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Paradigmenwechsel

Rolf Wenkel2. Januar 2009

Zum Jahreswechsel hat man gewöhnlich eine Menge guter Vorsätze, aber auch Wünsche für das neue Jahr. Auch Rolf Wenkel hat einen Wunsch: Dass die Wirtschaftspolitik aus den Fehlern der Vergangenheit lernt.

Bild: DW

Wie wär's zum Beispiel mit einem Paradigmenwechsel? Die Welt ist zu schön und zu wertvoll, um sie der Deutungshoheit eines Hans-Olaf Henkel, Josef Ackermann oder Hans-Werner Sinn zu überlassen. Henkel war Chef von IBM Europa, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und sitzt jetzt in Talkshows herum. Josef Ackermann will den Menschen weismachen, man könne mit ehrlicher Arbeit dauerhaft eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent erzielen. Und Hans-Werner Sinn ist Westfale, den es als Präsidenten des Ifo-Instituts nach München verschlagen hat. Dort lässt er seine Kommentare im Vierfarbdruck auf deutsch und auf englisch veröffentlichen, ob sie einer lesen mag oder nicht.

Alle drei sind kluge Leute, zweifellos. Aber alle drei sind Anhänger einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die seit den 1980er Jahren konsequent und radikal andere Lehrmeinungen aus den Universitäten vertrieben hat. Man kann ihre Ideologie Neoliberalismus, Marktradikalismus oder auch Raubtierkapitalismus nennen. Und man muss natürlich anerkennen, dass diese Leute nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Scheitern des kläglichen Experiments namens Sozialismus enormen Auftrieb bekommen haben.

Raubritter im Dschungel

Deshalb muss man eigentlich dem scheidenden US-Präsidenten George W. Bush dankbar sein. Denn er hat diese Sorte von Raubrittern, die in der angebotsorientierten Ideologie die Nutzenstifter schlechthin sind, unfreiwillig an ihre Grenzen geführt: Bush-Adepten und -Günstlinge, die radikalsten Verfechter des Neoliberalismus, haben die Welt mit einem Selbstbedienungsladen verwechselt. Das Ergebnis kann man jetzt beobachten. Die USA fallen zurück auf das Stadium eines Entwicklungslandes, ihre Bürger sind um eine Billion Dollar für ihre Altersversorgung betrogen worden, die Weltwirtschaft schlittert in eine Krise. Doch der scheidende US-Präsident hat vermutlich gar nicht begriffen, dass er nicht nur einen Krieg, sondern auch eine Weltwirtschaftskrise losgetreten hat.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Freier Wettbewerb gilt immer noch als die beste aller möglichen Formen des Wirtschaftens. Aber in diesem Dschungel gewinnen schnell die Raubtiere die Oberhand, wenn man den Wettbewerb nicht bestimmten Regeln und Grenzen unterwirft und den Dschungel in ein Gehege verwandelt. Für dieses Modell, das man auch als Soziale Marktwirtschaft kennt, sind die beiden großen Volksparteien in Deutschland jahrzehntelang eingetreten, auch wenn man das bei den Sozialdemokraten momentan nicht immer erkennen kann.

Gescheiterter Turbo-Kapitalismus

Zwei Experimente sind gescheitert. Der Sozialismus glaubte an das Gute im Menschen, gab Fünfjahrespläne aus und wunderte sich, dass nach vier Dekaden Planung und Wirklichkeit nichts mehr miteinander zu tun und die Menschen die Nase voll hatten. Aber der Turbo-Kapitalismus, der die Unternehmer einseitig bevorzugt, den Arbeitnehmern Lohnzurückhaltung und Verzicht predigt, auf totale Deregulierung und Privatisierung setzt, Gewinne privatisiert und Verluste dem Steuerzahler und unseren Kindern aufbürdet - dieser Kapitalismus ist genauso gescheitert.

Meine Wünsche für 2009 sind ganz bescheiden: Gebt den nachfrageorientierten Wissenschaftlern wieder mehr Raum! Kein einziges knallhart durchoptimiertes, auf Effizienz und Produktivität getrimmtes Unternehmen hat eine Chance zu überleben, wenn es keine Nachfrage, keine Käufer für seine Produkte gibt. Wenn die Menschen mehr kaufen sollen, dann brauchen sie mehr Geld. So einfach ist das.

Machtlos gegen Neoliberale?

Hält man Neoliberalen vor, dass ihre Rezepte nicht zum Erfolg, sondern zu mehr Schulden und mehr Arbeitslosigkeit geführt haben, bekommt man selbstverständlich zur Antwort, das läge nur daran, dass die Politik die neoliberalen Rezepte nicht konsequent genug durchgesetzt habe. Deshalb: Noch mehr Löhne runter, noch mehr Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, noch weniger Steuern für Unternehmen, noch weniger Kündigungsschutz.

Eine sich selbst immunisierende Tautologie nennt Rudolf Hickel, Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft in Bremen, diese ideologischen Glaubenssätze der Neoliberalen - und da ist man scheinbar machtlos. Aber wer weiß - vielleicht erleben die Lehren eines John Maynard Keynes ja mal eine Renaissance. Von 1950 bis 1974 hat das jedenfalls sehr gut funktioniert. Da ist der Staat, wenn's kriselte, als starker, selbstbewusster Nachfrager aufgetreten und hat der schwächelnden Konjunktur expansive Impulse gegeben. Und die haben wir gerade im Jahr 2009 verdammt nötig.