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Kein Strategiewechsel im Kampf gegen IS

Barbara Wesel, Paris2. Juni 2015

Bei ihrem zweiten Treffen seit der Gründung der Anti-IS Koalition vor neun Monaten beschwört die "Kleine Gruppe" der Außenminister einen langen Atem im Kampf gegen die IS-Terrormilizen. Aus Paris Barbara Wesel.

Frankreich Steinmeier bei Konferenz gegen IS-Terrormiliz
Bild: Thomas Imo/Photothek.net/dpa

Auf der Wiese vor dem Außenministerium in Paris musste auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach der offiziellen Pressekonferenz der französischen Gastgeber die wartenden Journalisten enttäuschen: Es gibt keinen Strategiewechsel im gemeinsamen Kampf gegen die Terrormilizen des so genannten "Islamischen Staats". Vielmehr brauche die Koalition der Teilnehmerstaaten einen "langen Atem". Bisher habe man nur ein Teilstück erreicht, außerdem sei keiner naiv an diese Aufgabe herangegangen.

Niemand habe geglaubt, dass ein einfacher Sieg über IS möglich sei, so der Bundesaußenminister. Neben einem militärischen Sieg aber gehe es auch um die Stabilisierung befreiter Gebiete. Dabei engagiert sich vor allem Deutschland in einer Arbeitsgruppe mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Weitere 20 Millionen Euro will die Bundesregierung für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen. Allerdings haben Vertreter der USA eine Summe von 500 Millionen genannt, die zur Bewältigung der schlimmsten Probleme im humanitären Bereich und bei der Infrastruktur nötig seien.

Mehr Geld ja, Strategiewechsel nein: die Außenminister in ParisBild: picture-alliance/dpa/S. De Sakutin

Der Fall von Ramadi und Palmyra sind "Rückschläge"

Die Sprachregelung für die Einnahme von Ramadi im Irak und Palmyra in Syrien durch den IS bei diesem Treffen: Rund zwei Dutzend Vertreter der beteiligten Staaten sprechen von einem "Rückschlag". So jedenfalls Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, der ebenfalls von "einem langen Kampf gegen IS" spricht. Die Koalition habe ihre Strategien diskutiert, will sich jetzt zunächst auf die von der irakischen Regierung angekündigte Rückeroberung der Provinz Anbar konzentrieren und das irakische Militär dabei unterstützen. Allerdings weiterhin nur im Rahmen der bisher geleisteten Hilfe: Die USA und einige Verbündete wie unter anderem Frankreich wollen weitere Luftangriffe fliegen, ansonsten konzentriert sich die Staatengemeinschaft vor allem auf die Ausbildung der irakischen Streitkräfte.

Dabei betonte allerdings Fabius, wie wichtig die Reformen und die nationale Versöhnung im Irak seien. Damit sprach er das größte Problem der Regierung in Bagdad indirekt an: Sie wird von Schiiten dominiert und hat bisher keine erkennbaren Anstrengungen unternommen, sunnitische Stämme und Gruppen im Süden einzubeziehen. Sie haben sich etwa in der Provinz Anbar teilweise IS-Kräften ergeben oder angeschlossen, weil ihre Angst vor den schiitischen Milizen größer war als ihr Wille, die Terrorgruppe zu bekämpfen. Solange sie nicht in die politischen Entscheidungen des Landes und die Armeeführung einbezogen werden, gibt es wenig Hoffnung auf einen schlagkräftigen Kampf des irakischen Militärs gegen IS, so viel wurde auch in Paris klar.

Im Mai war der IS bis in die antike Stadt Palmyra vorgestoßenBild: picture-alliance/dpa

USA stellen Fünf-Punkte-Plan vor

Für den erkrankten US-Außenminister John Kerry vertrat sein Vize Antony Blinken die US-amerikanische Position. Die Koalition gegen IS müsse vereint bleiben, entschlossen und zielgerichtet, beschwor er. Und sie müsse von Rückschlägen lernen. Blinken sprach dabei von fünf wichtigen Zielen, die erreicht werden sollten: Das ist zunächst die Wiedereroberung der Provinz Anbar, dann die Mobilisierung der regionalen Stämme im Irak, neue Rekrutierungen für die irakische Armee, die Reform der Polizeikräfte in von IS bedrohten Gebieten, die Stabilisierung befreiter Gebiete durch einen Wiederaufbau, sowie schließlich die Einrichtung eines Stabilisierungsfonds zur Finanzierung solcher Aufgaben. Die USA drängen schon seit längerem die irakische Regierung, die sunnitische Bevölkerung stärker zu beteiligen. Die von Washington proklamierten Ziele lassen sich wohl nur erreichen, wenn das tatsächlich geschieht.

Al-Abadi sprach von Scheitern

Am Morgen vor dem Treffen hatte der irakische Ministerpräsident noch harte Worte gegen die Anti-IS Koalition gewählt: Er sprach vom "Scheitern" und beklagte die mangelnde Unterstützung für sein Land. Später, bei der gemeinsamen Pressekonferenz, sprach er vorsichtiger, verlangte jedoch mehrfach mehr Unterstützung von den Partnern, auch "Unterstützung am Boden".

Die allerdings wird er nicht bekommen. Alle übrigen Beteiligten, insbesondere die USA, vermieden den Begriff "Bodeneinsatz" vollständig. Im Prinzip will man so weiter machen wie bisher. Allerdings soll al-Abadi mehr panzerbrechende Waffen von den Amerikanern bekommen. Die schockierend erfolgreiche Strategie der IS-Kämpfer mache das erforderlich, die neuerdings schwer gepanzerte Fahrzeuge mit Selbstmordattentätern zum Durchbrechen der irakischen Sperren einsetzten, so US-Vizeaußenminister Blinken.

Al-Abadi im Kreise der AußenministerBild: Thomas Imo/Photothek.net/dpa

Der irakische Ministerpräsident forderte auch mehrmals, die Koalition müsse deutlich mehr tun um den Zustrom ausländischer IS-Kämpfer zu unterbinden. Über 60 Prozent der im Irak kämpfenden Terrormilizen seien inzwischen Ausländer. Das gehört zwar auch zur Liste der gemeinsamen Ziele, allerdings ist das "Wie" völlig offen. Über eine stärkere Kooperation der Türkei, dem Haupttransitland, kann erst nach den kommenden Wahlen gesprochen werden. Und der politische Dissens mit Ankara bleibt: Die Türkei will den Fokus auf einen Regimewechsel in Syrien legen, die Koalition nennt ihn wünschenswert, will aber weiter den diplomatischen Weg gehen und nicht eingreifen.

Das Treffen in Paris war nicht mehr als eine Bestandsaufnahme, Erwartungen auf eine Neuorientierung wurden gedämpft. Die politischen Grundprobleme bleiben ungelöst, die Devise der Anti-IS Koalition heißt: "Weiter so". Bundesaußenminister Steinmeier nannte das Versprechen des irakischen Ministerpräsidenten glaubwürdig, die Sunniten endlich stärker am politischen Prozess zu beteiligen. Der Schlüssel für einen erfolgreicheren Kampf gegen IS liegt in Bagdad, und die Staatengemeinschaft zeigt derzeit offensichtlich keinen Willen, der irakischen Regierung die Verantwortung abzunehmen.