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Papst noch fremd im eigenen Haus

Christoph Strack20. Juni 2013

In seinen ersten 100 Tagen hat das neue Oberhaupt der katholischen Kirche viele beeindruckt. Trotzdem fremdelt der Mann "vom Ende der Welt" noch mit dem römischen System.

Papst Franziskus bei seiner ersten Ostermesse auf dem Petersplatz (31.03.2013) Foto: REUTERS/Osservatore Romano
Bild: Reuters/Osservatore Romano

Er wohnt nicht im Apostolischen Palast hoch über dem Petersplatz. Auch nach 100 Tagen nicht. Papst Franziskus will dauerhaft im vatikanischen Gästehaus Santa Marta bleiben. Das Spektakuläre dieser Entscheidung ist kaum hoch genug zu bewerten. Wer vor drei Monaten gesagt hätte, demnächst komme ein neuer Papst und breche mit selbstverständlichen vatikanischen Gepflogenheiten, wäre als Spinner, vielleicht sogar auch als militanter Romkritiker abgestempelt worden. Franziskus selbst sagt, er müsse unter Menschen sein, der Palast sei ihm zu abgeschieden. Und er spricht auch vom Vorbild Jesu als einem "armen Meister".

Bald nach der Papstwahl kursierte als Gerücht ein Franziskus-Zitat, das in vier Worten viel mehr sagt: "Der Karneval ist vorbei". Diese Ansage zielt nicht nur auf schwere Brokatgewänder oder teure päpstlich-rote Schuhe. Und sie zielt gewiss auch nicht auf seine Vorgänger, sondern kündigt eine neue Ernsthaftigkeit insgesamt an.

Papstschuhe im Schaufenster des HofschneidersBild: picture alliance/Pressefoto Ulmer

Er komme fast "vom Ende der Welt", sagte der Papst bei seinem ersten Auftritt vor 100 Tagen. Ja, er fremdelt mit der Art und Weise, wie Teile des vatikanischen Apparats das Amt des Papstes am liebsten verstehen. Im Gegensatz dazu sieht sich das neue Kirchenoberhaupt, der frühere argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio, eher als ein den Menschen naher "Bischof von Rom" denn als ferner "Papst". Hinzu kommt seine Namenswahl - der große Franziskus. Da schwingt mehr mit als Schlichtheit im Auftritt oder die Perspektive der Armen. Denn Franz von Assisi war im frühen 13. Jahrhundert auf seine Weise ein unberechenbarer Revolutionär.

Fahrt durch die Menschenmenge bei der Amtseinführung am 19. März 2013Bild: Reuters

Der besondere Blick

Allmählich wechselt der Blick von den Äußerlichkeiten hin zu mehr Aufmerksamkeit für inhaltliche Aussagen. Der Neue mahnt eine Reform des globalen Wirtschaftssystems an und geißelt Auswüchse auf den Finanzmärkten. Er beklagt eine Wohlstandskultur, eine Herrschaft des Konsums und "Kultur der Verschwendung". Ähnliches gilt für seine ausgesprochen biblisch gehaltenen Mahnungen, zum Kern der christlichen Botschaft zurückzukehren. Die Kirche stehe für die Menschwerdung Gottes und den "Skandal des Kreuzes". Sie dürfe sich nicht der Welt anpassen. Anders als seine Vorgänger blickt Franziskus – das ist beste lateinamerikanische Schule – vom konkreten Menschen her auf die Welt. Dabei weiß er als Jesuit durchaus um andere theologische Traditionen und Systeme. Dieser Stil prägt auch seine Predigten. An den biblischen Erzählungen orientiert wirken sie fromm und ausgesprochen lebendig bis hin zur improvisierten Anekdote.

100 Tage nach Pontifikatsbeginn ist klar, dass sich vieles im System der katholischen Kirche, in ihrer Außendarstellung ändern wird. Aber wohin die Entwicklung geht, ist nicht bei allem erkennbar. Dazu werden wohl kaum jene Reformen in Kernpunkten der kirchlichen Lehre gehören, für die gerade viele Europäer streiten – etwa eine stärkere Rolle der Frau in der Kirche oder der Wegfall des Zölibats.

Reformieren, aber wie?

Zu den bleibenden Bildern der ersten Wochen gehören die beiden Begegnungen von Franziskus mit seinem emeritierten Vorgänger Benedikt. Es waren wichtige Szenen. Denn sie stehen für das bislang schier Undenkbare: ein römisch–katholischer Papst und sein Vorgänger, friedlich vereint in Gebet und Gespräch.

Treffen des Papstes mit Amtsvorgänger BenediktBild: Reuters

Nach wie vor hoch bleiben die Erwartungen an eine Reform der verkrusteten Kurien-Struktur. Derzeit arbeitet dieser Apparat zu oft nebeneinander her oder auch gegeneinander. Es gibt ein Machtgebaren gegenüber der restlichen katholischen Welt. Der "Vatileaks"-Skandal um an die Öffentlichkeit gelangte Papst-Dokumente und die Skandale der Vatikanbank stehen für dieses marode System.

Vor einigen Tagen griff Franziskus dieses Problemgemenge in einem vertraulichen Gespräch mit lateinamerikanischen Ordensleuten zum ersten Mal auf. Franziskus sprach da von restaurativen Gruppen in der Kirche und "Pantheisten", er beklagte Korruption - und er erwähnte die Existenz einer "Schwulen-Lobby" im Vatikan. Der Papst erinnerte daran, dass fast alle Kardinäle in den Tagen vor dem Konklave auf eine Reform der Kurie gedrängt hätten.

Richtung weisendes im Herbst

Franziskus setzt auf einen ganz eigenen Weg zu Veränderungen. Mitte April berief er eine Kommission aus acht Kardinälen von allen Kontinenten, die eine Reform des vatikanischen Machtapparats angehen soll. Dem Gremium unter Leitung des honduranischen Kardinals Oscar Rodriguez Maradiaga gehört unter anderen der Münchener Kardinal Reinhard Marx an – aber lediglich ein Kardinal aus der Kurie. Das erste Treffen dieser Kommission Anfang Oktober wird konkreter zeigen, wohin der "Bischof von Rom" die Weltkirche und ihre Zentrale führen will.

Der Papst herzt einen JungenBild: picture-alliance/dpa

Ob er tatsächlich die Kraft zu tiefer gehenden Veränderungen hat? Auch für Franziskus gibt es nur ein begrenztes Zeitfenster, um Neuerungen durchzuführen und anzustoßen. Immerhin ist der Papst aus Argentinien bereits 76 Jahre alt.

Hinweis: In deutscher Sprache erschienen während der vergangenen Woche mehrere Bücher zum neuen Papst. Eine Auswahl:

- "Papst Franziskus, Mein Leben, mein Weg. Die Gespräche mit Jorge Mario Bergoglio" von Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti. Herder-Verlag 2013. Dieses im spanischen Original bereits 2010 vorgelegte Buch bietet eine ausgesprochen persönliche Annäherung an den argentinischen Kardinal Bergoglio.

- "Papst Franziskus. Aufbruch und Neuanfang" von Jürgen Erbacher. Pattloch-Verlag 2013. Ausgesprochen fundierte Analyse des Zueinander von Bergoglio-Papst, aktueller weltkirchlicher und vatikanischer Befindlichkeit.

- "Papst Franziskus. Wer er ist, wie er denkt, was ihn erwartet" von Stefan von Kempis. Stärker am Bild orientierte Annäherung an das neue Kirchenoberhaupt, aus der gleichfalls die Vertrautheit des Autors mit der römischen Welt spricht.

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