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Beten unter Polizeischutz

Bernd Riegert 9. Januar 2015

Schon vor dem Anschlag in Paris waren die Spannungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in der französischen Gesellschaft groß. Was passiert nun? Mehr Zulauf für die Rechtspopulisten? Von Bernd Riegert, Paris.

Anschlag Paris Charlie Hebdo Muslime Polizeiwagen
Polizei bewacht den Eingang der Großen Moschee in ParisBild: DW/Bernd Riegert

Während im Norden von Paris die Suche nach den zwei mutmaßlichen Attentätern weiterging und mehrere Geiselnahmen gemeldet wurden, versammelten sich Tausende Muslime in den Moscheen der französischen Hauptstadt zu den üblichen Freitagsgebeten. Diesmal standen aber 48 Stunden nach dem barbarischen Mord an zwölf Menschen in und vor der Redaktion der Islam-kritischen Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" zahlreiche Moscheen unter Polizeischutz. Vor der zentralen "Großen Moschee" in der Innenstadt war eine ganze Hundertschaft aufgezogen. Der Innenminister fürchtete Attacken auf die Gläubigen, wie sie sich bereits am Donnerstag ereignet hatten. Bei zwei kleineren Anschlägen auf islamische Einrichtungen außerhalb von Paris war aber niemand verletzt worden.

Die Studentin Nuur Skef wollte wie jeden Freitag in die Moschee und war über die Schutzmaßnahmen nicht wirklich überrascht. Sie sagte der DW, schon vor dem Anschlag der vermutlich islamistischen Terroristen auf "Charlie Hebdo" hätten Anfeindungen gegen sie und ihre Freundinnen, die Kopftuch tragen, zugenommen. "Ich hoffe, dass das Land erkennt, dass wir Muslime einen sehr großen Abstand zu diesen Terroristen haben. Alle Imame haben heute nicht nur in dieser Moschee gesagt, dass wir alle sehr geschockt sind." Auch sie fühle den Schmerz, den alle Franzosen jetzt fühlten, sagte Nuur Skef. Alle islamischen Verbände in Frankreich haben den Anschlag auf die Redakteure und Zeichner scharf verurteilt. Führende Vertreter der Muslime äußerten wie die Studentin Nuur vor der Großen Moschee die Befürchtung, dass rechtspopulistische, islamophobe Parteien wie der "Front National" jetzt noch mehr Zulauf bekommen könnten. "Aber ich hoffe, dass die Politik klug genug ist, das zu verhindern und die Einheit des Landes zu bewahren."

Nuur Skef: Ich fühle den SchmerzBild: DW/B. Riegert

Front National darf bei Großdemonstration mitmarschieren

Für Sonntag hat die französische Regierung zu einem großen republikanischen Marsch durch Paris aufgerufen, um die Einheit der Nation im Angesicht der Krise zu demonstrieren. Präsident Francois Hollande stellte nach innenpolitischen Scharmützeln klar, dass alle Bürgerinnen und Bürger Frankreichs an dem Marsch teilnehmen sollten, ungeachtet ihrer Religion oder ihrer politischen Überzeugung. Diese Einladung schließt auch die Anhänger des rechtspopulistischen "Front National" mit ein. Der linke Flügel von Hollandes Sozialisten hatte sich geweigert, zusammen mit dem "Front National" und deren Chefin Marine Le Pen auf die Straße zu gehen. Marine Le Pen hatte am Vormittag den Präsidenten im Elysee-Palast getroffen und zuvor gesagt: "Es kann ja wohl nicht sein, dass Millionen von Franzosen ignoriert werden sollen." In der Tat ist der "Front National" zurzeit eine der stärksten Parteien in Frankreich. Marine Le Pen will 2017 bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren. Die Europaabgeordnete Le Pen forderte die Wiedereinführung der Todesstrafe für terroristische Attentäter. Mit Äußerungen über Islamismus oder den Islam hielt sie sich aber zurück. Präsident Francois Hollande hatte sich zuvor schon mit seinem konservativen Widersacher Nicolas Sarkozy getroffen. Der schwache Hollande wolle unter dem Schock des Anschlages ein möglichst breites Bündnis schmieden, schrieben Zeitungskommentatoren dazu.

Le Pen im Elysee: 2017 will sie hier einziehenBild: Reuters/P. Wojazer
Maxime: Liebe statt HassBild: DW/Bernd Riegert

"Ich habe keine Angst mehr"

Am Tatort des Anschlages, in der kleinen Rue Nicola Appert, reißt unterdessen der Strom der Menschen, die Blumen niederlegen, Botschaften hinterlassen und Kerzen entzünden, nicht ab. Der junge Franzose Maxime Grandjean hielt den ganzen Tag eines der Titelbilder von "Charlie Hebdo" in den Händen. Stumm mit ernster Miene. Die Karikatur zeigt einen muslimischen Turbanträger beim homoerotischen Kuss mit dem Chefredakteur des Magazins und trägt die Überschrift: "Diese Liebe überwindet den Hass." Als er die Zeitung das erste Mal mit dieser Karikatur gekauft habe, habe er noch Angst gehabt, sie öffentlich oder muslimischen Bekannten zu zeigen, erzählt Maxim der DW. "Das ist jetzt anders. Jetzt habe ich keine Angst mehr nach dem Anschlag. Ich bin es den Opfern irgendwie schuldig", sagt der junge Mann mit traurigem Blick. Überall in Schaufenstern und Bushaltestelle tauchen neue und alte Karikaturen aus "Charlie Hebdo" auf, die Mohammed, die Religionen oder Intoleranz aufs Korn nehmen. Die französischen Zeitungen drucken jetzt, was sie vor dem Anschlag vielleicht nicht gedruckt hätten. Das Motto: Pressefreiheit lässt sich nicht töten.

Belgien, USA, Australien: Zeichen der Solidarität für TerroropferBild: DW/Bernd Riegert

Die muslimische Studentin Nurr rät vor der Großen Moschee dagegen zur Zurückhaltung. "Gewalt ist nie eine Lösung, auch nicht wenn sie gedruckt wird. Die Weiterverbreitung der Karikaturen aus Charlie Hebdo wird die Spannungen wahrscheinlich noch steigern. Alle Zeitungen sollten die Religion respektieren." Auch sie lehne dernTerror natürlich ab, aber weitere Provokationen seien nicht die Antwort, meint Nuur Skef. Nur ein paar Häuserblocks entfernt, prangt an einer Hauswand eine neue Karikatur im Stile von "Charlie Hebdo": Dem knieenden Propheten hat jemand einen überdimensionalen Bleistift in den Hintern gesteckt. Bleistifte und andere Schreibwerkzeuge sind während der spontanen Gedenkfeiern zum Symbol der Solidarität mit den ermordeten Journalisten geworden. Zu Hunderten werden sie an verschiedenen Stellen in Paris neben Blumen von Trauernden abgelegt.

"Die jungen Salafisten haben keine Ahnung"

Die französische Muslima Nuur Skef hofft auf Mäßigung und Ausgleich. Auch ihre eigene Glaubensgemeinschaft, die Imane müssten mehr tun, um junge Männer von der Radikalisierung abzuhalten. "Mit den Vorgängen in Syrien und im Irak haben wir hier nichts zu tun. Das ist weit weg", sagt sie. "Diese jungen Männer, die zu Salafisten werden, haben meistens keine Ahnung und keine Erfahrung. Ihnen muss beigebracht werden, dass der Prophet Mohammed Liebe statt Hass verbreiten wollte." Am Mittwoch erscheint die nächste Ausgabe von "Charlie Hebdo". Das Magazin dürfe auf keinen Fall sterben, auch wenn seine führenden Köpfe ermordet worden seien, hatten französische Medienhäuser beschlossen und der verbliebenen Redaktion jedwede Unterstützung zugesagt. Diesmal soll die Zeitung mit einer Auflage von einer Million Exemplaren erscheinen, sonst waren es höchstens 60 000.

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