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GesellschaftDeutschland

Paradiesvögel gegen Reichsadler

2. September 2020

In Berlin tagte der Kabinettsausschuss Rechtsextremismus - unter Leitung der Bundeskanzlerin. Zivilgesellschaftliche Initiativen hoffen auf mehr Unterstützung für sich - und für Betroffene.

Oppach | Proteste an der B96 "Flagge zeigen gegen den Staat"
Sommer 2020: Rechte demonstrieren mit Reichsflaggen an der Bundesstraße 96 zwischen Zittau und Bautzen in SachsenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Dorothea Schneider lebt in einer Gegend, die landschaftlich ein Traum ist: sanfte grüne Hügel, im Sommer gelbleuchtende Rapsfelder. Und ganz im Osten Görlitz: die architektonische Perle direkt an der Grenze zu Polen. Touristen aus aller Welt schwärmen von der Altstadt mit ihren prachtvollen Häusern im Stil der Spätgotik, der Renaissance und des Barock. In dieser Umgebung gibt es aber auch viele braune Flecken, denn die rechte Szene in all ihren Schattierungen ist hier unübersehbar.

In diesem Milieu ist Dorothea Schneider ein Feindbild, eine Hassfigur. Denn die vierfache Mutter engagiert sich gegen Nazis, Reichsbürger und Mitläufer. Als Vorsitzende des Vereins "Augen auf Oberlausitz" und Mitorganisatorin der Initiative "Paradiesvögel statt Reichsadler". Sie wehrt sich mit Gleichgesinnten gegen die zunehmende Landnahme der Rechten. Zum Beispiel mit einem bunt geschmückten Auto-Korso an der Bundesstraße 96. Dort demonstrieren seit Wochen jeden Sonntag Leute, die mit der Corona-Politik der Regierung nicht einverstanden sind. Sie schwenken Deutschlandfahnen, aber auch Reichsflaggen.

Die Opfer des rassistischen Attentats von Hanau als Gemälde unter einer Brücke in Frankfurt am MainBild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Menschen wie Dorothea Schneider sind es, denen die Bundesregierung nun stärker unter die Arme greifen will. Nach dem rassistischen Attentat in Hanau (Hessen) mit neun Toten im Februar 2020 wurde der Kabinettsausschuss Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Das hochrangig besetzte Gremium unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel tagte am Mittwoch zum zweiten Mal und hörte sich an, was Betroffene an Hass, Feindseligkeit bis hin zu Mordanschlägen erleben. Man spreche mit denen, "die Rechtsextremismus und Rassismus persönlich erleben", twitterte der deutsche Innenminister Horst Seehofer.

Gegendemonstranten an der B96 werden mit dem Hitler-Gruß empfangen

An dem Treffen in Berlin nahmen Vertreter von Organisationen wie der Amadeu Antonio Stiftung teil, Migrantenorganisationen, aber auch Wissenschaftler. Zur gleichen Zeit erläuterte das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention seine Empfehlungen an die Regierung - im Beisein von Dorothea Schneider. Sie weiß, wie es sich anfühlt, von Rechtsextremisten bedroht und diffamiert zu werden. Bei dem Auto-Korso sei der Hitler-Gruß gezeigt worden: "Und sie haben Eier geschmissen." Das Haus einer Mitstreiterin sei mit Hakenkreuzen beschmiert worden.

Dorothea Schneider kämpft mit einem Augenzwinkern als "Paradiesvogel" gegen rechte "Reichsadler"Bild: DW/M. Fürstenau

"Schutz vor rechtsextremen Übergriffen" sei eine der wichtigsten Empfehlungen, sagt Jutta Weduwen. Sie ist Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die sich mit anderen Organisationen im Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention zusammengeschlossen haben. Die Zivilgesellschaft sei die "zentrale Säule" im Kampf gegen Rechts. Sie fordert eine dauerhafte Finanzierung von Projekten, damit sie "nicht alle paar Jahre neue Anträge stellen müssen". So gehe Expertise verloren, befürchtet Jutta Weduwen.

Die rechte Szene wächst weiter - vor allem auf dem Land

Mutige Menschen wie Dorothea Schneider hoffen sehr, mehr Unterstützung zu erhalten. Im ländlichen Raum, sagt sie, sei die Akzeptanz für Rechte schon immer größer gewesen: "Und sie wachsen weiter." Was Schneider besorgt: "Man hat nicht den Schutz, den man in der Großstadt hat." Das spüren auch Menschen, die wegen ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe diskriminiert werden.

2015: Rechtsextremisten setzen in Tröglitz ein Heim für Asylbewerber in BrandBild: picture-alliance/Digitalfoto Matthias

Wie wichtig gesellschaftliche Netzwerke im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind, weiß auch Markus Nierth aus eigener, bitterer Erfahrung. Der frühere Bürgermeister der Kleinstadt Tröglitz (Sachsen-Anhalt) legte 2015 sein Amt nieder, nachdem er und seine Familie permanent massiv bedroht worden waren, weil er sich für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzte. Seine Erfahrungen, bis hin zu Morddrohungen, schildert er in dem Buch "Brandgefährlich - wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht".

Ex-Bürgermeister von Tröglitz kämpft weiter gegen Nazis

Am Mittwoch ist er mit der Bahn extra aus Tröglitz nach Berlin gefahren, um das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention zu unterstützen. "Stellvertretend für viele Lokal- und Landespolitiker", so versteht er seine Teilnahme. Denn auch wenn er selbst nicht mehr amtiert, engagiert er sich weiter mit viel Elan gegen rechte Propaganda, Agitation und Gewalt. Dafür zahlt er seit Jahren einen hohen Preis. "Sozialmobbing" nennt Markus Nierth das. Manche, die ihn früher unterstützt hätten, wendeten sich von ihm ab. Plötzlich sei er der "Nestbeschmutzer".

Markus Nierth, ehemaliger Bürgermeister von Tröglitz, lässt sich von Rechtsextremisten nicht entmutigen Bild: DW/M. Fürstenau

Die "Raumeroberungsstrategie" der Rechten sei aufgegangen, sagt Nierth mit Blick auf die Region, in der er trotz massiver Anfeindungen weiterhin lebt. Nach seinem Rückzug als Bürgermeister hätten sich weitere Rechte angesiedelt.

Der verurteilte NSU-Terrorist Ralf Wohlleben wohnt in der Nähe

In einem Dorf nicht weit von Tröglitz lebt Ralf Wohlleben. Der Neonazi wurde 2018 im Prozess gegen die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach über sechs Jahren in Untersuchungshaft müsste er maximal noch drei Jahre und vier Monate im Gefängnis verbringen. Und weil Wohlleben Revision eingelegt hat, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Deshalb ist er wieder auf freiem Fuß, denn Gericht und Staatsanwaltschaft sehen keine Fluchtgefahr.

Auch dass einer wie Wohlleben in der Nähe von Tröglitz wohnt, sagt aus Sicht des ehemaligen Bürgermeisters eine Menge über den wachsenden Einfluss der rechten Szene in dieser Region. Man müsse ein Netzwerk gründen, "um die Stimmungshoheit von Rechten zurückzudrängen", betont Markus Nierth.

Ein Wandgemälde im Nazi-Stil in Jamel (Mecklenburg-Vorpommern) - Markus Nierth nennt das "Raumeroberungsstrategie" Bild: DW/H. Pfeifer

Dabei weiß er selbst am allerbesten, wie schwer oder sogar vergeblich das sein kann. Aufgeben kommt für ihn aber trotzdem nicht infrage. Das gilt auch für Dorothea Schneider aus der sächsischen Oberlausitz. Sie kennt den Zwiespalt: "Es kann sehr entmutigend sein, wenn man sieht, dass die rechten Strukturen immer größer werden."

Und doch macht sie immer weiter als eine der Paradiesvögel, wie sie sich in ihrer Initiative spaßhaft nennen. Reichsadler, das Symbol der Rechten, fliegen in ihren Augen schon viel zu viele herum. "Man muss aufstehen, wenn es unbequem wird", sagt Dorothea Schneider: "Ich möchte auch Vorbild für meine Kinder sein."

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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