1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Panzer statt Autos: Wie sich der Arbeitsmarkt verändert

25. März 2025

Hunderte Milliarden Euro werden in den nächsten Jahren in die deutsche Verteidigungsindustrie gepumpt. Das Wettrennen um Fachkräfte aus anderen Branchen hat bereits begonnen.

Ein Mitarbeiter des Getriebeherstellers Renk in Augsburg baut ein Getriebe in einen Panzer ein
Das Augsburger Unternehmen Renk produziert und wartet Getriebe für Panzer Bild: Stefan Puchner/dpa/picture alliance

In der deutschen Industrie werden die Karten neu gemischt: Während in deutschen Vorzeigeunternehmen wie VW Jobs verloren gehen, suchen die Produzenten von Panzern oder Marschflugkörpern händeringend nach neuen Mitarbeitern.

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung EY und der Dekabank geht davon aus, dass "die europäischen NATO-Länder nach aktuellem Stand in den kommenden Jahren jährlich 72 Milliarden Euro in Rüstung investieren und damit 680.000 Arbeitsplätze in Europa schaffen beziehungsweise sichern."

Eine Untersuchung der Unternehmensberatung Kearney kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Wie viele Fachkräfte genau fehlen, hänge aber davon ab, wie stark die europäischen NATO-Staaten aufrüsten. Geben sie künftig zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Rüstung aus, wie es die NATO-Regeln vorsehen, fehlen bis 2030 rund 160.000 Fachkräfte. "Bei einer mittleren Steigerung (2,5 Prozent des BIP) drohen rund 460.000 offene Stellen und bei einem deutlichen Anstieg (3 Prozent) sogar bis zu 760.000", schreiben die Studienautoren Guido Hertel und Nils Kuhlwein. Vor allem für Künstliche Intelligenz und Big Data fehlen Spezialisten.

Boom der deutschen Rüstungsindustrie

04:35

This browser does not support the video element.

Zur Einordnung: Aktuell haben Rüstungsfirmen wie Rheinmetall und Co. rund 60.000 Mitarbeiter in Deutschland, einschließlich der Zulieferer sind es ungefähr 150.000, so die Angaben von Klaus-Heiner Röhl, Rüstungsexperte am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Wo sollen die Beschäftigten herkommen?

Die Hersteller von Geschützen, Radartechnik oder Getrieben für Kettenfahrzeuge suchen nicht nur neue Arbeitskräfte, sondern auch Produktionsstandorte für die erwartete Auftragsflut.

Was liegt da näher, als in kriselnden Branchen zuzugreifen? "Wir profitieren von den Schwierigkeiten der Autoindustrie", sagt Hensoldt-Chef Oliver Dörre im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Das Unternehmen aus Bayern produziert Hochleistungsradare, die etwa in der Ukraine bei der Luftverteidigung zum Einsatz kommen. Eines der Hensoldt-Systeme ist sogar in der Lage, Tarnkappen-Bomber wie die amerikanische F-35 zu orten.

Schon jetzt laufen Gespräche mit den Autozulieferern Continental und Bosch über die Übernahme von Beschäftigten, bestätigt Hensoldt-Chef Dörre.

Endkontrolle von Groß-Munition im Rheinmetall-Werk Unterlüss in Niedersachsen vor der LackierungBild: Sepp spiegl/IMAGO

Im ostdeutschen Görlitz an der polnischen Grenze übernimmt der Rüstungskonzern KNDS ein Werk des Zugherstellers Alstom, in dem Züge gebaut wurden und das 2026 dicht gemacht werden sollte. Etwa die Hälfte der 700 Mitarbeiter will KNDS übernehmen. Der Panzer-Produzent will in der ehemaligen Bahnfabrik Bauteile und Module für die Panzer Leopard 2, Puma und Boxer bauen. Die Produktion soll schon 2025 starten.

Der Konkurrent Rheinmetall setzt ebenfalls auf Quereinsteiger: Ein Facharbeiter, der früher Spezialbauteile für die Ölbranche herstellte, fertigt jetzt in einem Rheinmetall-Werk in Norddeutschland Geschützrohre für Panzer. Eine frühere Kosmetikerin lackiert dort jetzt Panzergranaten.

Was geht und was nicht?

Ganz so einfach ist der Umstieg aus einer zivilen in die Rüstungsbranche aber nicht, erklärt Eva Brückner im Interview mit der DW. "Ein Wechsel ist nur in bestimmten Positionen und Fachfunktionen möglich", sagt die Personalberaterin, die auf die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie spezialisiert ist. "Der Facharbeiter, der bei VW und Co. am Band steht, der kann in der Regel auch in bestimmten Rüstungsunternehmen arbeiten." Auch ein Entwicklungsingenieur könne nach einem gewissen Umlernen in der Rüstung anfangen, so die Geschäftsführerin der Personalberatung Heinrich & Coll. in München.

Bei anderen Funktionen sei das nicht möglich, etwa bei Vertriebsspezialisten oder Einkäufern. "Einen Einkäufer aus der Automobilindustrie, der gewohnt ist, dass sein Zulieferer springt, wenn er es sagt, den können sie nicht so einfach in die Rüstungsindustrie bringen", erklärt Brückner.

Sicherheitprüfung schränkt Bewerberpool ein

Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, weist zudem auf eine Besonderheit von Rüstungsfirmen hin: Für viele Mitarbeiter sind Sicherheitsprüfungen zwingend vorgeschrieben - und die brauchen Zeit. "Die Fristen für die Erteilung dieser Genehmigungen sind derzeit bei weitem nicht kurz genug, um eine schnelle Umstellung des entsprechenden Personals zu ermöglichen", betont er gegenüber der DW.

Tausende Menschen demonstrieren am 7. März 2025 in Washington gegen die Kürzungen von Präsident Trump im Forschungsbereich Bild: Allison Bailey/NurPhoto/picture alliance

In der Rüstungsindustrie kommt die so genannte Staatenliste ins Spiel. Sie stellt hohe Anforderungen an Bewerber aus Staaten, die für die Sicherheit Deutschlands erhebliche Risiken darstellen. Auf der Liste des Bundesinnenministeriums stehen Länder wie Afghanistan, China, Vietnam, Irak, Iran, Syrien, Russland und die ehemaligen Sowjetrepubliken. Schon ein längerer Aufenthalt in einem dieser Länder ist für eine Beschäftigung in der sicherheitsrelevanten Rüstungsindustrie extrem problematisch.

US-Experten auf dem Absprung?

Allein in Deutschland und Europa wird man auf die Schnelle nicht so viele Fachkräfte und Manager für die Aufrüstung finden. Und da kommen ausgerechnet die USA und der US-Präsident ins Spiel, sagt Eva Brückner: "Weil Trump angefangen hat, Kürzungen bei den Forschungsinstituten und Universitäten zu verkünden, hat sich natürlich eine Chance für Europa ergeben." Bislang hätten die USA mit ihren Eliteuniversitäten und großen Forschungsbudgets Spitzenkräfte aus aller Welt angezogen. "Aber wenn man jetzt Gelder entzieht, dann ist das für Europa eine Chance zu sagen: Dann sind wir der Innovationsmotor. Und wir holen uns die Leute."

Sie habe bereits Anfragen aus den USA, weil Greencards nicht verlängert würden oder Spitzenkräfte sich an ihrem US-Arbeitsplatz nicht mehr wertgeschätzt fühlten. Viele fragten sich, ob sie den neuen US-Kurs politisch und geopolitisch mittragen wollten, so Brückner. "Das ist eine Riesenchance und die sollte man auch nutzen. Denn da kann man richtig schlaue Köpfe holen."

Tiefstapler und digitale Profis gesucht

Insgesamt müsse die Branche neue Wege gehen, ist Eva Brückner überzeugt. Mehr Frauen würden den Führungsetagen der Branche, die von männlichen Ex-Offizieren geprägt ist, gut tun. "Man braucht Tiefstapler, Leute, die diskret sind. Leute, die mit ihrer Arbeit gerne unterm Radar fliegen wollen." Das erfordere schon allein der Umgang mit sicherheitsrelevanten Themen.

Rheinmetall-Chef: Wir müssen mehr in Europa investieren

19:07

This browser does not support the video element.

Auch die Digitalisierung ändere das Suchprofil für neue Mitarbeiter, sagt Unternehmensberater Nils Kuhlwein. IT-Spezialisten und KI-Experten für die Vernetzung moderner Waffensysteme und der Einsatz von Big Data etwa zur Lagebildanalyse seien heiß begehrt, aber rar gesät. "Die Verteidigungsbranche war traditionell analog aufgestellt. Nun fehlen ihr zusätzliche digitale Köpfe", unterstreicht der Kearney-Experte. 

Dass die Unternehmen beim Wettbewerb um Spezialisten künftig tiefer in die Tasche greifen müssen, steht für Eva Brückner fest: "Ich bin mir sicher, die Unternehmen müssen auch beim Gehalt nochmal ein bisschen nach oben rutschen."

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen