Papst gegen Potter
12. August 2005Schon als Kardinal war Joseph Ratzinger, alias Papst Benedikt XVI., kein Fan der Zauberlehrling-Saga. So schrieb er 2003 an die deutsche Potter-Kritikerin Gabriele Kuby: "Es ist gut, dass sie die Menschen in Sachen Harry Potter aufklären, denn dies sind subtile Verführungen, die unmerklich und gerade dadurch tief wirken, und das Christentum in der Seele zersetzen, ehe es überhaupt recht wachsen konnte." Das heißt, Harry Potter behindere die Entwicklung eines christlichen Weltbildes bei jungen Menschen. Dass Ratzinger auch als Papst seine Meinung zu Potter nicht geändert habe, daran gebe es, so schreibt die italienischen Zeitung "La Repubblica" am 13. Juli 2005, keinen Zweifel.
Die katholische Soziologin Gabriele Kuby hat Potter schon 2003 kritisch behandelt - und sich dabei ausdrücklich und persönlich gewünscht auf die Ratzinger-Kritik bezogen. In ihrem Buch "Harry Potter - gut oder böse" bezieht sie sich schwerpunkmäßig auf den fünften Band: Die Schriftstellerin Joanne Kathleen Rowling glorifiziere mit dem Zauberlehrling die Magie, Potter sei "ein Vergehen an der jungen Generation", die "schulische Indoktrination" mit ihm sei intolerant und widerspreche "dem Geist unserer Verfassung". Ferner schreibt Kuby, dass es sich bei Harry Potter nicht einfach um ein modernes Märchen handele: Im Märchen seien Zauberer und Hexen eindeutig Gestalten des Bösen, aus deren Macht sich der Held durch die Ausübung von Tugenden befreie. Bei Harry Potter gebe es dagegen niemanden, der eindeutig das Gute wolle.
Klare Linie für Kinder, Erinnerung für Erwachsene
"Das sehe ich völlig anders", erklärt Jutta Draht, Diplom-Heilpädagogin und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Sie ist selbst faszinierte Leserin der Geschichten um Harry Potter und findet im Gegensatz zu Kuby, dass Gut und Böse in den Zauberlehrling-Büchern sogar sehr gut abgegrenzt sind: "Es gibt gute und es gibt schlechte Zauberer", sagt Draht. Gut und Böse existierten auf jeder Ebene. Bei Rowlings Potter-Bänden gebe es eine ganz klare Trennungslinie. Dadurch schaffe das Fantasy-Märchen Klarheit in einer Welt der "Multioptionalität", also einer Welt, in der alles gewissermaßen beliebig ist.
Zudem mache die Lektüre Mut: "Menschen, die klein sind, finden auch ihren Weg, werden anerkannt, das ist etwas, was J. K. Rowling gut schafft, das ist schnörkellos", findet Jutta Draht. Nicht zuletzt sei aufgrund der vielschichtigen Figuren in den Romanen für jeden etwas dabei, "man identifiziert sich nicht immer nur mit Harry Potter, sondern zum Beispiel auch mit Ron, dem ewigen Zweiten, der aber Harry in vielen Dingen auch etwas vormacht." So habe Ron eine Familie, von der er anerkannt und geliebt werde, was Harry sich so sehr wünsche.
Schädlich ist die Lektüre laut der Therapeutin nicht, eher regt sie die Fantasie und Kreativität an: "Die Kinder bekommen Lust, die Geschichten weiterzuspinnen, das ist meine Erfahrung", berichtet sie, "da ist nichts, was verführt." Erwachsene lesen ihrer Meinung nach das Kinderbuch vor allem, um sich noch einmal an ihre Kindheit zurückzuerinnern: "Sie gehen in die Regression, nehmen eine Auszeit, und kehren dann wieder in die Realität zurück."
Wettbewerb auf dem religiösen Markt
"Wir leben in Zeiten, in der Religion hochaufgeladen diskutiert wird", sagt Peter Bräunlein, der an der Universität Marburg Religionswissenschaften unterrichtet. Die Vielfalt der religiösen Angebote lässt die großen institutionellen Kirchen zittern: "Alle Alternativangebote neben den Kirchen gelten als bedrohlich und vor allem bei der Jugend als nicht zu kontrollieren", sagt Bräunlein, "letztendlich wird befürchtet, dass die Kirchenbindung flöten geht."
Religionen und Mythen uralter Kulturen, wie zum Beispiel die der Kelten, gewinnen an Attraktivität. Bei Harry Potter erinnern einige Elemente an das Keltentum oder zumindest an die heutigen Vorstellungen davon: Der Schulleiter Albus Dumbledore zum Beispiel erinnert an einen Druiden. Als "Heidentum" sind die Bräuche alter Kulturen oder auch Naturreligionen in der Kirche verpönt. Sie als bedrohlich einzustufen ist offenbar kein ausschließlich katholisches Phänomen: Harry Potter ist laut Peter Bräunlein auch in vielen protestantischen Gemeinden aus den Regalen verbannt worden.
"Es geht um Wettbewerb, um Heilskapital und einen religiösen Markt, auf dem die institutionellen mit anderen Angeboten konkurrieren", fasst Bräunlein die heutige Religionssituation zusammen. Seiner Meinung nach hatte der verstorbene Papst Johannes Paul II. den Markt gut im Griff, "indem er das Bedürfnis der Menschen nach Wundern gestillt hat". Dass der letzte Papst die Kugel, die ihn getroffen hatte, nahm und in die Fatima-Figur einbauen ließ, bezeuge, dass er an Wunder glaubte.
Zudem sei er exorzistisch aktiv gewesen. Laut den Memoiren des früheren französischen Kardinals Jaques Martin hat Johannes Paul II. zum Beispiel 1982 einer besessenen Frau geholfen, die sich plötzlich schreiend vor ihm auf dem Fußboden gewälzt hatte. Der Exorzismus mache einen Teil der Anziehungskraft des Katholizismus aus und sei nach wie vor Bestandteil der katholischen Kirche, erklärt Peter Bräunlein. An der Päpstlichen Universität werden auch heute noch, mittlerweile sogar verstärkt, Exorzisten ausgebildet. Mit diesem Glauben an Wunder, Dämonen und den Teufel begeisterte der letzte Papst - sagt Bräunlein - vor allem Jugendliche.