablierter erscheinen zu lassen, als sie faktisch sind. Und einzelne Posts können durchaus mit den Reichweiten und Interaktionen großer Medienplattformen mithalten.

Alternative Medien berichten bewusst zerstörerisch

Verschwörungstheoretiker glauben nicht an Zufälle. Sie behaupten, dass hinter den Kulissen eine kleine Elite die Fäden zieht. Und dass sich diese Eliten gegen das Volk, gegen die einfachen Menschen, verschworen haben. Dass es immer wieder Berichte über Machtmissbrauch und Fehlverhalten von Politikern und Mächtigen gibt, spielt ihnen dabei in die Hände. Medien, die solche Theorien verbreiten, sind dabei alles andere als naiv. Plattformen wie "Russia Today Deutschland" oder das rechte Magazin "Compact" betreiben gezielte Propaganda. Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung beobachtet: "'Alternative Medien' befinden sich nach eigener Darstellung in einem 'Info-Krieg' gegen die demokratischen Parteien und die parlamentarische Demokratie. Sie streuen Unsicherheiten, um den Systemsturz herbeizuführen."

Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung: Geschlossenes Weltbild bei Anhängern von VerschwörungstheorienBild: Amadeu Antonio Stiftung

Und an Unsicherheiten gibt es derzeit ohnehin keinen Mangel. Die Pandemie verängstigt die Menschen. Zumal sie erleben müssen, dass sich auch die politisch Verantwortlichen mühsam durch die Krise tasten. Für die Bundestagsabgeordnete Susann Rüthrich von den mitregierenden Sozialdemokraten ist es daher zentral, diese Unsicherheit ernstzunehmen: "Wir müssen die Entscheidungen öffentlich diskutieren und transparent machen. Man muss mit offenen Karten spielen. In der ersten Phase der Krise hat das gut geklappt. Jetzt in der zweiten Phase dürfen wir die Debatten nicht abwürgen."

Die Politikerin registriert, wie der Druck wächst, je länger die Bürger auf ihren eingespielten Alltag verzichten müssen. Selbst Befürworter von Kontakt- und Ausgangssperren werden durch die langanhaltende Unsicherheit empfänglicher für populistische oder verschwörungstheoretische Inhalte.

Besonders dankbar greifen Verschwörungstheoretiker deswegen prominente Stimmen auf, die sich an Spekulationen beteiligen. In Deutschland hatte gerade erst der berühmte Musiker Xavier Naidoo für Schlagzeilen gesorgt. In einem Video fabuliert er unter Tränen über den Start einer weltweiten Befreiungsaktion. Demnach habe US-Präsident Donald Trump nur deswegen Corona-Ausgangssperren verhängt und ein großes Lazarettschiff nach New York geschickt, um hinter den Kulissen massenhaft entführte und missbrauchte Kinder aus unterirdischen Tunnelsystemen zu befreien. Dass noch nicht mehr über die Operation bekannt ist, hat natürlich einen einfachen wie plausiblen Grund: ist ja geheim. Dank des Bekanntheitsgrades eines Musikers wie Xavier Naidoo schaffen es solche Erzählungen, aus den Verschwörungszirkeln in die Welt der Normalos hinüberzuschwappen.

Verschwörungstheorien und rechte Gewalt

Wie gefährlich sind Verschwörungstheorien für die Gesellschaft? Der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt warnt in seiner Studie: "Die Alternativmedien können durch die Konstruktion einer widersprüchlichen, bedrohlichen und misstrauischen Weltansicht, die jede 'offizielle' Aussage in Frage stellt, zur öffentlichen Verwirrung beitragen". Experten beobachten vor allem mit Sorge, dass Verschwörungstheorien ein wichtiger Baustein im Weltbild rechter Gewalttäter seien: "Gerade bei Anhängern von Verschwörungstheorien stoßen wir auf ein geschlossenes Weltbild mit einem großen Handlungszwang: Die Menschen sehen sich als einzige Personen, die den Untergang aufhalten können", warnt Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Irregeleitet bis zum Mord: Stephan E. steht im Verdacht, aus Hass den CDU-Politiker Walter Lübcke erschossen zu habenBild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Je länger die Corona-Pandemie die Gesellschaft im Griff hat, umso mehr könnten sich Verschwörungstheoretiker radikalisieren. Das befürchtet auch die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau, von der Linkspartei. Für sie ist das Problem kein virtuelles, sondern sehr real: "Kommunalpolitiker waren in den letzten Jahren besonders rechten Bedrohungen ausgesetzt. Ich sehe die Gefahr, wenn die Kommunen durch Corona unter Druck geraten und bestimmte Leistungen kürzen, dass die Menschen dann nach Schuldigen suchen. Das könnten die Hetzer nutzen."

Wie ernstzunehmen diese Gefahr ist, zeigt der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Ein Rechtsextremist hatte ihn 2019 erschossen. Das Motiv: Hass auf seine flüchtlingsfreundliche Politik.

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