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Paris - Nizza: Das letzte Radrennen

Tom Mustroph
15. März 2020

Es ruht der Ball, es ruht der Puck. Räder aber drehten sich noch. Zumindest bis Samstag, bei der Fernfahrt Paris – Nizza. Sie wurde um eine Etappe verkürzt, aber dennoch veranstaltet. Sieger wurde Maximilian Schachmann.

Frankreich Start-Ziel-Sieg: Schachmann gewinnt 78. Paris-Nizza
Bild: AFP/A. Jocard

Die Skistation Valdeblore La Colmiane wirkt ausgestorben. Ein paar Kinder fahren den noch mit Schnee bedeckten Hang herunter. Ansonsten lässt sich hier niemand blicken. Mutterseelenallein sitzt die Mitarbeiterin des Tourismusbüros hinter dem Tresen. "Wir mussten alles absperren. Nur Personen mit Akkreditierung dürfen in den Ort", sagt sie gegenüber der DW. Ein Jahr lang hatte sich der Skiort auf den erwarteten Zuschauerandrang des Radrennens Paris – Nizza gefreut.

Die Behörden hatten sich vorbereitet, die Gastwirte sich auf Gäste gefreut. Am Ende wurden mehr Barrieren als geplant aufgestellt. Und viel weniger Menschen als erhofft kamen zum Rennen. "Zum Glück konnten sie nicht alles absperren. An die Strecke unterwegs kamen doch ein paar Zuschauer. Aber meistens habe ich mich gefühlt wie bei einem Nachwuchsrennen, wo bis auf die Eltern niemand an der Strecke stand", meinte trocken Nico Denz, Radprofi beim Rennstall Sunweb, zur DW.

Ausgedünntes Feld

Denz und sein Team fuhren noch bis zum Ende durch, wie 13 andere Teams. Normalerweise nehmen 23 Rennställe an WorldTour-Rennen teil. Gleich sieben Mannschaften der ersten Kategorie waren von sich aus Paris – Nizza ferngeblieben. Sanktionen müssen sie nicht fürchten. Normalerweise verpflichtet der WorldTour-Status zur Teilnahme an den Rennen. Im Zeichen des Coronavirus ist aber jedem Team die Entscheidung selbst überlassen. Zwei Rennställe stiegen unterwegs aus, Bahrain Merida und Israel Start Up-Nation. "Ich komme aus Belgien, da ist alles geschlossen. Einige unserer Fahrer hatten Angst, wegen der verschärften Reiseregelungen mancher Länder nicht mehr nach Hause zu kommen", begründete Dirk Demol, Manager bei Bahrain, den Rückzug.

Max Schachmann fährt im Gelben Trikot des Führenden einen AnstiegBild: Imago-Images/Panoramic International/N. Vereecken

Auch beim israelischen Rennstall gab die Angst vor einer möglichen Quarantäne den Ausschlag. "Es war eine komplexe Situation. Jeder hat die Angst, das Virus selbst zu bekommen. Größer noch ist die Angst, jemand anderes anzustecken. Wichtigster Grund war dann aber die Gefahr, am Ende an irgendeinem unbekannten Ort auf unbekannte Zeit zu stranden", meinte Kjell Carlström, Manager bei Israel Start Up Nation, am Telefon vom heimischen Finnland aus im DW-Interview.

Ungewissheit bestimmt die Taktik

Die Fahrer, die im Rennen blieben, waren selbst oft hin und hergerissen. Sollten sie bleiben? Sollten sie ihren abgereisten Kollegen folgen? "Es ist auf alle Fälle eine komische Situation. In Deutschland hat der DFB die Ligen ausgesetzt. In den USA findet die NBA nicht statt. Eigentlich findet gar nichts mehr statt, nur wir fahren noch Rad", wunderte sich Maximilian Schachmann. Er gewann das Rennen. Über seinen Sieg freute er sich natürlich. "Es ist ein super Gefühl, das maillot jaune, das typische gelbe Trikot, mit nach Hause zu nehmen. Da geht ein kleiner Traum in Erfüllung", sagte er im Ziel.

Corona-Gefahr ausgeblendet - Schachmann als Gesamtsieger, eingerahmt von Tiesj Benoot (l.) und Sergio Higuita Garcia (r.)Bild: Imago-Images/Panoramic International/N. Vereecken

Er fand das Rennen aufgrund der Umstände auch besonders hart. "Zum einen war da jeden Tag die Unsicherheit, ob es überhaupt weiter geht", sagte er. "Und dann gab es immer ein Team, das dachte, morgen ist es vorbei. Und so wurde auch gefahren, jeden Tag Vollgas, weil jedes Team dachte, wer weiß, wie lange wir noch Radrennen fahren. Wir haben Sponsoren, wir müssen uns noch mal zeigen, also Vollgas. Am nächsten Tag dachte dann das nächste Team: Heute ist unsere Chance - Vollgas. Von daher war es eine sehr harte Woche."

Ab ins Homeoffice

Schachmann nimmt sich jetzt vor, auf einsamen Wegen an seinem Wohnort in der Schweiz weiter zu trainieren und die Form zu halten für den Zeitpunkt, an dem es wieder mit den Rennen losgeht. Radprofis aus Italien können nicht einmal das. Ihnen sind Ausfahrten verboten. Nils Politt, mit Israel Start Up Nation schon am Freitag aus Frankreich abgereist, will in Köln wie gewohnt trainieren. Das sagte er der DW am Telefon. Es ist der Versuch, in ungewöhnlichen Zeiten ein Minimum an Normalität zu erreichen.

Kampf bis zur totalen Erschöpfung - am Ende steht der größte Karriereerfolg für Schachmann - und die Ungewissheit, wie es sportlich weiter gehtBild: picture-alliance/AP Photo/D. Cole

Finanziell immerhin müssen sich die Radprofis keine Sorgen machen. "Die Gehaltszahlungen gehen weiter. Wir wollen ja Rennen fahren. Und wie andere Menschen, die Home Office machen, trainieren wir auch zu Hause", sagte Sunweb-Profi Nikias Arndt zur DW.

Alles ist ungewiss

Wie es aber weitergeht, weiß niemand. Klassikerspezialist Nils Politt rechnet sogar damit, dass sich sein großes Saisonziel Paris – Roubaix in Luft auflöst. Auch John Degenkolb, ebenfalls bei Paris – Nizza dabei und schon Gewinner des großen Pflastersteins in Roubaix, ist skeptisch. "Ich habe keine Ahnung. Ich kann dazu nichts sagen. Ich bin kein Doktor, ich bin kein Virologe. Ich bin nur Radfahrer. Und ich denke, wir müssen die Entscheidung, die rauskommt, akzeptieren."

Vom Rennausrichter ASO war keine Prognose zu erfahren. Realistisch ist, dass die Saison erst im Juni weitergeht, mit dem Tour-Vorbereitungsrennen Criterium du Dauphiné. Aber nicht einmal das ist gewiss in diesen ungewissen Zeiten.

 

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