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Politik

Papuas wollen Unabhängigkeit

Hans Spross
3. September 2019

Die jüngsten Unruhen in Papua im äußersten Osten Indonesiens sind Folge einer Politik der Diskriminierung und Ausbeutung. Friedensaktivisten fordern, dass sich Jakarta einer politischen Lösung öffnet.

Indonesien | Proteste für Unabhängigkeit von Westpapua
Bild: picture-alliance/Zumapress/A. I. Damanik

Gewalttätige Proteste und Zusammenstöße zwischen indigener Bevölkerung und Sicherheitskräften in der indonesischen Provinz Papua haben erneut ein Schlaglicht auf den jahrzehntealten Konflikt geworfen. Auslöser war ein Mitte August im Internet verbreitetes Video über rassistische Äußerungen von indonesischen Polizisten gegenüber Studenten aus Papua. Der Vorfall ereignete sich in der Stadt Surabaya auf Java, einer der vier Hauptinseln Indonesiens. Die Studenten hatten angeblich eine indonesische Flagge in ihrem Wohnheim entehrt.

Bei den darauf folgenden Protesten und Demonstrationen für Unabhängigkeit in Papua (Artikelbild) kamen nach offiziellen Angaben zehn Personen ums Leben, darunter ein Soldat. Die Regierung entsandte 6000 zusätzliche Sicherheitskräfte in die Region, über die eine Internetsperre verhängt wurde. Vier Australier wurden wegen Beteiligung an den Demonstrationen ausgewiesen.

Die indonesischen Provinzen West-Papua (Papua Barat) und Papua (geograph.: West-Papua)

"Tief verwurzelte Diskriminierung"

Seit Indonesien 1963 begann, sich das ehemalige niederländische Kolonialgebiet, die Westhälfte der riesigen Insel Neuguinea vor Nord-Australien, einzuverleiben, regt sich dort Widerstand der Papuas. Diese sind "ethnische Melanesier, die sich kulturell eher zum Pazifik zugehörig fühlen, die anders aussehen, eine andere Kultur haben als die West-Indonesier, die dorthin in den letzten Jahrzehnten übergesiedelt sind", erläutert Normann Voß vom West Papua-Netzwerk, das sich für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzt. "Es besteht keinerlei historische oder linguistische Verbindung zwischen Papua und Indonesien", bekräftigte vor kurzem gegenüber der DW Benny Wenda, der im Exil lebende Fürsprecher der Papuas. Die Diskriminierung der Papuas sei innerhalb des indonesischen Sicherheitsapparats tief verwurzelt: "Sie treten und schlagen uns und nennen uns Affen."

Führte Indonesien in die Unabhängigkeit: Präsident Sukarno. Für ihn war die Wiedergewinnung West-Papuas von den Niederlanden unverhandelbar. Bild: picture-alliance/Photoshot

"Act of No Choice"

Historischer Rückblick: 1949 wurde Indonesien von den Niederlanden unabhängig, letztere behielten aber zunächst die Oberhoheit über West-Neuguinea. Die Niederlande stimmten 1963 im sogenannten New Yorker Abkommen zu, dass das Gebiet indonesischer Verwaltung unterstellt wurde. Allerdings mit einer Bedingung: In einem Volksentscheid ("Act of Free Choice") sollten die Papuas über einen Verbleib bei Indonesien abstimmen. Diese Abstimmung fand 1969 statt. Eine geringe Zahl ausgesuchter Wahlmänner sprach sich unter Aufsicht des indonesischen Militärs für den Verbleib bei Indonesien aus. Diese Farce, der "Act of No Choice", wie er von den Papuas genannt wird, wurde dennoch von den UN abgesegnet.

"Die Papuas sagen bis heute: Das war nicht unsere Stimme", erläutert Norman Voß vom West Papua-Netzwerk. "Wir wurden nur von einer Verwaltung an eine andere übergeben. Und dieses Referendum, wie es im Vertrag steht, soll nun endlich durchgeführt werden."

Indonesiens wiedergewählter Präsident Widodo (2. v. l. oben) empfängt Abgesandte aus Papua. Widodo hatte die Politik der gezielten Umsiedlung nach Papua gestoppt. Bild: Biro Pers Sekretariat Presiden/Rusman

Stärkere Rolle der UN gefordert

Papua-Aktivist Benny Wenda teilte im Januar 2018 mit, er habe eine Petition von 1,8 Millionen Landsleuten für die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit an UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet übergeben. Denn neben der Forderung nach Unabhängigkeit geht es auch um die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen durch die indonesischen Sicherheitskräfte in Papua, die nach einer Untersuchung der Juristischen Fakultät der Universität Yale von 2005 den Tatbestand des Völkermords erfüllen. Ob sich dieser schwerwiegende Vorwurf beweisen lässt, ist zweifelhaft. Allein schon die Untersuchung konkreter Fälle durch die UN gestaltet sich schwierig, wie Norman Voß erläutert: "Ein UN-Menschenrechtsteam versucht, seit ein zwei Jahren dort einzureisen. Das wurde ihm bisher verwehrt."

Exil-Führer der Papuas, Benny Wenda (2. v.l.) übergibt Peitition für Selbstbestimmung an UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in GenfBild: picture-alliance/AP Photo/The United Liberation Movement for West Papua

Kritik von pazifischen Nachbarn

Immerhin wächst der internationale Druck auf Jakarta, sich in Bezug auf Papua etwas zu öffnen. So hatte das Forum der Pazifischen Inselstaaten bei seinem Treffen im August zwar die Souveränität Indonesiens über das Gebiet bekräftigt. Gleichzeitig wollen die Staatschefs der 18 Mitgliedsstaaten einen "offenen und konstruktiven Dialog mit Indonesien über gemeldete Menschenrechtsverletzungen in Papua führen." Sie begrüßen, "dass Indonesien eine Einladung an den UN-Hochkommissar für Menschenrechte ausgesprochen hat, eine Mission nach Papua zu entsenden." Sie fordern beide Seiten nachdrücklich auf, einen Termin für den Besuch festzulegen, so dass ein konkreter Untersuchungsbericht beim nächsten Treffen des Forums im kommenden Jahr vorliegt.

Seit 1967 betreibt das US-Unternehmen Freeport in West-Papua Gold- und Kupferminen, die zu den weltweit größten gehören.Bild: Getty Images/AFP/O. Rondonuwu

Entwicklung durch Ausbeutung

Selbst wenn es zu einem solchen Besuch mitsamt Bericht kommen sollte, dürften die Forderungen der Papuas damit kaum befriedigt sein. Sie dringen auf eine grundlegende Änderung der Situation in ihrem angestammten Land, die der australische Experte Jason MacLeod als "wirtschaftliche Ausbeutung in großem Maßstab" und "Ausplünderung" beschreibt. In den beiden Provinzen Papua und West-Papua finde "Entwicklung als Kolonisierung" statt. Die konkreten Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung beschrieb MacLeod im australischen Rundfunk so: "Die Menschen, die am Rande des gigantischen Gold- und Kupfertagebaus Freeport leben, wurden von ihrem Land vertrieben. Wöchentlich, wenn nicht täglich sind sie den Schikanen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt, die oftmals im Sold der Minenbetreiber stehen."

Vor 20 Jahren wurde Ost-Timor unabhängig. Die Regierung von Francisco Guterres (2.v.r.) unterstützt die Papua-Aktivisten allerdings nicht. Bild: Reuters/Antara/D. Reviyanto

Unterschiede zu Ost-Timor und Aceh

Eine Änderung dieser Verhältnisse sehen die Papua-Aktivisten nur durch Unabhängigkeit erreichbar. Aber Unabhängigkeit des mit Bodenschätzen (Gas, Kupfer, Gold) reich gesegneten Gebiets schließt Jakarta kategorisch aus. Es steht dabei juristisch auf sicherem Boden: Die UN hatten der Rückgabe durch die Niederlande zugestimmt. Der Fall der ehemals portugiesischen Kolonie Ost-Timor lag anders: Die UN hatten niemals anerkannt, dass Ost-Timor, welches 1975 von Portugal seinem Schicksal überlassen wurde, zu Indonesien gehört. 1999 konnte die Ost-Timoresen nach jahrelangem Kampf gegen die indonesischen Truppen mit UN-Unterstützung die Unabhängigkeit erlangen.

Eine andere ehemalige Unruheprovinz Indonesiens, am entgegengesetzten, westlichen Ende des Inselreiches, konnte nach jahrzehntelanger Konfrontation zwischen Separatisten und Zentralregierung befriedet werden: Die Provinz Aceh erhielt 2005 weitgehende Autonomierechte, ehemalige militante Kämpfer übernahmen Schaltstellen in Verwaltung und Politik, ein Prozess, der international unterstützt und begleitet wurde, unter anderem von der EU.

Straßenproteste in Papua am 21. August 2019Bild: Getty Images/AFP/S. Pakiding

Verfahrene Ausgangslage

Könnte Aceh als Vorbild für eine Lösung des Konflikts in Papua dienen? Nein, sagt Norman Voß, denn ein Autonomie-Statut für Papua und West-Papua (seit 2003 sind es zwei Provinzen) gebe es bereits, es sei nur nie umgesetzt worden. "Die Papua sagen mehrheitlich: Autonomie als Konzept scheint für uns nicht zu funktionieren. Wir haben uns das die letzten 15, 20 Jahre angeschaut und gesehen: Das funktioniert nicht, von indonesischer Seite ist der politische Wille gar nicht da, uns so viel freie Hand zu lassen. Und deswegen ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Papua sich kurz- oder mittelfristig ausreden lassen, Unabhängigkeit zu fordern."

Eine verfahrene Situation, räumt auch der Experte vom West Papua-Netzwerk ein, und fordert dennoch eine politische Lösung: "Eine weitere Gewaltspirale von Demonstrationen, Eingreifen von Sicherheitskräften, Massenverhaftungen und so weiter führt zu keinem guten Ende. Die Vereinigte Befreiungsbewegung für West Papua (UMLWP) und die Regierung in Jakarta müssen sich an einen Tisch setzen und versuchen, diesen Konflikt nachhaltig zu lösen. Wie diese Lösung aussieht, das muss natürlich zwischen diesen Konfliktparteien gefunden werden. Aber der Raum sollte geschaffen werden. Da ist jeder Staat gut beraten, Indonesien zu mahnen, solch einen Prozess zu fördern."

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