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Paris, Berlin und der Blick nach Athen

Kersten Knipp6. Juli 2015

Nach dem griechischen "Nein" appellieren Angela Merkel und François Hollande geschlossen an die Eigenverantwortung jedes Mitgliedstaates. Doch so einig sind sich Frankreich und Deutschland nicht immer.

Francois Hollande empfängt Angela Merkel im Elyséepalast, 06.07.2015 (Foto: AFP / Getty Images)
Bild: Getty Images/B. Guay

Wäre die Europäische Union eine perfekte Konstruktion, würden die Europäer in einem Referendum darüber abstimmen, wie es mit Griechenland weitergehen soll. Zumindest würde das europäische Parlament über das weitere Vorgehen entscheiden. Aber die EU ist nicht perfekt, und so, seufzt der Kommentator der italienischen Zeitung "La Repubblica" nach dem griechischen "Nein", bleibe es beim Altbekannten: "Über das Schicksal von Europa wird wieder einmal von Deutschland und Frankreich entschieden."

Eine Sichtweise, die auch der französische Finanzminister Michel Sapin vertritt. "Es wird keine Lösung gefunden werden können, wenn es sie nicht zwischen Angela Merkel und François Hollande gibt."

So lasteten einige Erwartungen auf dem Gespräch, dass die deutsche Kanzlerin und der französische Staatspräsident am Montagabend in Paris geführt haben. Anschließend traten Angela Merkel und François Hollande vor die Presse und erklärten, die Tür stehe weiterhin offen für Griechenland, aber es müsse klar sein, dass der Zusammenhalt Europas vom Verantwortungsbewusstsein jeder Regierung abhänge.

Die demonstrierte Einigkeit dürfte ganz erheblich jener Kunst zu verdanken sein, die die Politiker der Eurozone in den letzten Monaten wohl am gründlichsten eingeübt haben dürften: die des Kompromisses. Denn so eng die Abstimmung zwischen Paris und Berlin auch ist - in einer ganzen Reihe von Punkten liegen Frankreich und Deutschland auseinander.

Merkel, Hollande, Tsipras und der Versuch, einen Kompromiss zu findenBild: Reuters//Bundesregierung/Guido Bergmann

Schon im Hinblick auf die Frage, ob und wie Griechenland kurzfristig unterstützt werden soll, herrschen Differenzen vor. Griechenland, erklärte Finanzminister Sapin, müsse nun "ernsthafte und solide Vorschläge machen". Im Gegenzug wolle Frankreich für eine Verringerung der griechischen Schuldenlast eintreten. Dazu hat man sich in deutschen Regierungskreisen bislang noch nicht durchringen können. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel äußert sich verhaltener. Mit der "Absage an die Spielregeln der Eurozone", wie sie im mehrheitlichen Nein zum Ausdruck gekommen seien, seien Verhandlungen über milliardenschwere Programme "kaum vorstellbar".

Auch Kanzlerin Merkel unterstrich nach dem Treffen mit Hollande noch einmal, dass die Voraussetzungen für Verhandlungen zu einem konkreten Rettungs-Programm zurzeit nicht gegeben seien.

Unterschiedliche Vorstellungen

Die Differenzen gehen aber weiter. Hollande vertritt ein Land, das aus der schon sprichwörtlichen "Crise" nicht herauskommt. Die Neuverschuldung liegt in diesem Jahr bei voraussichtlich knapp vier Prozent des BIP, die Staatsverschuldung beträgt gut 96 Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt bei 10,3 Prozent. Deutschland hingegen erwirtschaftet in diesem Jahr einen Haushaltsüberschuss von voraussichtlich 0,6 Prozent. Die Gesamtverschuldung beläuft sich auf 71,5 Prozent des BIP, die Arbeitslosigkeit betrug im April dieses Jahres knapp 5,0 Prozent.

Die unterschiedlichen Zahlen führen zu unterschiedlichen Deutungen nicht nur der griechischen Krise. In Deutschland fordern CDU-Politiker auch nach dem griechischen "Nein" eine Fortsetzung des Reformkurses. Neue milliardenschwere Hilfspakete lösten Griechenlands Probleme nicht, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach: "Es fehlt an Wirtschaftskraft, an Wettbewerbsfähigkeit, an einer wirklich effizienten Verwaltung."

Wie geht es weiter nach dem "Nein?Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

In Frankreich fordern Hollandes Sozialisten dagegen seit längerem eine grundsätzliche Neuausrichtung bei der Bewältigung der Euro- und Griechenlandkrise. Die Spar- und Austeritätspolitik der vergangenen Jahre trage eine "schwerwiegende Verantwortung" für die schlechte Verfassung Europas im Allgemeinen und Griechenland im Besonderen, erklärten die Abgeordneten von Hollandes "Parti Socialiste" im Abschlusskommuniqué ihres Parteitags im vergangenen Juni in Poitiers. Um die Krise des Kontinents zu überwinden, fordern sie Eurobonds, einen europäischen Investitionsplan, eine "Neujustierung" der Handels- und Haushaltsdefizite der europäischen Staaten - allesamt Dinge, für die sich in der deutschen Regierungskoalition kaum jemand begeistern kann.

Deutsch-französische Vorbehalte

Das Beharren auf einer zurückhaltenden Ausgabenpolitik hat der deutschen Regierung in Frankreich teils sehr scharfe Kritik eingebracht. Jean-Luc Mélenchon, Europaabgeordneter und Vorsitzender des Parti de Gauche, hat seine Position zuletzt in seinem Buch "Le hareng de Bismarck" ("Der Bismarck-Hering") in scharfen Worten zusammengefasst. Deutschland, schreibt er, stelle wieder eine Gefahr für Europa dar. Arrogant wie nie zuvor, scheue Deutschland weder Brutalität, Erpressung noch Strafmaßnahmen, um seine Vorstellungen durchzusetzen. "Das Modell, das Deutschland (den übrigen Staaten) aufzwingt, ist, einmal mehr, ein Rückschritt für Europa."

Der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn hingegen argwöhnt, Frankreich versuche über die Vergemeinschaftung der Schulden neben Griechenland vor allem sich selbst zu retten. "Spätestens wenn sich Frankreichs Wettbewerbskrise auf die Finanzmärkte ausweitet und der französische Staatspräsident die deutsche Regierung zu Hilfsmaßnahmen drängt, wird sich das Verlangen nach Eurobonds wieder verstärken." Um der Bundeskanzlerin aber entgegenzukommen, so Sinn weiter, werde man den Eurobonds - gegen die Merkel sich ja immer ausgesprochen hatte - einen anderen Namen geben. Man habe auch bereits einen gefunden: "Project Bonds".

Der neue griechische Finanzminister Euclid TsakalotosBild: picture-alliance/dpa/S. Pantzartzi

Vorerst geht es aber darum, Griechenland am Leben zu halten, sei es innerhalb, sei es außerhalb der Eurozone. Doch dürfe die Eurozone nicht zu einer Transferunion werden, warnt Kai Konrad, Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. "Wer darauf setzt, dass die Eurozone zu einer Transferunion wird, trägt am Ende die Konsequenzen", warnt er mit Blick auf den weiteren Umgang mit der Griechenland-Krise.

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