Die ukrainische Nationalmannschaft kehrt mit einer beeindruckenden Leistung von den Paralympischen Spielen in Peking zurück. Viele Athleten wollen nach Hause, selbst in die vom Krieg gezeichneten Städte.
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"Ich will nach Hause, dass dort wieder Frieden herrscht, dass alle am Leben bleiben." So etwas hören Journalisten von Sportlern, die über ihre Eindrücke nach einem triumphalen Wettkampf berichten, normalerweise nicht. Doch die frühere Normalität ist für Oleksandra Kononowa wie für alle Ukrainer seit dem 24. Februar, als die Ukraine von Russland angegriffen wurde, vorbei.
Unter normalen Umständen hätte man Oleksandra und andere Paralympioniken am Kiewer Flughafen feierlich begrüßt. Schließlich hat die Ukraine allen Grund, stolz auf ihre Paralympia-Mannschaft zu sein: 29 Medaillen und der zweite Platz im Medaillenspiegel der Spiele in Peking sind ein überragender Erfolg. Doch diesen Triumph können die Athleten nicht genießen. Sie sind mit ihren Gedanken ständig in ihrer Heimat, wo Russlands Angriffskrieg weitergeht und ihre Angehörigen in Gefahr bringt.
Von Warschau aus in alle Himmelsrichtungen
Aufgrund des Krieges waren die ukrainischen Athleten und Athletinnen bei ihrer Rückreise mehrere Tage unterwegs - von Peking aus über Istanbul nach Warschau, wo sie am 15. März landeten. Eine Nacht verbrachten sie in der polnischen Hauptstadt, dann ging ihre Reise in alle Himmelsrichtungen weiter. "Einige reisten in verschiedene europäische Länder weiter, in die ihre Familien vor dem Krieg geflohen sind. Andere sind unterwegs zu ihren Familien in der Ukraine, unter anderem nach Charkiw und Tschernihiw, wo heftig gekämpft wird", sagte die Sprecherin des ukrainischen paralympischen Teams, Natalija Haratsch. Ihr zufolge hat das Nationale Komitee für Behindertensport in der Westukraine für diejenigen, die weiter nach Westeuropa wollen, in einer Sportanlage eine Unterkunft mit Trainingsmöglichkeiten geschaffen.
Trotz der sehr erfolgreichen Paralympics in Peking haben blieb bei vielen ukrainischen Sportlern und Sportlerinnen kein sehr guter Eindruck von den Spielen. "Wir wurden rund um die Uhr von Personen in schwarzer Kleidung beobachtet. Wir wurden durchsucht und abgehört. Am Ende wurde uns das Tragen von Masken mit der Aufschrift 'Frieden' bei der Abschlussfeier verboten", beklagt Haratsch und fügt hinzu: "Mögen unsere Siege im Sport einen Sieg der Ukraine im Krieg näherbringen."
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Von den Paralympics in den Krieg
Oleksandra Kononowa, die im Biathlon Gold und Silber gewann, fährt von Warschau aus in Richtung Ukraine. Eigentlich hat sie keinen Ort mehr, an den sie zurückkehren könnte, denn in der Stadt Browary bei Kiew, wo sie vor dem Krieg lebte, wird heftig gekämpft. "Ich bin im Dorf Schewtschenkowe in der Nähe von Browary aufgewachsen. Fast alle meine Freunde sind wegen des Beschusses ständig im Keller ihrer Häuser", berichtet sie. Daher wolle sie zu Verwandten in der Region Tscherkassy und sich dort freiwilligen Helfern anschließen.
"Wir sind stark", sagt Oleksandra Kononowa über den Mut der Ukrainer. "Ich glaube an unseren Staat, an unser Volk, an die Verteidiger der Ukraine", betont sie. Ihrer Meinung nach wurden die ukrainischen Paralympioniken bei den Spielen in Peking vom erbitterten Widerstand der ukrainischen Armee und den vielen Freiwilligen gegen die russischen Invasoren ermutigt. Dies habe zum Erfolg bei den Wettkämpfen beigetragen. "Wir glauben aber auch, dass unsere Siege geholfen haben, den Geist der Ukrainer zu stärken", sagt die Biathletin und befürchtet, dass sie in nächster Zeit wohl nicht mehr an Sport denken werde.
Natalija Haratsch zufolge bereiten sich trotz des Krieges in ihrer Heimat auch die ukrainischen Sportler mit Behinderungen weiter auf Wettkämpfe vor. Darunter auch die Athleten und Athletinnen aus den Sommersportarten, die sich zu Kriegsbeginn in Trainingslagern im Ausland befanden und von denen viele dank ihrer Partner vor Ort über die zuvor vereinbarten Fristen hinaus in den Sportstätten bleiben und trainieren dürfen - mit bangem Blick auf die Heimat und den dortigen Krieg.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk
Ukrainische Sportler im Krieg
Einige der bekanntesten ukrainischen Sportler haben sich nach der Invasion Russlands gegen die Flucht und für den Kampf entschieden. Sie wollen ihr Heimatland mit der Waffe in der Hand verteidigen.
Bild: Efrem Lukatsky/AP/picture alliance
Dmytro Pidruchnyi (Biathlon)
Nach seiner Rückkehr von den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking meldete sich Dmytro Pidruchnyi bei der ukrainischen Nationalgarde, um nach dem Einmarsch der Russen für sein Land zu kämpfen. Der 30-Jährige ist ehemaliger Europameister im Biathlon und war bereits zweimal bei Olympischen Spielen dabei.
Bild: YUTAKA/AFLOSPORT/imago images
Vitali Klitschko (Boxen)
Vitali Klitschko ist einer der berühmtesten ukrainischen Sportler. In den 2000er Jahren war er Box-Weltmeister im Schwergewicht der Verbände WBO und WBC und verteidigte seinen Titel zwölf Mal erfolgreich. Seit 2014 ist er Bürgermeister von Kiew. Der 50-Jährige sagte der Nachrichtenagentur AFP, er sei "bereit, zu den Waffen zu greifen", um sein Heimatland zu verteidigen.
Bild: FABIAN BIMMER/REUTERS
Wladimir Klitschko (Boxen)
Vitalis jüngerer Bruder Wladimir Klitschko gewann 1996 in Atlanta Olympisches Gold im Boxen, bevor er die IBO-, WBA-, IBF- und WBO-Titel im Schwergewicht errang. Er trat 2016 in den Ruhestand, aber der 45-Jährige hat sich wie sein älterer Bruder den Reservisten der ukrainischen Armee angeschlossen, um bei der Verteidigung seiner Heimat gegen die russische Invasion zu helfen.
Bild: Efrem Lukatsky/AP Photo/picture alliance
Sergiy Stakhovsky (Tennis)
Der ehemalige Tennisspieler ist vor allem dafür bekannt, dass er Roger Federer 2013 in der zweiten Runde von Wimbledon besiegte. Federer war Titelverteidiger, Stakhovsky stand auf Platz 116 der Weltrangliste. Der heute 36-Jährige ist in die Ukraine zurückgekehrt, um sich den ukrainischen Streitkräften anzuschließen, die seine Heimatstadt Kiew gegen die Angriffe der Russen verteidigen.
Bild: JB Autissier/PanoramiC/imago images
Oleksandr Usyk (Boxen)
Usyk ist der amtierende Weltmeister der Verbände WBA, IBF, WBO und IBO im Schwergewicht. Der 35-jährige Olympiasieger von 2012 hat sich in die ukrainische Armee eingeschrieben, um sein Land zu schützen. "Ich will nicht schießen, ich will nicht töten, aber ich habe keine Wahl", wird Usyk von der Nachrichtenagentur AFP zitiert.
Bild: Pavlo Bagmut/Ukrinform/imago images
Oleh Luzhnyi (Fußball)
Der ehemalige Rechtsverteidiger Oleh Luzhnyi gewann mit dem FC Arsenal Anfang der 2000er Jahre die Premier League und den FA Cup. Heute ist er 53 und kämpft für sein Heimatland. "Die Situation ist furchtbar", sagte er dem Sender Sky Sports. "Ich möchte als Trainer in Großbritannien arbeiten, aber zunächst muss ich hier Stärke zeigen und für mein Volk, mein Land und die Demokratie kämpfen."
Bild: Chris Lobina/Getty Images
Vasiliy Lomachenko (Boxen)
Lomachenko gewann in seiner Karriere zwei olympische Goldmedaillen - 2008 im Federgewicht, vier Jahre später im Leichtgewicht. Als Profi war er Weltmeister in drei verschiedenen Gewichtsklassen. Der 34-Jährige hat sich für den Kampf gegen Russland in seiner Heimatstadt Bilhorod-Dnistrovskyi in der Nähe von Odessa den ukrainischen Streitkräfte angeschlossen.
Bild: Sarah Stier/Getty Images
Yuriy Vernydub (Fußball)
Vernydub ist Trainer von Sheriff Tiraspol, der moldawischen Mannschaft, die Real Madrid im September 2021 in der Champions League mit 2:1 im Santiago Bernabeu besiegen konnte. Der 56-jährige ehemalige defensive Mittelfeldspieler hat sich nun den ukrainischen Streitkräften im Kampf gegen Russland angeschlossen. Von 1997 bis 2000 spielte er in der ersten russischen Liga für Zenit St. Petersburg.
Bild: Pavlo Bahmut/Ukrinform/imago images
Yaroslav Amosov (MMA)
Der Mixed-Martial-Arts-Kämpfer ist der amtierende Bellator-MMA-Champion im Weltergewicht. Der 28-Jährige hat sich verpflichtet, die Ukraine zu verteidigen, und verzichtet damit auf die Chance, seinen Weltmeistertitel im Mai gegen Michael Page zu verteidigen.