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Politik

Bringt die Partei "Volt" Europa neue Energie?

Melina Grundmann
30. Dezember 2018

In Zeiten von Europa-Skepsis und vermehrtem Populismus will die junge Partei "Volt" dagegen halten, ein Statement setzen. Als erste paneuropäische Partei will sie im Mai ins EU-Parlament einziehen.

Volt Hauptversammlung Ende Oktober 2018  in Amsterdam
Bild: volteurope

Am Morgen nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 telefoniert der Italiener Andrea Venzon mit seiner Freundin in Großbritannien. Europa, das studentische Austauschprogramm Erasmus, offene Grenzen - für sie beide war das bisher selbstverständlich. Er wollte eigentlich nach London auswandern. Über Nacht hat sich die Lage für ihn - und viele andere - jedoch geändert. Mit dem Brexit wird die freie Wahl des Wohnortes und Arbeitsplatzes in der Europäischen Union für Großbritannien nicht mehr gelten. Während des Telefonats kommt ihm eine Idee.

Acht Monate später, am 29. März 2017, dem Tag, an dem Theresa May das Austrittsabkommen in die Wege leitet, wird seine Idee offiziell: Er gründet "Volt", die erste paneuropäische Partei. "Ich wollte um jeden Preis verhindern, dass sich eine solche Situation wie beim Brexit in Europa nochmal wiederholt", sagt Venzon. Der junge Mann fürchtet weitere EU-Austritte und damit Einschränkungen.

Mittlerweile ist "Volt" in mehr als 33 europäischen Ländern aktiv, hat 20.000 Unterstützer und elf eingetragene nationale Parteien, unter anderem in Italien, den Niederlanden und Deutschland. 2019 will die Bewegung mit einem europaweiten Programm, der "Amsterdam Declaration", für die Europawahl kandidieren. Das Ziel: Mindestens 25 Abgeordnete ins Europäische Parlament zu bekommen.

Europawahl 2019

Eine der Kandidatinnen und Mitglied von "Volt Deutschland" ist Isabelle Heiss. Sie weiß, dass der Einzug ins EU-Parlament ein anspruchsvolles Vorhaben ist, hält es aber für machbar. "Wir müssen noch wahnsinnig viel nachlegen, um dieses Ziel zu erreichen", erklärt sie. Aber man dürfe auch das Symbolische dahinter nicht vergessen. "Die Idee, eine Europäische Partei in die Wirklichkeit zu bringen, ist schon mal das, was wir zumindest symbolisch auf die Agenda gebracht haben. Was im EU-Parlament passieren sollte, ist doch, dass Europäer gemeinsame Politik machen, egal in welcher Stärke, Hauptsache wir leben das vor".

Denn eins ist klar: Mit Brexit, Flüchtlingskrise und Co hat es Europa zurzeit nicht leicht. Mit der Europawahl 2019 werden wahrscheinlich auch mehr EU-Skeptiker ins EU-Parlament einziehen. 

Bei der "Volt"-Hauptversammlung wurde das Programm für die Europawahl, die Amsterdam Declaration verabschiedetBild: volteurope

Breit aufgestelltes Parteiprogramm

Das Parteiprogramm von "Volt" ist bewusst breit aufgestellt. Die drei wichtigsten Themen sind:

1. Eine Reform der Europäischen Union, mit einer gemeinsamen Armee und europäischem Grenzschutz. 

2. Eine wirtschaftliche Renaissance: Wirtschaftlich benachteiligte Regionen sollen gefördert und Europa zu einem Innovationszentrum werden, zum Beispiel durch Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit oder gemeinsame Maßnahmen gegen Unterbeschäftigung.

3. Soziale Gleichberechtigung: Gleiche Chancen sollten für jeden zugänglich sein, Benachteiligte sollen stärker gefördert werden.

Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch sieht in der breiten Aufstellung eine Angriffsfläche: "Das ist große Herausforderung für eine Neugründung, weil man sich leichter anfechtbar macht".  

In Deutschland hat die Partei bisher ca. 800 MitgliederBild: volteurope

Doch für "Volt" ist es die einzige Chance, nationale Abgänge zu vermeiden und jedem Land genügend Spielraum zu lassen, sodass es sich auf die Punkte spezialisieren kann, die den eigenen Bedürfnissen entsprechen. 

Isabelle Heiss erläutert: "Es macht mehr Sinn, erst auf europäischer Ebene gemeinsame Positionen zu finden und dann im nächsten Schritt die nationalen Positionen zu entwickeln, damit man nicht auf nationaler Ebene etwas fordert, was der europäischen Ebene widerspricht. Nur wenn man von Anfang an alle Länder im Blick hat, kommt man zu einer Lösung, hinter der auch alle stehen", so Heiss.

Kandidatin Heiss (Mitte) bei einer "Volt" VeranstaltungBild: volteurope

70 Prozent der aktuellen "Volt"-Mitglieder waren vorher nicht politisch aktiv

Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch rechnet "Volt" keine allzu hohe Chancen aus. Dass sie es schaffen, will Münch aber auch nicht ausschließen: "Was überzeugen könnte ist, dass sie neu sind, dass sie das Pro-europäische durch junge Kandidaten darstellen, die bislang nicht in Parteien aktiv waren, die andere Berufe ausüben", so Münch. "Vielleicht kommt ihnen der Verdruss über die klassischen Parteien im EU-Parlament zugute, der Eindruck, dass die Alten das Europa an die Wand fahren; das nur noch als ein bürokratisches Monster erscheint, anstatt der großen Chance, die es eigentlich ist".

Auch Isabelle Heiss war vor ihrem Eintritt bei "Volt" nicht politisch engagiert. "Ich habe mich immer sehr schwer getan, politisch Stellung zu beziehen. Das hat sich aber mit der Flüchtlingsbewegung, Trump und der AfD geändert", sagt sie. "Ich habe die Dringlichkeit von 'Volt' gespürt."

"Volt" soll anders sein als bisherige Parteien, anders als die Bewegung "Pulse of Europe", die es zwar geschafft hat, den europäischen Gedanken wieder sichtbarer zu machen, aber selbst bewusst nicht politisch aktiv werden wollte. "Volt" will dagegen politische Handlungsmöglichkeiten eröffnen.

"Wir wollen kein One-Hit-Wonder sein, es geht uns vor allem auch um die Leute, die bei uns mitmachen", betont Heiss. "Empowerment ist ein wichtiges Stichwort. Und - man muss kein Experte sein, um bei uns mitzumachen". 

Um die "Pulse of Europe"-Bewegung ist es in letzter Zeit ein wenig still gewordenBild: picture-alliance/A. Alain

Um pan-europäisch agieren zu können, fängt "Volt" lokal, also auf kleinster Ebene an: Durch den Aufbau von Gruppen in den Städten und Kommunen, die unter der "Volt"-Agenda nach ihren eigenen Interessen handeln können und so das Gefühl bekommen, Europa wirklich mitgestalten zu können. Die lokalen Gruppen organisieren Events, verteilen Flyer und tauschen sich dann mit der jeweiligen nationalen Partei von "Volt" aus. Deren Vorsitzende tauschen sich dann wiederum mit den anderen nationalen Parteien auf europäischer Ebene aus. "Wir versuchen so, lokale und europäische Interessen zur gleichen Zeit zu bedienen", sagt Nikola Ilic, der die Kampagne leitet.

Ihr Ziel ist es, vor der Europawahl bei mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten in Deutschland bekannt zu werden. Bisher hat die Partei in Deutschland um die 800 Mitglieder. "Das Wichtigste ist, dass die Leute sich von uns erzählen, dass wir ins Gespräch kommen". Dafür plant "Volt Deutschland" Ende Januar einen "Border Walk" an der Grenze zwischen Österreich und Deutschland, um auf die durch den Brexit entstehende Grenzproblematik von Großbritannien und Nordirland aufmerksam zu machen.

Und wenn das mit der Europawahl nicht klappt? "Die Europawahl ist nur ein Zwischenziel", erklärt Heiss. "Die Gefahr ist ja, dass Europa jetzt wieder vier bis fünf Monate präsent ist, und dann wieder aus den Köpfen der Leute verschwindet. Wir wollen Politik aber langfristig europaweit gestalten. Am besten die nächsten 50 Jahre."

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